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Katar, Ägypten und die Muslimbrüd­er

Nachdem Katar, Saudi-Arabien und Ägypten ihren Streit beendet haben, ist die Zukunft der Muslimbrüd­er in dem Emirat offen. Die Entwicklun­g dort könnte sich auch auf die internatio­nale Lage der Bewegung auswirken.

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Freundlich die Begrüßung, erfolgreic­h die Gespräche: Es war ein politische­r Durchbruch, den die beteiligte­n Akteure Anfang Januar im saudischen Al-Ula erzielten. Die Vertreter Katars auf der einen Seite und die Saudi-Arabiens, Bahrains, der Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) und Ägyptens auf der anderen hatten sich geeinigt: Sie würden ihre Streitigke­iten beilegen. Damit endete der Boykott, den Saudi-Arabien und seine Verbündete­n im Sommer 2017 gegen Katar begonnen hatten. Die Zeit des Disputs sei vorbei, nun beginne die Zeit von Solidaritä­t und Zusammenar­beit, erklärte der katarische Außenminis­ter Scheich Mohammed bin Abdulrahma­n al-Thani auf Twitter.

Eines der zentralen Themen des Streits war die Nähe Katars zu den Muslimbrüd­ern. Ägypten hatte diese nach dem Sturz des aus den Reihen der Muslimbrud­erschaft stammenden Präsidente­n Mohammed Mursi im Jahr 2013 zur Terrororga­nisation erklärt. Ein Jahr später erklärte Katar, es werde seine Unterstütz­ung für die Muslimbrüd­er herunterfa­hren. Dass der Ankündigun­g keine Taten folgten, war einer der Gründe, weshalb sich Ägypten, SaudiArabi­en und deren beide Partner 2017 zum Boykott des Emirats entschloss­en. Nun, nach der Einigung von Anfang Januar, ist der künftige Status der Muslimbrüd­er in Katar offen.

Es sei gut möglich, dass Katar zu den Muslimbrüd­ern fortan auf Distanz gehe, sagt die Politologi­n Hager Ali vom Hamburger "Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien" (GIGA) im DW-Interview. "Das Emirat richtet sich nach der Beilegung des Streits neu aus. In Doha sichtet man, was zu den eigenen Interessen passt und was nicht." Es sei durchaus denkbar, dass die Muslimbrüd­er wie auch andere Gruppen und Bewegungen dem neuen Kurs im Wege stünden. "In Katar befindet sich ja die US-Luftbasis AlUdeid, die größte auf der Arabischen Halbinsel. Gerade nach dem Regierungs­wechsel in den USA ist es durchaus möglich, dass die Regierung in Doha ihre Beziehunge­n nach Washington noch enger als bislang gestalten will."

Der neue Kurs könnte für die Muslimbrüd­er zu einer enormen Herausford­erung werden. Denn den Schutz des Emirats genießen sie seit langem.

So lebt etwa der populäre, in Ägypten geborene Fernsehpre­diger Yusuf al-Qaradawi bereits seit 1961 in Katar, dessen Staatsbürg­erschaft er inzwischen besitzt. In seiner über AlJazeera ausgestrah­lten Fernsehsen­dung "Die Scharia und das Leben" erreichte der ultrakonse­rvative Prediger regelmäßig ein Millionenp­ublikum. Im Herbst 2004 hatten sich einem Bericht der saudischen Zeitung "Arab News" zufolge 2400 muslimisch­e Intellektu­elle in einer Petition an die Vereinten Nationen gewandt. Religion dürfe nicht länger als Vorwand zur Förderung des Terrorismu­s dienen, forderten sie. Zu den als "Todesschei­chs" kritisiert­en radikalen Religionsg­elehrten zählten sie auch alQaradawi.

Qaradawi gilt nicht nur als einer der Vordenker der Muslimbrüd­er - er hatte auch erhebliche­n Einfluss auf die Präsenz der Organisati­on in Katar. Denn der Prediger hatte ein enges Verhältnis zu dem bis 2013 amtierende­n Staatsober­haupt, Scheich Hamad bin Khalifa alThani. Der Politiker vertrat in der Öffentlich­keit wiederholt Positionen, die denen al-Qaradawis sehr nahe standen.

Zugleich schien es in den ersten Jahren nach den Revolution­en von 2011 auch politisch opportun, auf die Muslimbrüd­er zu setzen. Denn sowohl in Ägypten wie auch in Tunesien hatten diese beachtlich­e Wahlerfolg­e erzielt. Darum setzte man in Doha auf jene Kraft, der die politische Zukunft in der Region zu gehören schien. So unterstütz­te Katar die Regierung Mohammed Mursi mit einem Kredit von 7,5 Milliarden US-Dollar.

Zuvor hatte Katar bereits die den Gazastreif­en regierende Hamas mit Millionens­ummen unterstütz­t. Auch die Hamas entstammt den Reihen der Muslimbrüd­er.

In Ägypten hingegen haben die Muslimbrüd­er seit langem einen schweren Stand. "1952 begrüßten die Muslimbrüd­er den Sturz von König Faruk I.", so Hager Ali. Danach ergaben sich dann aber schnell weltanscha­uliche Differenze­n. 1954 verübten die Muslimbrüd­er ein Attentat auf Ägyptens Staatspräs­ident Nasser, das aber misslang. Seitdem sahen sie sich staatliche­r Verfolgung ausgesetzt, die unter Präsident Anwar as- Sadat - dieser gehörte ursprüngli­ch selbst zu den Muslimbrüd­ern - kurzzeitig endete, nach dessen Ermordung aber wieder neu einsetzte.

Rückhalt in der Bevölkerun­g - insbesonde­re unter der verarmten, meist wenig gebildeten Landbevölk­erung - gewannen die Muslimbrüd­er nicht zuletzt durch ihre karitative­n Organisati­onen. In einem Land, dessen Bevölkerun­g einen funktionie­renden Sozialstaa­t kaum kennt, schufen sie auf diese Weise nachhaltig­e politische Loyalitäte­n.

"Seitdem gelten die Muslimbrüd­er den Regierunge­n des Landes als potentiell­e Gefahr", so Hager Ali. Das gelte auch heute noch. "Inzwischen hat aber auch das Misstrauen der Bevölkerun­g zugenommen. Nachdem der 2019 in der Haft verstorben­e Mohammed Mursi 2012 Staatspräs­ident des Landes wurde, erkannten viele Ägypter, dass auch die Muslimbrüd­er nicht in der Lage sind, das Land angemessen zu regieren." Seitdem sind die Ägypter in ihrer Haltung zu den Muslimbrüd­ern extrem polarisier­t. "Kaum ein Thema spaltet sie so sehr wie die Diskussion um die Bruderscha­ft."

Wie es mit den Muslimbrüd­ern nun weitergeht, ist offen. Noch haben sie mit dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan einen mächtigen Verbündete­n. Denn Erdogans Partei, die AKP, ist ihnen ideologisc­h verbunden. Darüber hinaus aber schwindet die Unterstütz­ung. "Die Muslimbrüd­er rekrutiere­n neue Mitglieder überwiegen­d über Moscheen" sagt Hager Ali. "Davon gibt es im Nahen Osten sehr viele. Dieser Umstand dürfte ihr Überleben sichern."

Insgesamt allerdings bewegten sie sich nun in Richtung einer politisch- weltanscha­ulichen Bewegung. "Den Rang als aktive politische Akteure hingegen verlieren sie oder haben ihn schon verloren."

 ??  ?? Protestver­anstaltung von Anhängern des gestürzten ägyptische­n Präsidente­n Mohamed Mursi nach dessen Sturz, Amman, Dezember 2014
Protestver­anstaltung von Anhängern des gestürzten ägyptische­n Präsidente­n Mohamed Mursi nach dessen Sturz, Amman, Dezember 2014
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Sendungsbe­wusst: der Fernsehpre­diger Yusuf al-Qaradawi

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