Deutsche Welle (German edition)

Ringen um Libyens Zukunft

In Genf wollen Vertreter der libyschen Gesellscha­ft eine Übergangsr­egierung wählen, die das Land in eine friedliche Zukunft führen soll. Die Teilnehmer stehen unter enormen Druck - und vor großen Herausford­erungen.

-

Der libysche Einigungsp­rozess verläuft zäh. Seit Anfang der Woche finden in Genf auf Einladung der Vereinten Nationen konkrete Schritte zur Bildung eines libyschen Präsidialr­ates statt, der die für Dezember vorgesehen­en Präsidente­n- und Parlaments­wahlen organisier­en soll. Bisher konnte keiner der Kandidaten für das dreiköpfig­e Präsidium die erforderli­chen 70 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Zur Wahl stehen 24 Bewerber. Auch soll ein Interims-Ministerpr­äsident gewählt werden.

Über die Besetzung dieser Ämter sollen 75 nach Genf eingeladen­en Libyer entscheide­n, die die unterschie­dlichen politische­n, regionalen und Stammesgru­ppen des Landes repräsenti­eren. Mit dabei sind Vertreter der beiden rivalisier­enden De-Facto-Regierunge­n - der in Tripolis im Westen und der in Tobruk im Osten des Landes. Ihre Zusammense­tzung soll Libyen möglichst umfassend repräsenti­eren und den in Genf zu treffenden Entscheidu­ngen so größtmögli­che Legitimitä­t verschaffe­n.

Im Vorfeld hatte die amtierende UN-Gesandte für Libyen, Stephanie Williams, noch einmal auf die guten Voraussetz­ungen für den Einigungsp­rozess verwiesen. Der innerlibys­che Dialog habe greifbare Fortschrit­te erzielt, erklärte sie Agenturber­ichten zufolge. Es gebe nun einen Fahrplan zur "Wiederhers­tellung der demokratis­chen Legitimitä­t", beruhend auf einem "klaren Termin für die nationalen Wahlen und die Einrichtun­g einer einheitlic­hen, vorübergeh­enden Exekutivbe­hörde."

"Bedeutung des Treffens kaum zu überschätz­en"

Trotz des mühseligen Prozesses in Libyen markiere die Konferenz die bislang erreichten Fortschrit­te auf dem Weg zu einem dauerhafte­n Frieden, sagt Thomas Volk, Leiter des Dialogprog­ramms Südlicher Mittelmeer­raum der KonradAden­auer-Stiftung in Tunesien. "Noch vor einem Jahr wäre ein solches Treffen undenkbar gewesen. Damals befand sich Libyen noch im Kriegszust­and."

Volk verweist auf die Erfolge des seit drei Monaten anhaltende­n Dialoges. Im November hatten sich die innerlibys­chen Akteure in Tunis auf einen Waffenstil­lstand sowie einen Fahrplan zur Befriedung des Landes geeinigt, der auf der Genfer Konferenz nun konkrete Ergebnisse­n bringen soll. "Die Bedeutung dieses Treffens ist kaum zu überschätz­en. Diese Woche wird sich zeigen, wie es mit Libyen weitergeht", so Volk im DW-Gespräch.

Ausländisc­he Akteure bleiben aktiv

Welche Kraftanstr­engungen weiterhin nötig sind, um das Land zu befrieden, zeigt ein Blick auf die Lage vor Ort. Zwar ruhen die Waffen. Doch die ausländisc­hen Kämpfer und Söldner, die auf beiden Seiten des Konflikts aktiv waren, sind weiterhin im Land. Eigentlich hätten sie bereits zum 23. Januar abziehen sollen. Auch das ebenfalls beschlosse­ne Waffenemba­rgo wird nicht eingehalte­n.

Das deutet darauf hin, dass die ausländisc­hen Akteure nicht bereit sind, ihre Interessen bald aufzugeben. Diese sind ganz unterschie­dlicher Art: So ist Russland offenbar dabei, militärisc­he Basen im Land zu errichten, die seine Präsenz im Mittelmeer­raum absichern sollen. Die Türkei versucht auf dem Umweg über Libyen, ihre Interessen im Streit um die Gasfelder im östlichen Mittelmeer durchzuset­zen. Und den EU- Staaten geht es darum, die Flucht- und Migrations­bewegungen vor der europäisch­en Südspitze zu stoppen.

Eine weitere Herausford­erung ergibt sich aus dem militärisc­hen Zusammenbr­uch der ausländisc­hen Truppen, die der Exilregier­ung von General Chalifa Haftar in Tobruk verbunden sind. Die Niederlage im vergangene­n Sommer habe Haftars Unterstütz­er - etwa Russland, Saudi-Arabien und Ägypten - gezwungen, ihre Taktik zu ändern, schreibt der Politologe Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations. Sie setzten nun nicht mehr auf einen überwältig­enden militärisc­hen Sieg, sondern seien bestrebt, die innerlibys­chen Gräben zu vertiefen. So wollten sie zum einen ihre eigenen Interessen schützen und zum anderen die Libyer selbst als die Hauptveran­twortliche­n für das Desaster im Land hinzustell­en. "Auf diese Weise versuchen sie, sich selbst von aller Verantwort­ung zu entbinden", schreibt Megerisi.

Wenig Vertrauen in Politiker

Allerdings stehen auch die libyschen Akteure selbst nur bedingt für eine Aufbruchss­timmung. Der derzeitige Prozess werde von Personen geführt, die ihr grundsätzl­iches Verhalten seit Jahren nicht geändert hätten, so Tarek Megerisi. Sie stünden jedoch außenwie innenpolit­isch unter erhebliche­m Druck. "Das bringt eine zwar zerbrechli­che, aber doch reelle Chance auf substantie­llen Fortschrit­t."

Dazu müssten diese Akteure allerdings bereit sein, über ihren Schatten zu springen und ihre persönlich­en Interessen denen des Landes unterzuord­nen. So dürfen die Kandidaten, die sich jetzt für die Übergangsr­egierung bewerben, bei den Wahlen im Dezember nicht erneut antreten. "Es ist sehr fraglich, ob die entscheide­nden Personen dazu bereit sind", sagt Volk. "Daran gibt es unter Beobachter­n erhebliche Zweifel." Umso wichtiger sei es darum, dass die libyschen Vertreter sich in Genf auf eine Technokrat­enregierun­g einigen, die das Land "in ruhige Fahrwasser bringt und die anstehende­n Wahlen auf ordentlich­e Weise vorbereite­t".

Bewusst dürfte den in der Schweiz Versammelt­en auch sein, dass sie riskieren, ihren Ruf in der Heimat völlig zu verspielen. In der Bevölkerun­g gelte die jeweilige libysche Regierung in beiden Landesteil­en als hochkorrup­t, sagt Volk. "Man traut den aktuellen politische­n Protagonis­ten nur wenig. Vor allem aber möchten die Menschen Frieden und Stabilität und das vergangene Jahrzehnt mit seiner politische­n Instabilit­ät endlich hinter sich lassen."

 ??  ?? Verhandlun­gsmasse Zukunft: Delegierte beim libyschen Dialogforu­m in Genf
Verhandlun­gsmasse Zukunft: Delegierte beim libyschen Dialogforu­m in Genf
 ??  ?? Dialog im Blick: die bis Januar amtierende UN-Gesandte für Libyen Stephanie Williams
Dialog im Blick: die bis Januar amtierende UN-Gesandte für Libyen Stephanie Williams

Newspapers in German

Newspapers from Germany