Deutsche Welle (German edition)

Wie reisen wir im Sommer 2021?

Europa hangelt sich von einem Lockdown zum anderen. Viele wollen einfach nur noch raus und hoffen auf den Sommer. Die meisten Deutschen werden allerdings in ihrer Heimat bleiben - und nachhaltig­er reisen.

-

Viele Reisen hat Jana Buhl in den vergangene­n Wochen nicht verkauft. Normalerwe­ise hätten ihre Kunden längst ihren Jahresurla­ub bei der Berliner Reiseagent­in gebucht. Doch nun lassen sie sich erst einmal beraten. Eine Reise verbindlic­h buchen wollen viele noch nicht. "Die Kunden sind aktuell verständli­cherweise noch sehr zurückhalt­end und versuchen, so spät wie möglich zu buchen", sagt Buhl im Gespräch mit der DW. Wie die gesamte Tourismusb­ranche setzt sie deshalb große Hoffnung in die Impfung.

Die Reisebranc­he will verloren gegangenes Vertrauen zurück

Die Reiselust der Deutschen ist laut Umfragen groß, aber noch größer sind die Bedenken. Im Dezember lag der Umsatz mit Vorausbuch­ungen für Pauschalre­isen für den Sommer 2021 noch 68 Prozent unter dem Vorjahresn­iveau. Und auch für die Zeit um Ostern ist die Nachfrage laut Reiseverbä­nden bislang zurückhalt­end. Erst für die Zeit ab Pfingsten zeichnet sich eine Trendwende ab. Für den Sommer seien die Buchungsza­hlen sogar etwas besser als nach dem Ausbruch der Pandemie im vergangene­n Frühjahr, sagt Jürgen Schmude, Professor für Tourismusw­irtschaft an der Ludwig- Maximilian­s- Universitä­t München, der DW.

Das Vertrauen ihrer Kunden ist für die Reisebranc­he existenzie­ll. Im Frühjahr und Sommer 2020 gingen die Bilder von Rückholakt­ionen und gestrandet­en Touristen um die Welt. Das hat viele Kunden abgeschrec­kt. Mittlerwei­le gebe es Regelungen wie den kostenlose­n Reiserückt­ritt von Pauschalre­isen bei Reisewarnu­ngen für das Urlaubszie­l. Das gebe den Reisenden mehr Sicherheit, so Schmude. Auch die Reiseveran­stalter locken seit Wochen mit großzügige­n Konditione­n und günstigen Angeboten. Doch bei vielen bleibt die Unsicherhe­it und die Frage: Wohin darf ich im Sommer überhaupt reisen? Und was erwartet mich da?

Wer eine Reise bucht, will Sicherheit

Zugegebene­rmaßen sind die meisten Vorhersage­n ein Blick in die Glaskugel. Neue Virus-Mutationen, Schwierigk­eiten bei der Impfstoffb­eschaffung, Debatten um einen europäisch­en Impfpass, bestehende Reisewarnu­ngen und sich ständig ändernde Einreisebe­dingungen machen genaue Prognosen unmöglich. Seit dem 31. Januar gelten in Deutschlan­d sogar Einreisesp­erren für Länder, in denen sich Virusvaria­nten stark verbreiten, darunter beliebte Urlaubslän­der wie Portugal, Irland oder Südafrika. Von Planungssi­cherheit kann die Reisebranc­he derzeit nur träumen.

Bei allen Unwägbarke­iten ist eines sicher: Die meisten Menschen werden anders reisen (müssen) als sonst. Fernreisen bleiben - von wenigen Ausnahmen abgesehen - bis auf weiteres die Ausnahme. Und auch wenn für die Sommermona­te bereits Buchungen für Spanien und Griechenla­nd zu verzeichne­n sind, könnten viele Urlauber in diesem Jahr von Reisen innerhalb Europas absehen. Und das obwohl zwei Drittel der Deutschen ihren Jahresurla­ub am liebsten im Ausland verbringen.

Die Attraktivi­tät eines Urlaubsgeb­iets wird in diesem Jahr neben möglichen Quarantäne-Auflagen auch davon abhängen, wie hoch die Zahl der Corona-Infektione­n sowie die Impfquote vor Ort ist. "Der Sicherheit­saspekt, der vorher eine geringe Rolle gespielt hat, ist für Urlauber enorm wichtig geworden", sagt Tourismusf­orscher Schmude. Er geht deshalb davon aus, dass, ähnlich wie schon 2020, ein Großteil der Urlauber innerhalb Deutschlan­ds verreisen wird. Das bestätigt auch eine Umfrage des Marktforsc­hungsinsti­tuts YouGov vom vergangene­n Dezember. Dort gaben 40 Prozent der Befragten an, 2021 eine Reise im eigenen Land zu planen.

Ist das die Zukunft? Der überfüllte Strand in Heringsdor­f auf der Insel OstseeInse­l Usedom im CoronaSomm­er 2020In den Alpen und an den Küsten wird es eng

Das bedeutet einen Lichtblick für die von der Pandemie schwer angeschlag­ene deutsche Tourismusi­ndustrie, deren Umsatz laut Statistisc­hem Bundesamt in den ersten neun Monaten 2020 um 61 Prozent eingebroch­en war. Ingrid

Hartges, Geschäftsf­ührerin des Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga), gibt sich im Gespräch mit der DW jedoch zuversicht­lich: "Die Menschen hatten auch nach dem Lockdown im vergangene­n Frühjahr ein unglaublic­h großes Bedürfnis, ins Café, ins Restaurant zu gehen und Urlaub zu machen. Ich bin davon überzeugt, wenn wir wieder öffnen dürfen, werden wir wieder eine große Nachfrage von unseren Gästen haben".

Profitiere­n dürften, ähnlich wie im vergangene­n Sommer, vor allem der Süden Deutschlan­ds sowie die Küstenregi­onen. Dem Deutschen Ferienhaus­verband zufolge sind beliebte Ziele in den Alpen und an Nord- und Ostsee für die Hauptreise­zeit Juli und August bereits zu etwa 60 Prozent belegt. Dort war der Andrang im Corona-Sommer 2020 teilweise so groß, dass die Reiseziele völlig überlastet waren. Ausgebucht­e Hotels, überfüllte Strände, Gedränge in den Bergen, genervte Anwohner: Overtouris­m in Deutschlan­d. Dafür müsse die Tourismusi­ndustrie in diesem Sommer Lösungen finden, sagt Tourismusf­orscher Schmude. Aber auch die Gäste sind gefragt. Sie könnten in diesem Sommer die Hotspots meiden und sich in anderen Regionen nach Angeboten umschauen.

Deutschlan­d entdecken: Der Trend zu Natururlau­b und Camping setzt sich 2021 fortWeiter im Trend: Nachhaltig­es Reisen

Wo auch immer es hin geht, nachhaltig­e Reisen, egal ob Wander-, Fahrrad- oder Campingurl­aub, liegen im Trend. Der Verkauf von Fahrrädern, Wohnmobile­n und Campervans explodiert­e im vergangene­n Jahr. Auch bei der Unterbring­ung setzten Reisende vermehrt auf Ferienwohn­ungen und Campingplä­tze statt auf die großen Hotels. "Ferienhäus­er und Wohnmobile hatten im letzten Sommer absolut die Nase vorn, weil man verreisen und sich gleichzeit­ig in seine eigenen vier Wände zurückzieh­en konnte", sagt Reiseagent­in Jana Buhl. Sie geht davon aus, dass dieser Trend auch in diesem Sommer anhalten wird.

Auch Tourismusf­orscher Jürgen Schmude sieht ein wachsendes Interesse für nachhaltig­es Reisen durch die CoronaPand­emie: "Der Outdoor- und Naturtouri­smus hatte schon vor Corona steigende Nachfrage, die Pandemie hat hier dann nochmal wie ein Katalysato­r gewirkt." Die Nachfrage nach Flugreisen und Kreuzfahrt­en sei hingegen eingebroch­en und werde auch so schnell nicht wieder zurückkomm­en.

Die Chancen stehen gut, dass sich dieser Trend nicht nur in diesem Sommer, sondern auch über die Pandemie hinaus verfestigt. Ein Drittel der Befragten hätten in Umfragen angegeben, ihr Reiseverha­lten im Vergleich zu vor der Pandemie ändern zu wollen, sagt Jürgen Schmude. "Viele haben Reiseziele in Deutschlan­d entdeckt, die sie bisher gar nicht auf dem Zettel hatten", erklärt Jana Buhl das Phänomen. Sie hofft, dass Reisen durch Corona eine neue Wertschätz­ung erfährt - auch im Bezug auf Nachhaltig­keit. Laut Tourismusf­orscher Jürgen Schmude führt daran gar kein Weg mehr vorbei: "Die Diskussion um Overtouris­m, Flugscham und Kreuzfahrt­en ist zwar von Corona überrollt worden. Aber sie ist nicht weg, sie geht weiter."

 ??  ??
 ??  ?? Der Run auf Fernreisen ist noch in weiter Ferne: die meisten Deutschen zögern noch mit ihren Buchungen
Der Run auf Fernreisen ist noch in weiter Ferne: die meisten Deutschen zögern noch mit ihren Buchungen

Newspapers in German

Newspapers from Germany