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Verfassungsschutz versus AfD: Duell mit offenem Ende
Seit 2019 prüft der Inlandsgeheimdienst, wie gefährlich die Partei Alternative für Deutschland ist. Die Rechtspopulisten wehren sich vor Gericht - und gewinnen zumindest eines: Zeit.
Prüffall? Verdachtsfall? Beobachtungsfall? Wenn Verfassungsschützer ihre Fühler nach Feinden der Demokratie ausstrecken, stehen ihnen dafür unterschiedlich scharfe Waffen zur Verfügung. Das bekommt die Alternative für Deutschland (AfD) schon seit einigen Jahren zu spüren. So lange nur geprüft wird, handelt es sich lediglich um offen zugängliche Quellen: also alles, was Politiker dieser Partei so sagen und schreiben – sei es im Parlament, auf Parteitagen und Demonstrationen, in Interviews oder sozialen Medien wie Twitter und Facebook.
Ist die AfD in den Augen des Verfassungsschutzes aber so verhaltensauffällig, dass sie als rechtsextrem eingestuft wird, greifen härtere Maßnahmen. Schon beim Verdacht kann mit klassisch nachrichtendienstlichen Methoden gegen potentielle Feinde der Demokratie vorgegangen werden: Telefone abhören, Mails mitlesen – solche Dinge. Bestätigt sich der Verdacht, wird daraus eine Beobachtung. Dann müsste sich die AfD ganz warm anziehen, weil der Inlandsgeheimdienst bei der Überwachung weitgehend freie Hand hätte.
In vier Bundesländern ist die AfD schon ein Verdachtsfall
Theoretisch kann der Verfassungsschutz schon jetzt seinen ganzen Werkzeugkasten gegen die AfD einsetzen – und tut es vielleicht auch. Allerdings nicht überall. Das liegt an der föderalen Struktur in Deutschland. Neben dem zentralen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln gibt es so viele Landesämter wie Bundesländer: 16. Die sind sich jedoch keineswegs immer einig.
In Thüringen und Brandenburg ist der Verfassungsschutz schon länger davon überzeugt, dass die AfD eine große Gefahr für die Demokratie ist. Deshalb ist sie dort seit 2020 als Verdachtsfall eingestuft. Das gilt seit einigen Wochen auch in
Sachsen-Anhalt und in Sachsen. Alle vier Bundesländer liegen im Osten Deutschlands, wo die AfD im Schnitt etwa ein Viertel der Wähler erreicht und die Partei besonders radikal auftritt.
Sachsen ist insoweit ein besonders interessanter Fall. Denn dort ist die öffentliche Kommunikation über Einstufungen zu Prüf- oder Verdachtsfällen von Gesetzes wegen nicht zulässig, wie Recherchen des MDR ergaben. Das sächsische Innenministerium und das Landesamt für Verfassungsschutz dürfen nur über erwiesene extremistische Bestrebungen unterrichten. Das heißt: Eine offizielle Bestätigung der Beobachtung gibt es nicht.
AfD sieht Verfassungsschutz "politisch instrumentalisiert"
Dass der Verfassungsschutz die AfD früher oder später in ganz Deutschland mindestens zum Verdachtsfall erklären könnte, deutete sich schon 2019 an. Damals erklärte das im Verbund der Inlandsgeheimdienste federführende Bundesamt zwei einflussreiche Strömungen der Partei zu Verdachtsfällen: die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) und den von der AfD inzwischen formal aufgelösten völkisch-nationalistisch ausgerichteten "Flügel".
Aber auch mit Blick auf die Gesamtpartei sagte BfVPräsident Thomas Haldenwang damals, es gebe bereits "erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik". Deshalb wurde die AfD als Ganze offiziell zum "Prüffall" erklärt. Gegen diese Einstufung wehrte sich die AfD erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Köln. Der Bezeichnung "Prüffall" komme in der Öffentlichkeit eine negative Wirkung zu, lautete die Begründung. Ein solcher Eingriff in die Rechte der AfD sei "rechtswidrig und auch unverhältnismäßig". Jörg Meuthen, einer von zwei AfD-Vorsitzenden, frohlockte: Die "politische Instrumentalisierung" des Verfassungsschutzes gegen die AfD sei gescheitert.
2020 wird der "Flügel" zum Beobachtungsfall hochgestuft
Der Wirtschaftswissenschaftler durfte sich bestätigt fühlen. Denn wenige Monate vor der Prüffall-Entscheidung hatte er ein Gutachten präsentiert, in dem dargelegt wurde, warum der Verfassungsschutz die Finger von der AfD lassen solle. Jede Form der Beobachtung wäre "komplett absurd", meinte Meuthen im November 2018. Aber wahrscheinlich ahnte er, dass seine Partei trotzdem noch stärker ins Visier des Verfassungsschutzes geraten könnte. Deshalb verwies er auf die Auflösung des besonders rechtslastigen Landesverbandes der Jungen Alternative im Bundesland Niedersachsen und den Beschluss, auf keinen Fall mit der völkisch orientierten Identitären Bewegung zu kooperieren.
Der Verfassungsschutz zeigte sich davon allerdings unbeeindruckt und sammelte fleißig weiter Material über die AfD – und holte im März 2020 zum nächsten Schlag aus: Der völkische "Flügel" wurde offiziell vom Verdachts- zum Beobachtungsfall hochgestuft – mehr geht nicht. "Wenn sich die Spielarten des Extremismus erweitern, dann erweitern auch wir unseren Beobachtungsradius", begründete BfV-Chef Haldenwang seine Entscheidung.
Verfassungsschutz- Chef: "Höcke und Kalbitz sind Rechtsextremisten"
Der Flügel sei eine "erwiesen extremistische Bestrebung". Ihre Frontmänner Björn Höcke und den inzwischen aus der AfD ausgeschlossenen Andreas Kalbitz bezeichnete Haldenwang als "Rechtsextremisten" und "geistige Brandstifter". Als er das sagte, lag das rassistische Attentat im hessischen Hanau im Februar 2020 einen Monat zurück. Vier Monate zuvor, im Oktober 2019, hatte ein Antisemit beim Versuch, in der Synagoge von Halle in Sachsen-Anhalt ein Massaker zu verüben, auf der Flucht zwei Menschen erschossen.
Im November 2020 geriet die AfD weiter unter Druck, als einige ihrer Abgeordneten Störer in den Bundestag einschleusten, die Parlamentarier anderer Parteien bedrängten und dabei filmten. Zur gleichen Zeit beteiligten sich AfD-Politiker an einer Demonstration gegen die Corona-Strategie der Bundesregierung. Die Versammlung wurde von der Polizei aufgelöst, dabei kamen auch Wasserwerfer zum Einsatz.
Nu n is t das Verw altungsgericht Köln am Zug
Diese Ereignisse hat natürlich auch der Verfassungsschutz aufmerksam registriert. Wenig später spekulierten einige Medien, die gesamte AfD werde schon bald zum Verdachtsfall erklärt. Wäre die Prognose der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" richtig gewesen, hätte es um den 25. Januar soweit sein müssen. Passiert ist aber nichts – jedenfalls auf dieser Ebene. Stattdessen befindet sich das Duell zwischen der Zentrale des deutschen Inlandsgeheimdienstes und den Rechtspopulisten in der nächsten juristischen Runde.
Die AfD beantragte beim Verwaltungsgericht Köln, dem Verfassungsschutz zu verbieten, sie als Verdachtsfall einzustufen und dies öffentlich bekanntzugeben. Zur Begründung berief sie sich unter anderem auf das Recht der Parteien auf Chancengleichheit. Inzwischen hat das BfV gegenüber dem Gericht zugesagt, bis zum Abschluss des Verfahrens die Füße still zu halten. So lange wird sich Präsident Haldenwang also nicht zum aktuellen Stand der Dinge äußern. Deshalb kann die AfD und mit ihr die Öffentlichkeit nur mutmaßen, ob der Nachrichtendienst intern bereits eine Entscheidung getroffen hat und wann er sie bekanntgibt. Unter der Bedingung, dass ihm das nicht verboten wird.
Ein brisantes Verfassungsschutzpapier
Sollte die Entscheidung zu Ungunsten der AfD ausfallen, will sie notfalls vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das hatte ihr Ko-Vorsitzender Timo Chrupalla bereits Ende Dezember in einem Interview mit der "Neuern Zürcher Zeitung" angekündigt. Die AfD sei keine extremistische Partei, "sondern eine Partei sozialkonservativer Demokraten ". Die Hänge partie zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und der AfD könnte auch damit zu erklären sein, dass auf Länderebene weiterhin keine Einigkeit zu herrschen scheint.
Dafür spricht ein Zwischenbericht des Berliner Verfassungsschutzes vom Dezember 2020, der den Rechtspopulisten zugespielt wurde. Daraus zitierte die AfD in einer Pressemitteilung. Demnach stehe in dem Papier, dass es "keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungs feindliche Bestrebungen der AfD Berlin gibt, die eine Erhebung zum Verdachtsfall rechtfertigen können".
In der Tat gilt der Landesverband in der deutschen Hauptstadt als vergleichsweise moderat für AfD-Verhältnisse. Ob sich das Bundesamt für Verfassungsschutz davon beeindrucken lässt, ist eine ganz andere Frage. Seine wann auch immer zu erwartende Entscheidung basiert auf einer Materialsammlung aus ganz Deutschland. Und da ist Berlin nur eines von 16 Bundesländern.