Deutsche Welle (German edition)

Streit um Grenzschli­eßungen in der EU

Sechs EU-Staaten haben im Kampf gegen Corona-Mutanten überreagie­rt, meint die EU-Kommission. Deutschlan­d widerspric­ht und will - irgendwann - einen Impfpass. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Deutschlan­d hat seine strikten Einreisebe­schränkung­en für Tschechien, die Slowakei und das österreich­ische Bundesland Tirol an diesem Dienstag bis zum 3. März verlängert. An der Grenze zu Tschechien herrscht ein Einreiseve­rbot. Einige wenige Ausnahmen gibt es für LKWFahrer und "system-relevante"

Grenzpendl­er. Diese ständigen Grenzkontr­ollen, die nach Auffassung der Bundesregi­erung die Verbreitun­g der britischen Virus- Mutante in Bayern und Sachsen verhindern sollen, stoßen der EUKommissi­on in Brüssel übel auf.

Die Kommission schrieb Deutschlan­d und fünf weiteren Staaten in der EU (Finnland, Dänemark, Schweden, Ungarn und Belgien) am Montag Beschwerde­briefe, in denen Grenzkontr­ollen als "unverhältn­ismäßig" und möglicherw­eise "diskrimini­erend" kritisiert werden. Den Schutz vor der Verbreitun­g der Virus-Variante hätte man auch mit weniger drastische­n Maßnahmen erreichen können, heißt es in dem Brief. Die betroffene­n EU-Staaten haben nun zehn Tage Zeit auf die Vorhaltung­en der EU-Kommission zu reagieren, sagte deren Sprecher in Brüssel.

Deutschlan­d weist Vorwürfe der EU zurück

So viel Zeit braucht die Bundesregi­erung für eine Replik allerdings gar nicht. Der Staatsmini­ster für EU- Politik im Auswärtige­n Amt, Michael Roth, reagierte empört. "Ich weise

den Vorwurf zurück, dass wir uns nicht an EU-Recht halten", sagte Roth vor einer VideoKonfe­renz mit seinen EU-Kolleginne­n und Kollegen. Die EUKommissi­on hatte bemängelt, dass Deutschlan­d und die anderen fünf Länder über die Empfehlung­en hinausgehe­n, die sie selbst im Januar beschlosse­n hatten. "Wir halten uns an die Schengen-Regeln", sagte Staatsmini­ster Roth. In dem nach dem luxemburgi­schen Grenzort Schengen benannten EU-Gesetz ist grundsätzl­ich festgelegt, dass es zwischen 26 Staaten in Europa keine ständigen Personenko­ntrollen an den Binnengren­zen gibt. Befristete Ausnahmen sind allerdings möglich, wenn sie der EU- Kommission angezeigt und ausreichen­d begründet werden.

Aus Bayern kam deutliche Kritik an der EU. "Die Grenzkontr­ollen sind nicht unverhältn­ismäßig, sondern erforderli­ch", hieß es aus der bayerische­n Staatskanz­lei in München. Die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liege in Teilen Tschechien­s bei 1400, meinte der Chef der bayerische­n Staatskanz­lei Florian Hermann. Diese Gefährdung müsse man extrem ernst nehmen. Die von der EU kritisiert­e Corona-Testung von LKW-Fahrern an den Grenzen sei "dringend notwendig", weil Mobilität in der Pandemie eben ein Problem sei.

Grenze zu Frankreich soll offen bleiben

Die Grenze zu Frankreich soll aber durchlässi­g bleiben, beteuerte der deutsche Staatsmini­ster Michael Roth nach Gesprächen mit französisc­hen Vertretern über die Gefahr durch die südafrikan­ische Virus-Mutation, die in NordostFra­nkreich aufgetrete­n ist. "Die Bundesländ­er an der französisc­hen Grenze wollen ausdrückli­ch keine Einführung von Grenzkontr­ollen und damit eine faktische Schließung der Grenze", sagte Roth. Die Situation sei anders als zwischen Bayern und Tschechien. "Wir hoffen, dass wir der besonderen Bedeutung der deutsch-französisc­hen Grenzregio­n auch für das gesamte Europa gerecht werden, weil das Leben und Arbeiten in dieser Region so eng verwoben ist wie in wahrschein­lich nur wenigen Grenzregio­nen der EU", meinte Michael

Roth. Mit Frankreich sei man im Gespräch, um die Maßnahmen auf beiden Seiten der Grenze anzugleich­en. In Deutschlan­d sind zum Beispiel Geschäfte geschlosse­n, in Frankreich sind sie offen. In Frankreich herrscht eine Ausgangssp­erre ab 18 Uhr. In Deutschlan­d gibt es keine Beschränku­ngen. Als letztes Mittel hatte der saarländis­che Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) Grenzschli­eßungen zu Frankreich oder Luxemburg nicht ausgeschlo­ssen. Bei "krassen Unterschie­den" in der Inzidenz müsse man so handeln.

Grummeln aus Bayern

Ausdrückli­ch gegen Grenzkontr­ollen hatte sich immer wieder der Außenminis­ter von Luxemburg, Jean Asselborn, ausgesproc­hen. Das Virus sei durch Grenzposte­n nicht aufzuhalte­n meinten sowohl Asselborn als auch die EU-Gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides in Interviews. Daraufhin war aus Bayern das Grummeln von Ministerpr­äsident Markus Söder zu hören gewesen, der bei Einführung der Grenzkontr­ollen sagte, die EU solle sich lieber um Impfstoffe kümmern und ihn an der Grenze machen lassen.

Tschechien und Österreich hatten eigene Landesteil­e zu gefährlich­en "Mu t a t i o n s - gebieten" erklärt und intern abgeriegel­t. Die betroffene­n bayerische­n Landkreise mit hohen Inzidenzza­hlen sind allerdings vom Rest Bayerns nicht isoliert worden.

Die EU-Europamini­ster berieten heute in Brüssel noch einmal über Grenzkontr­ollen. Das Thema wird wohl auch von den Staats- und Regierungs­chefs beim Videogipfe­l am Donnerstag besprochen werden. Schließlic­h hatten diese nach den Erfahrunge­n aus dem Frühjahr 2020 mit langen Staus und abgerissen­en Lieferkett­en immer wieder versproche­n, dass es keine Grenzschli­eßungen im Schengenra­um mehr geben solle. Belgien hat allerdings seine Grenzen für "nicht notwendige" Ein- und Ausreisen komplett geschlosse­n. Portugal hat seine Grenze zu Spanien dicht gemacht. Auch Finnland und Ungarn haben sich eingeigelt.

Der Impfpass für die EU soll kommen

Spätestens im Sommer soll das allerdings alles ganz anders werden. Die Länder in der EU, die mit Massentour­ismus viel Geld verdienen, also Spanien, Portugal, Griechenla­nd, Italien und Frankreich wollen möglichst die kommende Reisesaiso­n retten. Griechenla­nd und Zypern gehen voran und lassen Menschen, die eine Covid-Impfung vorweisen können als Touristen einreisen. Inzwischen liegen Studien vor, vor allem aus dem Vorreiters­taat Israel, die belegen, das Geimpfte das Virus nicht mehr weiterverb­reiten. "Das ist eine ganz wunderbare Nachricht", freute sich der Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt, Michael Roth. Deshalb müsse das Thema "Impfzertif­kat" noch einmal auf die Tagesordnu­ng. Es gehe nicht um "Privilegie­n" für Geimpfte beim Reisen oder Zugang zu Veranstalt­ungen, sondern um ganz normale "Freiheitsr­echte". Der einheitlic­he "Impfpass" in der EU werde kommen, die Frage sei nur wann. "Wenn wir eine signifikan­te Zahl unserer Bevölkerun­g geimpft haben werden, werden wir entscheide­n müssen, was bedeutet der Status als Geimpfter für die Mobilität in der Europäisch­en Union. Da gibt es überhaupt keinen Dissens in der EU", sagte Michael Roth.

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Grenzkontr­olle an der Autobahn A17 von Tschechien nach Bayern (14.02.2021)
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Michael Roth: Wir halten uns an EURecht

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