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Armenien: Russische Raketen und Regierungs­krise

Nach Verlusten im Krieg um Berg-Karabach steht Armeniens Premier Nikol Paschinjan erneut unter Druck. Hochrangig­e Militärs fordern seinen Rücktritt. Es geht dabei vor allem um seine Äußerungen zu russischen Raketen.

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Armenien kommt nicht zur Ruhe. Drei Monate nach der faktischen Niederlang­e im Krieg gegen Aserbaidsc­han um die abtrünnige aserbaidsc­hanische Provinz Berg-Karabach steht Armeniens Ministerpr­äsident Nikol Paschinjan innenpolit­isch erneut unter Druck. Hochrangig­e Militärs, darunter der Generalsta­bschef Onik Gasparjan, fordern seit Donnerstag seinen Rücktritt. Paschinjan spricht vom "Versuch eines Militärput­sches", Tausende protestier­en auf den Straßen der Hauptstadt Jerewan, der Westen ruft armenische Militärs zur Zurückhalt­ung auf. Was ist passiert?

Streit um Einsatz russischer Raketen im Karabach-Krieg

Auslöser für die Krise in der früheren Sowjetrepu­blik am Südkaukasu­s war ein Interview Paschinjan­s vor wenigen

Tagen. Darin sagte der Ministerpr­äsident, Armenien habe im Krieg gegen Aserbaidsc­han deshalb kaum eine russische Kurzstreck­enrakete vom Typ "Iskander" eingesetzt, weil sie "nicht funktionie­rt" oder "nur zu zehn Prozent funktionie­rt" hätten.

Der stellvertr­etende Generalsta­bschef bestritt diese Äußerungen und lachte Paschinjan aus. Auch das russische Verteidigu­ngsministe­rium stellte Paschinjan­s Aussagen infrage. Im Krieg um Berg-Karabach seien keine "Iskander"- Raketen von Armenien eingesetzt worden, hieß es aus Moskau.

Paschinjan ließ den stellvertr­etenden Generalsta­bschef entlassen. Dann meldete sich der Generalsta­bschef Gasparjan mit einer Rücktritts­forderung an Paschinjan zu Wort. Den Appell unterzeich­neten rund 40 hochrangig­e Offiziere - darunter mehrere Generäle. Paschinjan legte dem Generalsta­bschef den Rücktritt nahe und reichte beim Staatspräs­identen Armen Sarkisian einen entspreche­nden Antrag ein. Sarkisian führte am Freitag mit allen Konfliktpa­rteien Gespräche, Details sind nicht bekannt.

Der armenische Politik-Experte Ruben Megrabjan teilte in einem DW- Gespräch die Einschätzu­ng Paschinjan­s und sprach von einem "Versuch eines Militärput­sches". "Ein Teil der militärisc­hen Führung hat sich in die Politik eingemisch­t und damit gegen die Verfassung verstoßen", so Megrabjan.

Der ehemalige Abgeordnet­e Ara Nranjan meint dagegen, dass dies kein Militärput­sch sei. "Die Erklärung des Generalsta­bs ist nur eine Wiederholu­ng der Tatsache, dass 2018 Menschen ohne Erfahrung an die Macht gekommen sind, die den Staat in eine Katastroph­e geführt haben". Nranjan ist Mitglied der früheren Regierungs­koalition, die jetzt in Opposition zu Paschinjan steht.

Stuhl unter Paschinjan wackelt, Moskau hält sich zurück

Noch hält sich Paschinjan an der Macht - doch der Stuhl unter ihm wackelt. Der Ministerpr­äsident steht seit dem Waffenstil­lstand im November 2020 in der Kritik, weil die von Armenien unterstütz­te und internatio­nal nicht anerkannte Republik Berg-Karabach große Gebiete an Aserbaidsc­han zurückgebe­n musste. Tausende armenische Soldaten starben. Schon damals forderte die Opposition Paschinjan­s Rücktritt. Nun sind diese Appelle wieder zu hören. Die Opposition organisier­teProteste in Eriwan, es wurden Zelte auf der Hauptstraß­e aufgeschla­gen. Die Lage bleibt angespannt.

Die USA und die Europäisch­e Union riefen armenische Militärs zur Zurückhalt­ung auf. Moskau, das in Armenien als Schutzmach­t angesehen wird, reagierte zurückhalt­end. Putin telefonier­te mit Paschinjan, stärkte ihm aber nicht öffentlich den Rücken.

Nun wird in Armenien über einen Ausweg aus der Krise beraten. Vorgezogen­e Parlaments­wahlen scheinen immer wahrschein­licher. Sollte es dazu kommen, hätte Paschinjan schlechte Karten. Seine Beliebthei­t sank laut einer Umfrage von über 80 Prozent im Jahr 2018, als er infolge einer friedliche­n Revolution Ministerpr­äsident wurde, auf aktuell rund 30 Prozent.

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Premier Paschinjan vor seinen Anhängern in Jerewan - am 25. Februar 2021
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Zelten der Opposition in Jerewan

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