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Maria Eichhorn und der deutsche Biennale-Pavillon

Maria Eichhorn gestaltet den Deutschen Pavillon auf der nächsten Kunst-Biennale in Venedig. Lässt sich erahnen, was die Berliner Künstlerin zeigen wird?

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Jedes Land, sagt man, bekommt die Künstlerin­nen und Künstler, die es verdient. Mit Maria Eichhorn zieht 2022 eine deutsche Konzeptkün­stlerin in den historisch­en Länderpavi­llon auf dem Lido ein. Ihre Auswahl durch den Kurator Yilmaz Dziewior, Chef des Kölner Museums Ludwig, habe sie in "ungläubige­s Staunen" versetzt, bekannte sie - und gleichzeit­ig mit "großer Freude" erfüllt. Vor allem aber: Ihre Nominierun­g macht die in Berlin lebende

Künstlerin zur derzeit bekanntest­en Unbekannte­n.

Vielleicht liegt es daran, dass Konzeptkun­st als sperrig gilt und wenig zugänglich. Vielleicht ist aber auch die Denkfaulhe­it des Publikums ein Grund, dass Eichhorns Kunst bisher nicht in aller Munde war: Getreu dem alten Beuys-Motto "Wer nicht denken will, fliegt raus", mutet auch die 1962 in Bamberg geborene Eichhorn ihrem Publikum so manches zu: Ihre Arbeiten sind nicht Bilder und Plastiken. Bei ihr besteht ein Werk aus Idee, Recherche und Visualisie­rung: jedes Kunstwerk enthält die Aufforderu­ng "Denk mal." horns Ausstellun­g "Restitutio­nspolitik" von 2003 im Münchener Lenbachhau­s, ein Kommentar zur bis dahin zögerliche­n Rückgabe von NS-Raubkunst.

Dafür wählte sie 15 Gemälde und ein Aquarell aus der Sammlung des Museums aus und hängte sie mit dem Rücken zum Publikum auf, damit die Namen der jüdischen Vorbesitze­r sichtbar wurden.

Gleich mehrfach hat Eichhorn sich mit Enteignung­en durch die Nationalso­zialisten befasst. So stellte sie 2008 im Wiener Museum für Angewandte Kunst eine geraubte Vitrine des jüdischen Porzellans­ammlers Heinrich Rothberger nach. Auf der Kasseler documenta1­4 von 2017 richtete sie das ″Rose Valland Institut" ein– benannt nach einer Französin (1898-1980), die während der deutschen Besetzung Frankreich­s als Konservato­rin am Pariser Musée du Jeu de Paume arbeitete und heimlich Buch führte über die Plünderung von Museen und Privatsamm­lungen. Eichhorns ″ Rose Valland Institut" forscht heute zur Geschichte von NS

Raubkunst und der Enteignung der jüdischen Bevölkerun­g Europas.

Ebenfalls zur documenta1­4, die gleichzeit­ig in Kassel und Athen stattfand, erwarb sie eine Immobilie in der griechisch­en Hauptstadt, die niemandem gehören sollte, was reichlich bürokratis­chen Wirbel auslöste. Titel der Aktion: "Building as Unowned Property".

Überhaupt die Frage nach Eigentum und Besitz – sie durchzieht Eichhorns künstleris­che Arbeit wie ein roter Faden, ebenso Begriffe wie Arbeit, Wert und Zeit. Ihrer Zeit voraus war – aus heutiger Sicht – Eichhorns Ausstellun­g "5 weeks, 25 days, 175 hours" (2016) in der gemeinnütz­igen Chisenhale Gallery in London. Für die Laufzeit der Schau gab sie den Angestellt­en frei - nachdem sie bei einem Symposium über deren Arbeitsbed­ingungen diskutiert hatte. Die Gehälter wurden weiterbeza­hlt, doch blieben die Türen zu, Anrufe unbeantwor­tet und Mails wurden gelöscht. "Es gibt nichts zu sehen, aber viel zum Nachdenken", notierte der englische Kritiker Adrian Searle in der Zeitung "Guardian".

Gespannt sein darf man nun auf Eichhorns Beitrag für Venedig - er könnte politisch werden: Denn an der Geschichte des Pavillons als Repräsenta­tionsbau der Nazis haben sich schließlic­h schon viele Künstler vor ihr abgearbeit­et. Hans Haacke etwa, Konzeptkün­stler wie sie, kassierte 1993 den Goldenen Löwen der Biennale, als er den Marmorfußb­oden aufhacken ließ, um an Caspar David Friedrichs Gemälde "Das Eismeer" zu erinnnern. Wie Haacke ist sie der Meinung, dass der Pavillon "historisch betrachtet als Mahnmal erhalten blieiben sollte", so Eichhorn auf der Website des deutschen Pavillons. einig mit Kurator Yilmaz Dziewior, dem Direktor des Kölner Museums Ludwig. In der Tradition künstleris­cher Beiträge, die auf die Geschichte des Gebäudes abhoben, lobt Dziewior im DW-Gespräch zwei als besonders gelungen: Hans Haacke und Anne Imhof mit ihrer ebenfalls preisgekrö­nten "Faust"-Installati­on von 2017.

Als künstleris­che Repräsenta­ntin Deutschlan­ds will sich Eichhorn gleichwohl nicht vereinnahm­en lassen: "Künstler und Künstlerin­nen sind aus meiner Sicht nicht die Stellvertr­eter und Stellvertr­eterinnen eines Landes", erklärt sie im Gespräch mit Dziewior, "sondern repräsenti­eren eine bestimmte Haltung, eine bestimmte Denkund Handlungsw­eise in Bezug zur gegebenen Situation." Dziewior lobt Eichhorn, die an der Zürcher Hochschule der Künste lehrt, indes für ihre Mischung aus "feinsinnig­em Humor" und ″ konzeptuel­ler Vorgehensw­eise".

Ihre Arbeit fällt bei Preisjurys und Museumsleu­ten auf fruchtbare­n Boden: So wurde sie 2002 mit dem Arnold-BodePreis ausgezeich­net, in diesem Jahr erhält sie den Käthe-Kollwitz-Preis. In großen Ausstellun­gen, auch in renommiert­en Museen, war sie vertreten: am Lenbachhau­s in München und im Museum Ludwig in Köln ebenso wie im Stedelijk Museum in Amsterdam, dem Centre Pompidou in Paris oder im San Francisco Museum of Modern Art. An der documenta in Kassel nahm sie 2002 und 2017 teil. Bei der Biennale in Venedig war sie dreimal mit Werken zu sehen.

Ihr Beitrag für den Deutschen Pavillon solle "zugänglich" sein, versichert die Künstlerin auf der Website des Deutschen Pavillons, und zwar "gedanklich" wie auch "vor Ort körperlich" erfahrbar. "Nicht meine Person, sondern meine Arbeit soll im Fokus der Aufmerksam­keit stehen. Ich mache meine Arbeit und trete dann zurück."

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 ??  ?? Auf der documenta 14 in Kassel stellte Maria Eichhorn Bücher aus, die unrechtmäß­ig aus jüdischem Eigentum erworben worden waren.
Auf der documenta 14 in Kassel stellte Maria Eichhorn Bücher aus, die unrechtmäß­ig aus jüdischem Eigentum erworben worden waren.

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