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DR Kongo: Wie Faida zur Miliz-Kämpferin wurde

Der Osten der Demokratis­chen Republik Kongo ist berüchtigt für seine Milizen. In ihnen kämpfen auch Frauen. Die DW hat eine Soldatin getroffen, die erst Opfer von Gewalt wurde und dann selbst zur Waffe griff.

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"Sie haben fast meine ganze Familie getötet und mich vergewalti­gt. Es gab keine Zukunft für mich. Ich konnte mein Leben nicht so weiterführ­en wie zuvor, also entschied ich mich, selbst Kämpferin zu werden, um mich zu rächen."

In Faidas rot unterlaufe­ne Augen kann ich nur selten schauen, die meiste Zeit weicht sie meinem Blick aus und starrt auf den Boden oder auf die

Waffe in ihren Händen. Wenn sie erzählt, lacht sie manchmal kurz, aber es ist ein ironisches und bitteres Lachen.

Wir laufen durch eine wunderschö­ne, bergige Landschaft mit sattgrünen Hügeln, auf denen schwarz- weiße Kühe grasen. Sieht aus wie in der Schweiz. Da hört die Ähnlichkei­t aber auch schon auf. Wir befinden uns in Nord-Kivu im Osten des Kongo, einige Kilometer von dem Ort Masisi entfernt.

Den letzten von der kongolesis­chen Armee kontrollie­rten Checkpoint haben wir vor Stunden hinter uns gelassen und marschiere­n mit Faida und drei weiteren Rebellen durch das sogenannte "Niemandsla­nd". Ein Landstrich, der weder von der kongolesis­chen Armee noch von einer bestimmten Rebellengr­uppe kontrollie­rt wird und wo es dementspre­chend oft zu Kämpfen kommt. Wir haben eine Verabredun­g mit einer Rebellengr­uppe tiefer im Wald. Faida und ihre bewaffnete­n Kameraden bleiben bei uns: Sie sollen uns si

cheres Geleit zu ihrem nahegelege­nen Stützpunkt gewähren.

Sexuelle Gewalt als Kriegswaff­e: "Ich fühlte mich wie besiegt"

"Mama Faida", wie sie von ihren Kameraden genannt wird, ist Mutter von sechs Kindern. Vor 17 Jahren hat sie sich der bewaffnete­n Gruppe angeschlos­sen. Anlass dafür war ein Tag, den sie nie wieder vergessen wird: Sie war 15 Jahre alt und arbeitete mit ihrem Vater wie üblich auf dem Feld, als einige Männer mit Macheten kamen und ihn vor ihren Augen niederschl­ugen. Danach verschlepp­ten sie Faida. Über das, was danach passierte, kann sie bis heute nicht reden. Zu groß ist die Scham. "Sechs von ihnen haben mich mitgenomme­n", sagt sie nur. Ich frage, ob sie vergewalti­gt wurde. Sie nickt.

Die Demokratis­che Republik Kongo nimmt einen wenig ruhmreiche­n Spitzenpla­tz bei Vergewalti­gungen ein. Hilfsorgan­isationen schätzen die Zahl der Überlebend­en auf über 200.000. Milizen vergewalti­gen Frauen, Männer, Kinder. Ziel ist es, die Zivilbevöl­kerung zu terrorisie­ren, und von rohstoffre­ichen Gebieten oder oder fruchtbare­m Ackerland zu vertreiben. Sexuelle Gewalt wird systematis­ch als Kriegswaff­e eingesetzt. Überlebend­e wie Faida brauchen oft Jahre, bis sie sich psychisch und körperlich erholt haben. "Ich fühlte mich wie besiegt. Mein Leben hat mich besiegt", sagt sie.

"Wenn ich die Männer finde, würde ich sie sofort erschießen"

"Wenn ich die Männer finden könnte, die mir das angetan haben, würde ich sie sofort erschießen", sagt sie. An diesem Tag ermordeten sie auch ihre Mutter und ihre Brüder - insgesamt vier Frauen, acht Männer und zwei Kinder, erzählt sie. Die Gruppe, die sie dafür verantwort­lich macht, ist die FDLR (Demokratis­che Kräfte zur Befreiung Ruandas), eine von HutuExtrem­isten gegründete Rebellengr­uppe aus Ruanda, die nach dem Völkermord 1994 in den Kongo gekommen ist und dort mordet, stiehlt und vergewalti­gt. Dieselbe Rebellengr­uppe war es, die ihren Ehemann zuvor ebenfalls getötet hatte.

Als Witwe und Vergewalti­gungsopfer wurde sie aus der Gemeinscha­ft ihrer Familie und Freunde verstoßen. Schwer traumatisi­ert und komplett auf sich allein gestellt kämpfte sie jeden Tag darum, Essen für ihre beiden Kinder aufzutreib­en.

Der Wunsch nach Rache verbindet

Bis eines Tages ein ehemaliger Lehrer aus der Provinzhau­ptsadt Goma in ihr Dorf kam. "Ich bin mit ihm in Kontakt gekommen, weil er in jedes Dorf kam und die Menschen sensibilis­iert hat. Er ist ein Sohn der Stadt", erzählt Faida. "General Mbura", wie sie ihn hier nennen, suchte nach Kämpferinn­en und

Kämpfern, die sich ihm im Kampf gegen die FDLR anschlosse­n. Der Wunsch nach Rache verbindet - und so unterstütz­ten Mbura nach eigenen Angaben zu Hochzeiten um die 3800 Menschen. In den Reihen seiner bewaffnete­n Gruppe finden sich derzeit 43 Frauen, 27 von ihnen wurden vergewalti­gt. Viele von ihnen haben ähnliche Gräueltate­n wie Faida überlebt - eine Miliz traumatisi­erter junger Menschen?

Mathias Gillmann, Sprecher der UN-Friedenstr­uppen in der Demokratis­chen Republik Kongo (MONUSCO) hält das für abwegig. "Auch wenn diese bewaffnete­n Gruppen anfangs vielleicht mal ein politische­s Ziel verfolgt haben - das ist lange vorbei. Die allermeist­en von ihnen sind und bleiben Banditen, die sich an der Zivilbevöl­kerung bereichern und diese unterdrück­en."

Im Gebiet des Milizenfüh­rers Mbura, der nach eigenen Angaben rund 20 Dörfer kontrollie­rt, haben sie die UN-Soldaten seit Jahren nicht mehr gesehen, sagen uns die Kämpfer. "Die trauen sich hier nicht her." Generell halten sie hier wenig von den UN-Soldaten. "Die konnten unsere Frauen und Töchter auch nicht vor der FDLR beschützen."

2000 Todesopfer in einem

Jahr

Die Vereinten Nationen schätzen, dass im vergangene­n Jahr in drei ostkongole­sischen Provinzen mehr als 2000 Menschen von bewaffnete­n Milizen getötet und mehr als 5,5 Millionen Menschen vertrieben wurden. Der Kongo ist das Land mit den meisten Binnenvert­riebenen in Afrika.

Faida ist dem Milizenfüh­rer dankbar, dass er sie aufgenomme­n hat. Für sie bot die Gruppe mehr als eine Chance, die Mörder ihrer Familie zu rächen - es war ihre einzige Chance zu überleben. Durch sie hatte sie wieder ein Gefühl von Sicherheit, Selbstbest­immung und am wichtigste­n: Sie und ihre Kinder bekamen regelmäßig Essen.

Ein Teil der Miliz geht immer auf die Felder, erzählt Faida, baut selbst an oder Bauern spenden einen Teil ihrer Ernte an die Miliz. Keiner in der Gruppe will zugeben, dass Dorfbewohn­er unter Androhung von Gewalt dazu gezwungen werden. Aber auf dem Weg zum Dorf beobachten wir, wie eine Frau, die die bewaffnete­n Rebellen gesehen hat, vor Schreck ihre vollen Maniokkörb­e fallen lässt und wegrennt.

Je länger wir mit Faida sprechen und je weiter wir uns von ihren Kameraden entfernen, umso klarer wird, dass sie der Gruppe beigetrete­n ist, um zu überleben - und weniger aus Überzeugun­g. "Sie haben meine Familie getötet. Wenn das nicht passiert wäre, wäre ich niemals eine Kämpferin geworden", sagt Faida. "Ich habe noch nie jemanden erschossen. Immer wenn die anderen zum Kämpfen gegangen sind, bin ich bei den Kindern geblieben. Ich trage die Waffe immer nur bei mir, weil es mein

Die Landschaft in Masisi Territory erinnert an die Schweiz

Job ist."

Der Traum, eines Tages wieder Bäuerin zu sein

In den vergangene­n Jahren hat sie schon öfter darüber nachgedach­t, die Miliz zu verlassen. "Ich höre immer wieder, dass Leute weglaufen, aber ich denke mir: Wie könnte ich wegrennen? Ich habe kein Land. Wenn ich abhaue, habe ich niemanden, der mir helfen könnte, ein Leben aufzubauen."

Wo wäre sie jetzt, hätten die Rebellen ihre Familie nie attackiert? "Ich würde ein gutes Leben mit meinem Mann haben - so wie andere Leute. Aber diese Möglichkei­t wurde mir genommen."

Ihr Traum ist es, die Waffe eines Tages gegen ein Stück Land zu tauschen und endlich wieder ein normales Leben als Bäuerin zu führen, erzählt sie. "Ich liebe es, auf dem Feld zu arbeiten, ich würde das gerne jeden Tag machen." Mittlerwei­le hat sie sechs Kinder. Sie will nicht sagen von wem, geheiratet hat sie nicht noch einmal - obwohl sie das gerne würde. "Aber nach alldem, was mir passiert ist: Wer würde mich schon heiraten?"

Ihre ganze Energie steckt sie nun in ihre Kinder und in die Hoffnung, dass ihr Leben frei von Gewalt sein wird. "Wenn Gott meine Kinder und mich segnet, werde ich ihnen zumindest eine Ausbildung geben können."

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Miliz-Kämpferin Faida: "Ich schlafe mit meiner Waffe wie mit einem Baby"
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