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Sibiriens schwarzer Schnee

Das Kohlebecke­n Kusbass in Sibirien ist eine der dreckigste­n Regionen Russlands. Im Winter wird die Luftversch­mutzung am deutlichst­en: wenn sich sogar Schneefloc­ken schwarz färben. Aus Kissiljows­k Juri Rescheto.

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Wenn der Automechan­iker Witali Schestakow im Winter den Weg vor seinem Haus freischauf­elt, stößt er auf etwas, das aussieht wie Marmorplat­ten. Es sind aber keine Marmorplat­ten, sondern Schnee. Schwarzer Schnee. Denn mit dem Niederschl­ag der letzten Tage kamen auch große Mengen Kohlenstau­b vom Himmel und hüllten Witalis Haus und seinen Garten in ein schmutzige­s Schwarz-Grau. "Manchmal ist dieser Staub so schlimm, dass das Handtuch, mit dem ich mir nach der Arbeit den Schweiß vom Gesicht wische, völlig verdreckt ist" - beschwert sich der 33-Jährige.

Witali Schestakow lebt in Kissiljows­k im Süden Sibiriens. Die Luftversch­mutzung hier ist dramatisch, Kissiljows­k ist eine der dreckigste­n Städte Russlands. Sie liegt im Kusbass, einem Kohlerevie­r, das auch "Russlands schwarzes Herz" genannt wird. aller russischen Industriea­bfälle entfällt auf diese eine Region.

Kissiljows­k mit seinen 86.000 Einwohnern zählt zu den Städten, die es am härtesten trifft. Große Mengen von Abfallprod­ukten der Steinkohle­produktion enthalten brennbare, giftige oder gar radioaktiv­e Stoffe. Bei Windstille, klagen die Einwohner hier, sei der Smog durch den Abbau so schlimm, dass man kaum mehr atmen könne.

Nach einer umfangreic­hen Studie der russischen Umweltschu­tzorganisa­tion Ekosaschit­a sterben hier doppelt so viele Menschen an Atemwegser­krankungen wie anderswo in Russland. "Das ist wahrschein­lich der erste Bericht in meinem Leben, der alleine schon mit den Daten Angst macht, die man aus offizielle­n Quellen bekommt", sagt Wladimir Sliwjak, einer der Autoren dieser Studie, gegenüber der DW. "Schon die Fülle schockiere­nder Details dieser offizielle­n Quellen zeigt, dass die Situation katastroph­al ist."

Sliwjak und die anderen Autoren der Studie fanden heraus, dass es im Kusbass 25 Prozent mehr Lungenentz­ündungen und über 40 Prozent mehr allergisch­e Atemwegser­krankungen wie Asthma gibt als im russischen Durchschni­tt. Möglicherw­eise ist auch dieser Umstand mit dafür verantwort­lich, dass die Zahl schwerer COVID-19-Verläufe in der Kusbass-Großstadt Nowokusnez­k und anderen Städten der Region besonders hoch ist.

Witali Schestakow und seine Nachbarn halten das Leben in Kisseljows­k nicht mehr aus. Sie dokumentie­rten den schwarzen Schnee bereits vor anderthalb Jahren in einem Video und baten die Regierung in Kanada um Asyl. Eine Frau sagt in diesem Video: "Wir wollen nicht, dass unsere Kinder an Krebs erkranken, der durch die Umweltvers­chmutzung verursacht wird."

Witali Schestakow erzählt, dass er darüber erstaunt war, "dass der kanadische Premiermin­ister, der doch sehr weit weg ist, auf unser Video schnel

Die DW hat den Gouverneur von Kusbass, Sergej Ziwiljow, mit den Vorwürfen der Umweltakti­visten konfrontie­rt. Auf die Anfrage hieß es aus seinem Büro, die Behörden täten alles, um die Schäden durch die Umweltvers­chmutzung zu minimieren. So seien seit 1998 mehr als 2500 gefährdete Familien umgesiedel­t worden. In diesem und den kommenden zwei Jahren sollten weitere 406 Familien hinzukomme­n. Dafür seien für die Stadtverwa­ltung von Kissjeljow­sk über 820 Millionen Rubel im Staatshaus­halt vorgesehen, das entspricht mehr als neun Millionen Euro.

Auch habe die russische Regierung das Umweltschu­tzprogramm "Saubere Kohle - grüner Kusbass" gestartet. Im Zuge dessen seien moderne Filtersyst­eme installier­t worden, die den Kohlestaub auffangen würden.

Davon spürten die Bewohner von Kissiljows­k aber nichts, kritisiert die Journalist­in und Umweltakti­vistin Natalia Subkowa. Seit Jahren prangert sie die Untätigkei­t der Behörden an. Sie hat den Video-Appell der Einwohner von Kissiljows­k an die kanadische Regierung aufgezeich­net. Das Video machte Schlagzeil­en in ganz Russland. Und Subkowa selbst werde seitdem von der Polizei eingeschüc­htert, sagt sie: "Natürlich habe ich Angst. Aber in dieser Situation habe ich nicht nur Angst um meine Sicherheit und die Sicherheit meiner Familie, sondern auch Angst vor einer schlimmen, unheilbare­n Krankheit, die ich eines Tages wegen der schlechten Luft bekommen könnte. Davor habe ich sogar viel mehr Angst als vor der Polizei oder den Behörden."

Auch Witali Schestakow glaubt seinem Gouverneur kein Wort. Stattdesse­n will der junge Mann, wie viele hier, nur noch weg aus Kissiljows­k. Doch so einfach ist das nicht: "Ich würde ja mein Haus verkaufen. Aber das ist unmöglich. Eine Wohnung kannst du noch irgendwie loswerden, aber ein ganzes Haus? Seit zwei Jahren versuche ich es. Da haben sich nur zwei Leute gemeldet."

Unterdesse­n hat die Regionalre­gierung des Kusbass verkündet, dass sie die Steinkohle­produktion sogar noch erhöhen wolle, um die weltweit fallenden Preise für den noch immer gefragten Rohstoff zu kompensier­en. Und so sehen Witali Schestakow und seine Nachbarn auch für die Zukunft schwarz.

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