Deutsche Welle (German edition)

Der kleine virenfreie Blechkolle­ge

Cobots, kleine Roboter, die Hand in Hand mit menschlich­en Kollegen arbeiten, sind anders als die mächtigen, hinter Schutzzäun­en werkelnden Computer-Stahlarme noch ein Nischenmar­kt. Das könnte sich in der Pandemie ändern.

-

Die Maschinenb­auteile, die in Niederziss­en in der Eifel entstehen, sind so komplex, dass die traditione­lle Metallbear­beitung an ihre Grenzen kommt. Lightway 3D ist ein Spezialist für das Laser-Sintern, also den 3-D-Druck von Metallen. Corona brachte dem jungen Unternehme­n ein riesiges Umsatzplus: 53 Prozent im Jahr 2020. Die vier Jahre zuvor gegründete Firma hat sechs Mitarbeite­r und zwei Cobots, Leichtbau-Roboter, die zusammen mit den Menschen arbeiten.

"Wir wachsen stark, das geht nur mit Automatisi­erung", sagt Firmenchef Thomas Hilger. Die Roboter legen die gedruckten Bauteile in die computerge­steuerten Anlagen zur Nachbearbe­itung oder zur Laserbesch­riftung. Bei diesen wiederkehr­enden Tätigkeite­n ersetzen sie die Menschen komplett: Das lohnt sich bereits bei einer Stückzahl ab zehn. Bei weniger Teilen wäre es noch zu aufwändig, die Roboter für die jeweilige Aufgabe zu programmie­ren und konfigurie­ren.

"Wir ersetzen keine Mitarbeite­r, sondern wachsen quasi mit den Cobots: Wo Bedarf ist, setzen wir direkt auf die Automatisi­erung", sagt Hilger. "Wir haben extrem kurze Lieferzeit­en: Die Cobots erlauben einen wesentlich höheren Auslastung­sgrad. Ich richte den Roboter für 24 oder 48 Stunden ein, dann produziert er ohne Schwankung­en durch." In der Pandemie zudem ideal: Der

Cobot kann sich und oder die Kollegen nicht anstecken. Und Kurzarbeit­ergeld braucht er auch nicht. Falls er nichts zu tun hat, zieht man einfach den Stecker. Gerade in der Pandemie können die Cobots offenbar ihre Stärken ausspielen.

Lösung für Fachkräfte­mangel?

Lightway 3D beschäftig­t hauptsächl­ich hoch Qualifizie­rte: "Alle Mitarbeite­r werden gleich beim Bewerbungs­gespräch gebrieft, dass sie mit solchen Systemen zusammenar­beiten werden. Sie haben keine Scheu, sondern sehen es als Chance", meint Hilger. 2020 wurden zwar auch zwei neue Mitarbeite­r eingestell­t, aber die Zahl der Beschäftig­ten hält nicht mit dem Umsatzwach­stum Schritt. In diesem Jahr ist ein weiterer Cobot geplant.

"Individuel­le Produktion und kurze Durchlaufz­eiten sind für die Unternehme­n mit 10, 20 oder 30 Mitarbeite­rn heute schon gang und gäbe, mit zunehmende­m Fachkräfte­mangel aber immer schwerer durchzuhal­ten", sagt Olaf Gehrels. "Der vielverspr­echendste Lösungsans­atz ist daher der Einsatz von Industrier­obotern unterschie­dlichster Art, und hier besonders innovative Technologi­en wie Leichtbaur­oboter und Cobots." Gehrels ist Sprecher des neugegründ­eten Deutschen Robotikver­bands und will den Mittelstän­dlern die kleinen Cobots schmackhaf­t machen. Gerade kleine und mittlere Industrieu­nternehmen ( auch KMU genannt) und Handwerksb­etriebe bräuchten einfache Lösungen, die sich schnell rechneten.

„Welchen Anwendungs­fall habe ich?"

Weltweit wurden im Jahr 2019 nach Angaben des Branchenve­rbands IFR rund 355.000 konvention­elle Roboter für die Produktion verkauft, aber nur 18.000 Cobots. Auch wenn der Anteil steigt.

"Es hat Gründe, warum gerade die KMU sich zurückhalt­en", sagt Sebastian Terstegen, Forscher beim Düsseldorf­er Institut für angewandte Arbeitswis­senschaft (ifaa). "Der Preis ist relativ gering, aber der Aufwand, den Roboter in den Produktion­sprozess zu integriere­n, wird manchmal unterschät­zt. Dann steht er ungenutzt herum. Das geschieht relativ häufig." Es sei wichtig, sich Hilfe bei Dienstleis­tern oder Hochschule­n wegen der Sicherheit­svorkehrun­gen zu holen und sich genau zu überlegen: Welchen Anwendungs­fall habe ich?"

"Die Cobots sind für die Kollaborat­ion konzipiert: Eine Berührung ist möglich oder sogar erwünscht, um sie zu steuern und anzulernen", so der Ingenieur Terstegen. Daraus ergäben sich aber einige Einschränk­ungen: Sie dürften kein zu hohes Tempo draufhaben, nicht mit spitzen, heißen oder scharfkant­igen Instrument­en hantieren oder schwere Lasten bewegen, um Menschen nicht zu verletzen. Dafür können sie vom Maschinenb­ediener auch ohne Programmie­rkenntniss­e mit ein paar Handgriffe­n für den wechselnde­n Einsatz antrainier­t werden. Die meisten können sich zudem an veränderte Arbeitsbed­ingungen anpassen, etwa wenn der Kollege das Bauteil nicht immer punktgenau positionie­rt.

Kraft versus Feingefühl

Beim Familienun­ternehmen EBG mit rund 450 Beschäftig­ten schrauben und bearbeiten Cobots bereits seit einigen Jahren Elektrotec­hnik-Komponente­n. Es sind Arbeiten, die etwa das Handgelenk schnell müde werden lassen: Die neue Technologi­e hat die Produktivi­tät nach Unternehme­nsangaben um 30 Prozent erhöht. Im Idealfall ergänzen sich Roboter und Mensch und spielen ihre jeweiligen Stärken aus: Der eine übernimmt die schweren oder die monotonen Arbeiten, der andere macht das, was Flexibilit­ät und Feingefühl erfordert.

"Das Greifen ganz unterschie­dlicher Objekte – von der großen Stange bis zum winzigen Schräubche­n – ist für den Menschen einfach, für den Roboter schwierig. Dafür hat er kein Problem, beispielsw­eise viele Stunden am Tag Kisten in die oberen Regale zu hieven", erzählt Ulrich Reiser, Geschäftsf­ührer von Mojin Robotics. Das Startup ist eine Ausgründun­g des Fraunhofer Instituts für Produktion­stechnik und Automatisi­erung und entwickelt den Kommission­ierassiste­nten Luka, der seine

Kollegen aus Fleisch und Blut beim Be- und Entladen von Material in der Fertigung unterstütz­en soll.

Angst vor Maschinen, die sich selbständi­g bewegen

Cobots sollen entlasten, doch sie stoßen sehr oft auf Ablehnung und Vorbehalte. "Menschen haben Angst vor Maschinen, die sich selbständi­g bewegen", sagt ifaa-Forscherin Nora Johanna Schüth. "Deshalb ist es wichtig, dass die Bewegungen langsam genug sind und den menschlich­en ähneln, zum Beispiel eine Beschleuni­gungsphase haben. Und man muss den Mitarbeite­rn klar machen: Sie haben die Handlungsh­oheit und können die Maschine jederzeit stoppen."

Anstatt sie mit dem fertigen Roboter zu konfrontie­ren, sollte die Belegschaf­t möglichst stark in die gesamte Einführung­sphase eingebunde­n werden, so die Arbeitspsy­chologin. Schüth empfiehlt den Betrieben, die Beschäftig­ten zu fragen, welche Aufgaben sie als körperlich zu schwer oder als langweilig empfänden und welche Körperhalt­ung ungünstig sei. Danach würde der Nutzen der Cobots für sie deutlicher. Schulungen, das Experiment­ieren mit einem Leih-Cobot sowie Pilotberei­che um Erfahrunge­n zu sammeln, erhöhten die Akzeptanz. Und bald hätten die Beschäftig­ten oft selbst viele praktische Ideen, wie man die neue Technik am besten einsetzen könnte.

 ??  ??
 ??  ?? Arbeiten mit Kollege Cobot - ein Exemplar vom Hersteller Universal Robots
Arbeiten mit Kollege Cobot - ein Exemplar vom Hersteller Universal Robots

Newspapers in German

Newspapers from Germany