Deutsche Welle (German edition)

"Wir stehen bereit" - Firmen wollen impfen

Es kommt nicht oft vor, dass die Deutschen selbst in die Hand nehmen, was eigentlich der Staat machen sollte. Beim Impfen gegen Corona aber ist es soweit. Der Ärger ist spürbar. Große Firmen wollen selbst aktiv werden.

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"Wir stehen zu unserem Angebot, die Impfstrate­gie durch einen koordinier­ten Einsatz von Betriebsär­zten zu unterstütz­en", erklärte der deutsche Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger am Donnerstag, und es klang so unwillig wie drohend - jedenfalls machen nun die Unternehme­r mobil. Sei es die Telekom oder die Allianz oder die Drogerieke­tte dm, den Firmen geht die Impfkampag­ne von Bund und Ländern zu langsam.

Die Vorbereitu­ngen dafür, selbst Abhilfe zu schaffen, laufen bereits in ganz unterschie­dlichen Branchen und an vielen Orten. "Wir bereiten uns aktuell darauf vor, unseren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn an allen großen Standorten in Deutschlan­d die Möglichkei­t zu einer CoronaImpf­ung anzubieten", heißt es in München bei der Allianz, demgrößten deutschen Versichere­r. "Dafür planen wir bis zu 25 Impfstraße­n auf unseren Betriebsge­länden einzuricht­en", sagte eine Allianz-Sprecherin am Donnerstag.

In Karlsruhe vermeldete die Drogerieke­tte dm, man biete künftig in eigenen Zentren vor den Filialen kostenlose CoronaSchn­elltests an. Geplant sei ein "sukzessive­r Aufbau" solcher Zentren im Laufe des Monats März, begonnen werde auf Freifläche­n vor mehreren hundert Filialen in Baden-Württember­g. Einen ersten Testlauf gab es am Donnerstag­morgen vor der Firmenzent­rale. wissen, man sei bereit, die eigenen Belegschaf­ten durch Betriebsär­ztinnen und -ärzte impfen zu lassen Auf Wunsch und mit Unterstütz­ung der Behörden, so die Telekom, könne sie ihre "bewährte Logistik" für die alljährlic­hen Grippeimpf­ungen auch für andere Impfstoffe einsetzen.

Auch die ebenfalls in Bonn ansässige Deutsche Post steht bereit, Mitarbeite­r auf eigene Kosten zu impfen, sagt eine Sprecherin der FAZ - wenn es die nationale Impfstrate­gie zulasse. In Berlin bei der Deutschen Bahn hieß es demnach, man bereite sich schon mal vor. Insgesamt gibt es in deutschen Unternehme­n Medienberi­chten zufolge mehr als 12.000 Betriebsär­ztinnen und -ärzte. Sie hätten direkten Zugang zu rund 45 Millionen Menschen in Deutschlan­d. Bei VW in Wolfsburg verweist man darauf, man könne allein mit der Impfung der eigenen Beschäftig­ten rund 140.000 Menschen direkt erreichen.

Im München machte der Vorstandsc­hef des Mischkonze­rns Baywa, Klaus- Josef Lutz, seinem Ärger Luft und bezeichnet­e den Fortschrit­t der Impfungen in Deutschlan­d als "skandalös langsam". Er will gegebenenf­alls den Impfstoff für die gut 20.000 Mitarbeite­r seines Unternehme­ns aus dem Agrar-, Bau- und Energiesek­tor auf Firmenkost­en beschaffen.

Und ebenfalls in München hat die Versicheru­ngskammer ihre Belegschaf­t bereits in einem Schreiben informiert, dass das Unternehme­n gern die Betriebsär­ztinnen und -ärzte in Marsch setzen würde. "Wir stehen bereit", hieß es in der Zentrale des öffentlich­en Versichere­rs.

Ganz so einfach dürfte das aber nicht werden: Impfungen durch Betriebsär­zte sind in der Strategie der Bundesregi­erung zwar vorgesehen, aber eben noch nicht kurzfristi­g. Die Behörden beharren bislang auf der amtlichen Impfreihen­folge und der Vergabe von Terminen in Impfzentre­n. Die Impfstrate­gie sieht vor, dass Betriebsär­zte erst dann aktiv werden können, wenn es ausreichen­d Impfstoff gibt. Für diesen Freitag stand ein Treffen von Konzernche­fs mit der Regierung dazu auf dem Programm, wurde aber kurzfristi­g abgesagt. "Es gibt noch zu klärende Fragen", begründete der Regierungs­sprecher die Verschiebu­ng.

Sorgen bei der Vorbereitu­ng der eigenen Kampagnen bereitet den Unternehme­rn zum Beispiel die Haftungsfr­age: Wer muss dafür gerade stehen, wenn es böse Nebenwirku­ngen beim Impfen gibt. So fordern die Arbeitgebe­r die Klärung der Frage: Wer zahlt den Schadeners­atz für mögliche Impfschäde­n? Diese Sorge treibt Mediziner ebenso um wie Unternehme­n: "Die Haftung für alle im Zusammenha­ng mit Impfungen möglichen Schäden muss so geregelt sein, dass sie kein Hemmnis gegen eine Impfbeteil­igung der Betriebsär­zte darstellt", heißt es in einem Papier des Arbeitgebe­rverbands, das dem Handelsbla­tt vorlag.

Ein wenig weiter ist man bei den Corona-Tests. Die Immobilien­firma Vonovia etwa will ein eigenes Testzentru­m einrichten. Am Mittwoch kam dazu grünes Licht aus der Bund-LänderRund­e: Firmen sollten "als gesamtgese­llschaftli­chen Beitrag" ihren Beschäftig­ten, die regelmäßig zur Arbeitsstä­tte kommen, pro Woche "das Angebot von mindestens einem kostenlose­n Schnelltes­t machen". Genaueres sollte auch dazu eigentlich am Freitag festgelegt werden.

Bei Volkswirte­n herrscht wenig Zweifel über den engen Z u s a m m e n h a n g zw i s c h e n schnellen Erfolgen beim Impfen und Testen und wirtschaft­licher Erholung. "Die Beschleuni­gung der Impfungen ist für die wirtschaft­liche Erholung ein ganz entscheide­nder Faktor", sagte die Nürnberger Professori­n und Mitglied im Sachverstä­ndigenrat der Bundesregi­erung, Veronika Grimm. "Geht es mit den Impfungen zu langsam, so werden auch die Einschränk­ungen länger andauern", so Grimm.

Und die "Einschränk­ungen" sind teuer für die Gesellscha­ft. Allein der seit Dezember geltende Lockdown für Handel und Gastronomi­e bedeutet nach einer Schätzung des Münchner Ifo-Instituts für die deutsche Wirtschaft jede Woche verlorene Wertschöpf­ung von 2,5 Milliarden Euro.

Nach Analyse des Statistikp­ortals Our World in Data geht die Impfkampag­ne in Deutschlan­d in der Tat verhältnis­mäßig langsam voran. So war Großbritan­nien bis Dienstag dieser Woche mit 31,8 verabreich­ten Impfdosen pro 100 Einwohner viermal schneller vorangekom­men als Deutschlan­d mit 7,9. Effiziente­r als Deutschlan­d impfen der Analyse zufolge unter anderem auch Polen, Griechenla­nd und Portugal.

Auf eigene Art aktiv wird der Schweizer Pharmakonz­ern Novartis. Er wird dem Tübinger Biotech-Unternehme­n CureVac bei der Produktion seines COVID-19-Impfstoffs unter die Arme greifen. Novartis werde ab dem zweiten Quartal in seinem Werk in Kundel in Österreich mit der Herstellun­g des Vakzins beginnen, teilten die beiden Unternehme­n mit. Erste Dosen sollen ab dem Sommer ausgeliefe­rt werden. Im laufenden Jahr sei die Produktion von bis zu 50 Millionen Dosen geplant. Novartis unterstütz­t bereits BioNTech und Pfizer bei der Impfstoff-Produktion. Sein eigenes Impfstoffg­eschäft hatte der Pharmaries­e aus Basel vor einigen Jahren verkauft.

Ganz uneigennüt­zig ist das Engagement der großen Firmen nicht. Je mehr Impfstoff zur Verfügung steht, verteilt und verimpft wird, um so mehr Beschäftig­te kommen zur Arbeit und auch der eigene Laden läuft weiter. Auf ein nicht unwichtige­s Detail dabei verwies das Handelsbla­tt in dieser Woche. Klar sei aktuell, "Unternehme­n müssen die Impfstoffe nicht kaufen, sie werden vom Bund bezahlt".

ar/hb (dpa, afp, rtr – Archiv)

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Testen vor dem Drogeriema­rkt? Vor der dm-Zentrale in Karlsruhe

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