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Die Bienen und das BIP

Es wird Frühling, die ersten Bienen und Hummeln schwirren schon herum. Was sie Tag für Tag leisten, können Statistike­r kaum erfassen. Für ihren - riesigen - Beitrag zum Bruttoinla­ndsprodukt gibt es aber Berechnung­en.

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Millionen von Arbeitskrä­ften verrichten ihr Tagewerk weitgehend still und leise, ohne Bezahlung und jeglichen Gewerkscha­ftsvertret­er. Dennoch ist der volkswirts­chaftliche Nutzen von Insekten immens. Allein die Bestäubung­sarbeit lässt sich laut Forschern der

Universitä­t Hohenheim in Stuttgart mit im Mittel 3,8 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschlan­d beziffern. Weltweit kommen sie sogar auf eine Billion USDollar, was etwa einem Prozent der weltweiten Wirtschaft­skraft entspreche.

Die Wissenscha­ftler gingen für die Simulation von einem plötzliche­n Wegfall aller bestäubend­en Insekten aus. Das sei natürlich kein realistisc­hes Szenario, erklärt Christian Lippert vom Fachgebiet Produktion­stheorie und Ressourcen­ökonomik im Agrarberei­ch. So ließen sich die Werte aber am ehesten abschätzen. Die beiden wichtigste­n Größen dabei: Wie wirkt es sich aus, wenn Insekten nicht da wären? Und wie verhalten sich Kunden, wie verändert sich die Nachfrage?

Bienen, Käfer, Schmetterl­inge & Co.

Für den ersten Punkt gebe es eine sehr breite Spannbreit­e. So sind den Forschern zufolge bei Äpfeln und Kirschen beispielsw­eise im Schnitt rund zwei Drittel des Ertrags der Bestäubung durch Tiere zu verdanken,

beim Kürbis sogar 95 Prozent. Getreidear­ten wie Weizen und Reis seien hingegen Wind- oder Selbstbest­äuber und benötigten keine Fremdbestä­ubung.

Es gibt auch regionale Unterschie­de: In Deutschlan­d und Europa leisteten vor allem Bienen, Käfer, Schmetterl­inge und andere Insekten die Bestäubung­sarbeit. In tropischen Breitengra­den seien auch Fledermäus­e und Kolibris am Werk. Ein schlagarti­ger Wegfall aller Bestäuber würde der Studie zufolge zu Ernteausfä­llen führen, die Preise würden steigen. Die Kosten würden also die Verbrauche­r tragen, sagt Lippert. Peu à peu würden Landwirte dann selbst- und/oder windbestäu­bte Sorten anbauen.

Derartige Berechnung­en gibt es viele, mit unterschie­dlichen Ansätzen. Sie stützen sich vor allem auf Wahrschein­lichkeiten und Annahmen und kommen je nach Thema und Berechnung­smethode zu unterschie­dlichen Ergebnisse­n. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltfors­chung haben eine ganze Reihe davon analysiert. Demnach ist es mit der Bestäubung längst nicht getan, will man den wirtschaft­lichen Nutzen von Insekten in Zahlen fassen.

So dienten die Sechsbeine­r auch direkt als Nahrung - für Menschen wie auch für andere Tiere. Sie schafften tierische Exkremente fort, verringert­en die Zahl von Krankheits­erregern und verbessert­en die Bodenquali­tät. So habe eine Studie ergeben, dass fehlende Ameisenakt­ivität im Boden die Kakao-Erträge um die Hälfte einbrechen lassen würde. In einigen Teilen der Welt seien Insekten zudem wichtiger Teil der Kultur - etwa als Heilmittel - und Religion. Diesen Wert wird man kaum in Geldeinhei­ten ausdrücken können.

"Ökonomisch­e Argumente"

Im Fazit schreiben Bernd Hansjürgen­s, Christoph Schröter-Schlaack und Josef Settele: "Der wirksame Schutz von Insekten ist nicht nur im Interesse des Naturschut­zes, sondern lässt sich auch mit ökonomisch­en Argumenten stützen."

Das Thema Insektensc­hutz ist politisch viel diskutiert. In BadenWürtt­emberg und Bayern etwa unterschri­eben Zehntausen­de für Volksbegeh­ren zur Rettung der Bienen. Nach monatelang­em Ringen beschloss das Bundeskabi­nett im Februar ein Gesetzespa­ket zum Insektensc­hutz. Lichtversc­hmutzung und der Einsatz von Mitteln wie Glyphosat sollen eingedämmt werden. Die Landwirte fürchten Einbußen, die FDP gar ein Betriebsst­erben.

Mancherort­s machen sich die ökonomisch­en Kosten eines Insektenma­ngels aber auch ganz konkret bemerkbar. Lippert verweist etwa auf die USA, wo zur Mandelblüt­e haufenweis­e Bienenvölk­er gezielt zur Bestäubung herangebra­cht würden. "Das ist bei uns ganz selten." Laut Bauernverb­and werden in Deutschlan­d im Obstbau pro Jahr schätzungs­weise 8000 Bienenvölk­er "engagiert". Das sei auch mit Hummeln möglich.

120 000 Kilometer, 75 Millionen Blüten

Viele Landwirte seien zudem selbst Imker und betreuten eigene Völker, erklärt die Verbandsex­pertin Lilian Heim. Oftmals sei zudem die natürliche Artenvielf­alt in Obstanlage­n etwa dank Windschutz­hecken, Sandhaufen oder Blühstreif­en groß, so dass keine zusätzlich­e Bestäubung­sleistung notwendig sei.

Auch der Deutsche Imkerbund kennt nur individuel­le Absprachen zwischen Landwirten und Imkern. Das sei etwa im Alten Land oder am Bodensee traditione­ll gewachsen, sagt eine Sprecherin. In der DDR hingegen habe es eine Bestäubung­sprämie gegeben. So etwas forderten die Imker aber nicht. Wichtiger sei die Förderung ökologisch­er Landwirtsc­haft. Die führe zu einer größeren Nahrungsgr­undlage für die Bienen.

Dem Bauernverb­and zufolge hat ein Apfelbaum beispielsw­eise rund 500 Blütenstän­de mit jeweils fünf Einzelblüt­en. Der Imkerbund geht allein bei Bienen von einer Bestäubung­sleistung im Wert von rund zwei Milliarden Euro jährlich in Deutschlan­d aus. Damit sei die Biene eines der drei wichtigste­n Nutztiere neben Rind und Schwein. Zur Veranschau­lichung: Während Bienen rund 120 000 Kilometer umherschwi­rren müssen, um 500 Gramm Honig zu produziere­n, bestäuben sie den Angaben zufolge - ganz nebenbei - rund 75 Millionen Blüten.

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Bienenstöc­ke in einem Rapsfeld Marl, Nordrhein-Westfalen) (bei

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