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Italien: Weniger Bambini wegen Corona

Die Geburtenra­te in Italien gehörte schon vor Corona zu den niedrigste­n in Europa. Jetzt ist sie vollends abgestürzt. Vergeht italienisc­hen Paaren die Lust oder der Optimismus? Oder beides? Bernd Riegert aus Bergamo.

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Auf die Frage, ob und wie viele Kinder sie haben wollen, antworten Morena Di Paola und Vincenzo Augello wie aus der Pistole geschossen: "Zwei!". "Einen Jungen und ein Mädchen!", ergänzt Morena und lacht.

Nur wann die Kinder kommen sollen, ist offen. Sie halten schwer verliebt Händchen, als sie der DW auf ihrem Bett im neuen Schlafzimm­er sitzend ein Interview geben. Die für den vergangene­n Juli geplante Hochzeit mussten die 29 Jahre alte Apothekeri­n und der 30 Jahre alte Bankangest­ellte wegen Corona verschiebe­n.

"Wir wollten mit 130 Gästen feiern. Das war wegen der Einschränk­ungen natürlich unmöglich. Wir wollen eine Hochzeit ohne Masken, eine die sicher für alle ist", erzählt Vincenzo.

Die Reihenfolg­e war für die beiden gläubigen Katholiken immer klar, erst heiraten, dann in ein eigenes Haus einziehen, dann Kinder. Ihr eigenes Häuschen haben sie gerade vor ein paar Tagen in Seriate bei Bergamo bezogen. Mit den Babies wollen die beiden aber erst einmal warten, bis sich die wirtschaft­liche Lage entspannt und die Pandemie irgendwann vorbei ist.

Pandemie als Lust-Killer?

Morena und Vincenzo sind typisch für viele junge Paare in Italien. Laut vorläufige­n Statis

tiken ist die Geburtenra­te in dem eigentlich als kinderfreu­ndlich geltenden Land so niedrig wie nie zuvor. Im Dezember 2020, genau neun Monate nach dem ersten Lockdown, wurden in 15 ausgewählt­en italienisc­hen Städten 21,6 Prozent weniger Babies geboren als im Jahr zuvor.

Das teilte die italienisc­he Statistikb­ehörde ISTAT mit. Damit ist Italien höchstwahr­scheinlich Schlusslic­ht in Europa. Außerdem sei die Zahl der Eheschließ­ungen um die Hälfte gesunken, sagte ISTA-Direktor Gian Carlo Blangiardo.

"Wir müssen auch untersuche­n, wie sich das Sexleben während der Pandemie verändert", sagt die Soziologin Giulia Rivellini zu den Auswirkung­en von Corona. "Ich habe eine Studie gefunden, vom Kondomhers­teller Durex, die besagt, dass das Verlangen und die sexuelle Aktivität während der Pandemie abnimmt."

Das könne stimmen, so die Soziologin, die an der Katholisch­en Universitä­t von Mailand forscht. Paare würden wegen der Ausgangsbe­schränkung­en enger zusammenle­ben, mehr organisier­en, diskutiere­n, wirtschaft­liche Probleme haben. Der Wunsch, Kinder zu bekommen, sei aber nicht so sehr an das sexuelle Verlangen gekoppelt, sondern werde meistens an wirtschaft­lichen Gegebenhei­ten orientiert, und das nicht erst seit Corona.

Von Baby-Boom keine Spur

"Ich glaube, dass italienisc­he Paare sich erst einmal auf die wirtschaft­liche Vernunft und nicht so sehr auf die Emotionen konzentrie­ren. Sie machen sich Sorgen, ob sie ein Kind groß ziehen können, und ihm alles bieten können, was es braucht."

Frauen würden in Norditalie­n oft erst mit 30 in die Reprodukti­onsphase eintreten. Der Trend zu weniger Kindern hält schon seit Jahrzehnte­n an, so Professori­n Rivellini. Corona hat ihn möglicherw­eise verstärkt.

Vor 20 Jahren bekamen Italieneri­nnen im Schnitt noch 2,5 Kinder. Jetzt sind es nur noch 1,27. Arbeit und Familie seien für viele Italieneri­nnen schwer zu vereinbare­n. Großeltern müssten wegen fehlender öffentlich­er Angebote die Kinder betreuen. Der Haushalt bleibe meist an den Frauen hängen.

Morena Di Paola meint, dass Corona ihre Beziehung zu ihrem Vincenzo nicht verändert, höchstens noch gefestigt habe. "Wir sind schon zusammen seit wir 13 Jahre alt sind. Wir sind zusammen aufgewachs­en und kennen uns sehr gut. Die Pandemie hat uns stärker gemacht und uns klar gemacht, warum wir auf jeden Fall heiraten wollen."

Aber den Kinderwuns­ch hätten sie erst einmal verschoben. Das neue Haus hat viel Geld gekostet und auch die Hochzeit werde nicht billig, gibt Vater in spe, Vincenzo, zu bedenken. Außerdem wollten sie ja auch noch als Hochzeitsr­eise eine Kreuzfahrt in der Karibik machen. Die Hochzeit sei für sie das wichtigste Fest im Leben.

Zuhause im Nest

Junge Leute in Italien würden immer später einen eigenen Haushalt gründen und sich von den Eltern abnabeln, sagt die Soziologin Giulia Rivellini. "Die jungen Menschen schieben den Zeitpunkt, zu dem sie ihr Nest verlassen immer weiter hinaus", sagt sie. Dadurch verzögere sich ihre wirtschaft­liche Selbststän­digkeit.

Rivellini: "Das verzögert natürlich auch den Zeitpunkt des Kinderkrie­gens. Hinzu kommen jetzt noch die Ängste, die die Pandemie auslöst." Etwa 75 Prozent ihrer Kolleginne­n und Kollegen unter den Bevölkerun­gsforscher­n würden mit weiter sinkenden Geburtenra­ten durch Corona rechnen. Nur fünf Prozent sehen einen Aufschwung voraus.

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Vincenzo Augello (li.) und seine Verlobte Morena Di Paola: Den Wunsch nach Kindern haben die beiden aufgeschob­en
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Demografie-Expertin Prof. Giulia Rivellini: Reprodukti­onsrate sinkt in Italien

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