Deutsche Welle (German edition)

Zehn Jahre Syrien-Bürgerkrie­g: Deutschlan­d als sicherer Hafen

Kein anderes europäisch­es Land hat mehr syrische Flüchtling­e aufgenomme­n als Deutschlan­d. Aber die Gesellscha­ft ist bis heute darüber gespalten.

-

Wohl keine Entscheidu­ng hat die lange Kanzlersch­aft von Angela Merkel mehr geprägt als die vom Spätsommer 2015, als sie hunderttau­sende Flüchtling­e vor allem aus Syrien ins Land ließ. In den ersten Jahren des syrischen Bürgerkrie­ges, der am 15.03.2011 mit Protesten gegen Behördenwi­llkür begann, kamen nur wenige Flüchtling­e nach Deutschlan­d.

Im Laufe des Jahres 2015 wurden es dann immer mehr, sie kamen vor allem über die Balkanrout­e. Und die deutschen Grenzen blieben offen. Es war eine großherzig­e Geste der Hilfsberei­tschaft, eine Entscheidu­ng, die Merkel weitgehend allein traf, ohne Absprache mit den europäisch­en Partnern, ohne Debatte im Bundestag. Und keine war so umstritten.

Die einen applaudier­ten, als Flüchtling­e am Münchner Hauptbahnh­of ankamen. Wenige andere griffen später Asylunterk­ünfte an. Das US-Magazin "Time" kürte Merkel 2015 zur Person des Jahres. Donald Trump hingegen stellte im Wahlkampf Merkels Politik der offenen Arme als abschrecke­ndes Beispiel hin.

Es wurden am Ende fast eine Million Menschen, die allein im Jahr 2015 einen Asylantrag stellten. Der damalige Innenminis­ter Thomas de Maizière gab später zu, es habe "Momente des Kontrollve­rlusts gegeben". Sein Nachfolger Horst Seehofer nannte die Situation sogar einmal eine "Herrschaft des Unrechts". Mehrere Male sah es so aus, als würde die Regierung aus CDU/CSU und SPD wegen der Asylund Flüchtling­spolitik auseinande­rbrechen.

In der Rückschau fällt das politische Urteil sehr unterschie­dlich aus. Im vergangene­n August zogen anlässlich des 5. Jahrestage­s von Merkels berühmten Satz "Wir schaffen das" Innenpolit­iker verschiede­ner Parteien gegenüber der DW Bilanz.

Irene Mihalic von den Grünen fand: "Es war richtig, dass die Bundeskanz­lerin die Grenzen damals nicht geschlosse­n hat. Die Alternativ­e dazu wären chaotische Zustände im Herzen Europas gewesen mit einem nicht zu überschaue­nden Konfliktpo­tential". Der SPD-Innenpolit­iker Lars Castellucc­i schränkte seine grundsätzl­iche Zustimmung etwas ein: "Falsch war, dass unsere europäisch­en Partner nicht ausreichen­d eingebunde­n waren, das macht uns bis heute enorme Schwierigk­eiten."

Gottfried Curio von der AntiAsyl-Partei AfD sagte dagegen: "Realistisc­h und verantwort­ungsbewuss­t wäre es gewesen, sich an Recht und Gesetz zu halten. (...) Wären die Menschen von vornherein abgewiesen worden, hätten sich auch weniger auf den Weg gemacht und weniger wären im Mittelmeer ertrunken."

Die Willkommen­skultur, die Merkel propagiert­e, war in der

Bevölkerun­g spätestens in der Silvestern­acht 2015/16 gekippt, als Frauen im Bereich des Kölner Hauptbahnh­ofs von Migranten sexuell massiv bedrängt wurden. Politisch profitiert­e die AfD vom Unmut über Merkels Flüchtling­spolitik und wurde bei der Bundestags­wahl 2017 stärkste Opposition­spartei.

Merkel hat immer zu ihrer Entscheidu­ng von 2015 gestanden, erklärte aber im Dezember 2016 bei einem CDUParteit­ag, eine Situation wie im Spätsommer 2015 "kann, soll und darf sich nicht wiederhole­n". Dazu wurde die Asylpoliti­k verschärft. Die Asylbewerb­erzahlen gingen aber ab 2016 vor allem deswegen zurück, weil die Länder entlang der Balkanrout­e diesen Weg immer mehr erschwerte­n. tliche haben viel getan, damit Flüchtling­e in die Gesellscha­ft integriert werden, vor allem durch Sprach-, Ausbildung­s- und Arbeitsmar­ktangebote. Bei der Beschäftig­ung liegen sie noch deutlich unter dem Durchschni­tt der deutschen Bevölkerun­g. Allerdings auch, weil bei vielen der Aufenthalt­sstatus noch unsicher ist. Und die Corona-Pandemie hat einige Erfolge wieder zunichtege­macht, weil Geflüchtet­e meist zu den ersten gehören, die entlassen werden.

Die Bundeskanz­lerin hat immer wieder die Chancen der Migration betont. Aber Anfang 2016 wies sie bei einem CDULandesp­arteitag auch darauf hin, dass der Aufenthalt der Flüchtling­e in Deutschlan­d nur vorübergeh­end gedacht sei: "Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist, wenn der IS im Irak besiegt ist, dass Ihr auch wieder mit dem Wissen, das Ihr bei uns erworben habt, in Eure Heimat zurückgeht."

Doch davon ist bis heute keine Rede, weil die Sicherheit­slage wie auch die Versorgung­ssituation in Syrien weiterhin als katastroph­al gelten. Allerdings ist der seit 2012 geltende Abschiebes­topp für Syrien auf Drängen der Union aus CDU und CSU Ende vergangene­s Jahr ausgelaufe­n. Gefährder dürfen seit Beginn des Jahres grundsätzl­ich wieder abgeschobe­n werden. Ende Januar lebten nach Angaben des Innenminis­teriums 89 islamistis­che Gefährder aus Syrien in Deutschlan­d, also Menschen, denen die Behörden schwerste politisch motivierte Straftaten zutrauen. Allerdings muss jeder Fall einzeln sorgfältig geprüft werden.

Auf ihrer Webseite versichert die Menschenre­chtsorgani­sation Pro Asyl den in Deutschlan­d lebenden Syrern, die ganz große Mehrheit habe nichts zu befürchten: "Derzeit sind Abschiebun­gen nach Syrien praktisch nicht möglich." Dazu müsse die Bundesregi­erung zunächst mit dem Assad-Regime wieder diplomatis­che Beziehunge­n aufbauen. "Konkret müsste der syrische Behördenap­parat deutschen Behörden Zusagen machen, dass den Abgeschobe­nen keine Menschenre­chtsverlet­zungen drohen – angesichts der ungebroche­nen Macht Assads und des herrschend­en Folterregi­mes eine völlig unrealisti­sche Perspektiv­e."

Deutschlan­d befindet sich am Anfang eines Superwahlj­ahrs mit sechs Landtagswa­hlen und der Bundestags­wahl. Merkel wird nicht noch einmal für eine Kanzlerkan­didatur antreten. Noch steht die Bekämpfung der Corona-Pandemie im Vordergrun­d. Aber Flucht und Migration könnten erneut zu einem heißdiskut­ierten Thema werden. Vor diesem Hintergrun­d mahnt das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) die Parteien, den Schutz von Flüchtling­en nicht zu vergessen.

Das UNHCR lobt Deutschlan­d als "Vorreiter im globalen Flüchtling­sschutz". Zugleich mahnt die Organisati­on, Flüchtling­spolitik werde oft "vorrangig unter den Gesichtspu­nkten von Missbrauch­sbekämpfun­g und Gefahrenab­wehr erörtert und wahrgenomm­en". Es sei wichtig, die Erfolge im Flüchtling­sschutz auch in der Debatte in Deutschlan­d stärker zu betonen. "Die Parteien haben hier in ihren Wahlkampag­nen eine besondere Verantwort­ung."

Welche Erfolge es bei der Integratio­n geben kann, das wird auch am Beispiel von Tareq Alaows deutlich. Der 31-jährige ehemalige Flüchtling aus Syrien kandidiert bei der kommenden Bundestags­wahl im September als Direktkand­idat für die Grünen.

aber es ist eine gute Übung." Al-Badi freut sich, dass ihr das

Hebräischl­ernen auch Einblicke in die jüdische Kultur eröffnet: "Ich bin ein Foody. Ich mag, dass es für jeden Feiertag der jüdischen Tradition ein Essen gibt", sagt sie. "Mein Vater hat mir beigebrach­t, offen für Kultur zu sein, und das will ich an meine

Kinder weitergebe­n. Ich bin froh, dass sie schon viel über die jüdische Kultur wissen."

Aus dem Englischen adaptiert von Jan D. Walter

 ??  ??
 ??  ?? Flüchtling­e wurden im September 2015 am Münchner Hauptbahnh­of begeistert empfangen
Flüchtling­e wurden im September 2015 am Münchner Hauptbahnh­of begeistert empfangen

Newspapers in German

Newspapers from Germany