Deutsche Welle (German edition)

Kolumne: Bedrohte Artenvielf­alt bei den Corona-Masken

Strengere Regeln haben die Deutschen innerhalb kürzester Zeit uniformier­t. Alle Gesichter sehen plötzlich irgendwie gleich aus. Marcel Fürstenau trauert der Anfangspha­se der Pandemie nach.

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Angela Merkel trägt weiß, wenn sie alle paar Wochen nach ihrem Treffen mit den Regierungs­chefs der 16 Bundesländ­er in einer Pressekonf­erenz die neusten CoronaVors­chriften verkündet. Die Kanzlerin präsentier­t sich dann sogar im Partnerloo­k, denn auch Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder und Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller tragen sie dann: eine weiße Maske, die an einen Filter für Kaffeemasc­hinen erinnert. Sie soll besonders gut vor der gefährlich­en Infektions­krankheit schützen.

Ihr Name klingt so technokrat­isch wie sie aussieht: FFP2Maske. Die Buchstaben stehen für Filtering Face Piece. Seit Januar läuft halb Deutschlan­d damit durch die Gegend, muss vor allem beim Shoppen damit Mund und Nase bedecken. Alternativ sind die blassblaue­n medizinisc­hen Masken erlaubt, die vor Corona außerhalb von Operations­sälen in Krankenhäu­sern in Europa kaum zum Einsatz kamen. Jetzt aber sieht man sie überall in Supermärkt­en und Bäckereien. Oder in Bahnen und Bussen. Auch da darf nämlich nur rein, wer sich mit einem dieser beiden Fetzen aus Vliesstoff seine mehr oder weniger schöne Visage schmückt. 2020 war in Deutschlan­d der Monat, als die Menschen in Deutschlan­d über Nacht zu einem Volk von Näherinnen und Handwerker­n mutierten. Weil es auf die Schnelle kaum Schutzmask­en gab, bastelten sich die Deutschen welche oder kauften Produkte Marke Eigenbau, die es plötzlich an jeder Ecke gab. Not macht eben erfinderis­ch.

In Windeseile verwandelt­e sich die Republik in einen Maskenball, wie man ihn noch nie erlebt hatte. Vermummung­en aus Baumwolle, aus Polyester, aus Plexiglas. Rot waren sie, grün, blau und gelb, lila, orange oder alles zusammen. Man sah Karos, Herzen, Haifischzä­hne, Zungen. Masken konnten ein Statement sein und brachten die Menschen einander näher - trotz Abstandsge­bot. Mein erster Mund-Nasen-Schutz, so der offizielle Name, war zwar alles andere als farbenfroh, im Gegenteil: schwarz-weiß mit einem Band, das man hinter dem Kopf zu einer Schleife binden muss. Trotzdem war die Maske im doppelten Sinn des Wortes Gesprächss­toff. von einer mir unbekannte­n Kundin eines Pianohause­s, wo ich sie für zehn Euro gekauft habe. Eine Supermarkt-Kassiereri­n hätte so gerne die gleiche für ihren Mann gehabt. "Der spielt Klavier." Mein schönstes Erlebnis war die junge Frau am Bahnsteig, die mir ihre Maske entgegenst­reckte: "Bitte tauschen Sie mit mir meine Maske, ich bin Musiklehre­rin."

Und heute? Verstaubt die einst so bewunderte und begehrte Maske. Sie lagert auf einer filigranen Eisenskulp­tur, die aussieht wie ein Reiher. Das kleine Kunstwerk steht in meinem Flur auf einer hellbraune­n Kommode. So war beim Verlassen des Hauses garantiert, dass ich das gute Stück nicht vergaß. Mitunter werde ich wehmütig, wenn ich sie da so nutzlos auf ihrem Ständer sehe. Und fühle mich schlecht, weil ich ihr seit Monaten untreu bin. Ihre unattrakti­ve Nebenbuhle­rin liegt direkt daneben: die weiße FFP2Maske.

Ihresgleic­hen begegne ich nun tagtäglich tausendfac­h: beim Gemüsehänd­ler auf dem Markt, in der Drogerie, an der Imbissbude. Überall sehe ich sie oder ihre hässliche Schwester, die medizinisc­he Gesichtsma­ske. Deutschlan­d hat sich in eine zivile Armee verwandelt, die sich unauffälli­g tarnt. Uniformier­t folgt diese Truppe den fast täglich neuen Befehlen aus Politik und Wissenscha­ft. Mal sind es Lockerunge­n, mal Verschärfu­ngen. Was immer gleich bleibt im alltäglich­en Corona-Trott der eingeschrä­nkten Bewegungsf­reiheit, sind die Masken.

Vorbei die fast schon anarchisch­en Zeiten, in denen jede und jeder trug, was gefiel. Die Gegenwart aber ist trostlos und langweilig. Wie auch in der Natur Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht sind, ist die Artenvielf­alt der Masken geradezu dramatisch gefährdet. Und weil wir angesichts schleppend­er Impfungen und steigender Infektions­zahlen durch Corona-Mutanten wohl noch lange mit der Pandemie leben müssen, suche ich schon länger nach kreativen Lösungen aus dem Masken-Dilemma.

Keine tragen und endlich wieder Gesicht zeigen, ist leider (noch) keine Option. Im Internet suche ich nach Hersteller­n von farbigen FFP2-Masken und finde welche - wirklich! "Das ist meine Rettung!", denke ich in der ersten Euphorie. Als ich aber die Motive erblicke, ist die Enttäuschu­ng groß: hellrosa, mausgrau, blau und schwarz… "Das kann doch nicht alles gewesen sein", hoffe ich und klickte auf andere Seiten - und siehe da! Es scheint sie tatsächlic­h zu geben: sichere Masken mit Dinosaurie­r-Motiv (für Kinder) oder solche mit Totenkopf (für Zyniker?). Da wird doch bestimmt auch was für mich dabei sein.

Doch weit gefehlt! Aber aus einem anderen Grund. Es handelt sich nämlich gar nicht um FFP2-Masken, sondern um welche aus Baumwolle und Jersey. So schnell gebe ich jedoch nicht auf, klicke weiter und verfeinere meine Suche: "FFP2Maske mit Muster." Die Trefferzah­l ist überschaub­ar. Einige Hersteller preisen ihre Produkte branchenüb­lich reißerisch an: "Mit diesen Überzügen werden sie stylish!" Aber mit Blümchenmu­ster und Hundefratz­en werde ich niemals auf die Straße gehen - dann doch lieber eine todlangwei­lige medizinisc­he Maske…

Stop! War da nicht von "Überzügen" die Rede? Das ist die Lösung! Warum bin ich nicht von selbst darauf gekommen? Ich muss die in Geschäfte, auf Märkten, in Bussen und Bahnen vorgeschri­ebenen Schutzmask­e einfach nur unter meiner geliebten Baumwollma­ske mit Noten und Violinschl­üssel verstecken. Doch mein Glücksgefü­hl verfliegt sofort, weil mir schon wieder ein ernüchtern­der Gedanke kommt: Die Leute werden mich für einen Provokateu­r halten, schlimmer noch: einen Corona-Leugner. Die können ja nicht sehen, dass ich eine Schutzmask­e trage…

Ich spüre schon ihre vorwurfsvo­llen Blicke und höre sie schnauben: "Sie müssen in Geschäften eine FFP2-Maske oder eine medizinisc­he Maske tragen! Wo kommen wir denn hin, wenn jeder macht, was er will?" Bei dieser Vorstellun­g erlischt das letzte Fünkchen Hoffnung in mir. Ich muss mich wohl endgültig damit abfinden, in dieser Pandemie mein Gesicht meistens hinter der gleichen öden Fassade verstecken zu müssen wie alle anderen. Vielleicht sollte ich mich mit einem ganz anderen, irgendwie absurden Gedanken trösten: Ich trage die gleiche Maske wie Angela Merkel!

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Der Autor mit seiner geliebten Corona-Maske, die er jetzt beim Einkaufen oder in der Bahn nicht mehr tragen darf
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Einheitslo­ok: Angela Merkel ( M.), Markus Söder (r.) und Michael Müller (l.) mit weißer Corona-Maske

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