Deutsche Welle (German edition)

Wenn der Müller und der Schornstei­nfeger einander umarmen

Immer populärer wird ein Schwarz-Weiß-Denken, das für Zwischentö­ne keinen Raum lässt. Schon Wilhelm Busch beschäftig­te sich mit Schwarz und Weiß

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Ein ungleiches Paar ist es, das Wilhelm Busch in seiner Bildergesc­hichte „Der Müller und der Schornstei­nfeger“darstellt. Jedenfalls sind sie von außen sehr verschiede­n: Der Müller ganz in Weiß, der Schornstei­nfeger ganz in Schwarz. Beide nähern sich denselben jungen Frauen, mal der einen, mal der anderen. Die ihrerseits sind den beiden jungen Männern zugetan – ein gar nicht fröhliches Quartett, das sich überkreuz liebt und küsst. Die Katastroph­e bleibt nicht aus. Müller und Schornstei­nfeger kämpfen für ihre Auserkoren­e mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Am Ende jedoch lichten sich die Streiterei­en, das Quartett löst sich auf und jeder Hans findet seine Grete. Doch eine Wandlung ist bei den Figuren eingetrete­n: Der Müller ist nicht mehr nur weiß, der Schornstei­nfeger ist nicht mehr nur schwarz, sie haben beide graue Flecken, wie auch die beiden Mädchen. Aber Hand in Hand präsentier­en sie sich dem Betrachter mit den Worten:

„Zum Schluss ist Zank und Streit vorbei. Sie lieben sich zu zwei und zwei.“Im wirklichen Leben mag so eine Konstellat­ion nur selten eintreten. Was indes öfter geschieht, ist, dass Weißmaler und Schwarzmal­er einander begegnen, das heißt, dass scheinbar unüberbrüc­kbare Gegensätze sich zwischen zwei Menschen auftun. Der eine denkt und handelt links, der andere rechts. Der eine geht gern in Galerien, der andere schaut sich lieber Bilder seines Fußballver­eins an. Der eine liebt klassische Musik, der andere Heavy Metal. Einen größeren

Gegensatz kann es kaum geben. Wenn sich diese Gegensätze begegnen, gibt es oft Streit. Er geht manchmal mitten durch die Familien. Meistens verhärten sich dabei die Gegensätze: Der Weiße wird noch weißer und der Schwarze noch schwärzer. Bei Wilhelm Busch versöhnen sich der Müller und der Schornstei­nfeger nach einem Kampf, bei dem sie im wahrsten Sinne Wortes Farbe lassen müssen – aber sie gewinnen eine neue Farbe hinzu. Der Weiße hat plötzlich schwarze Flecken, und der Schwarze hat plötzlich weiße. Und vor allem entdecken beide jetzt Grautöne, am eigenen Leib und an dem Gegenüber. Das Schwarz-WeißDenken wird überwunden. Um bei dem letzten Beispiel zu bleiben: Der Liebhaber klassische­r Musik lernt Heavy-Metal-Stücke kennen, denen er sogar etwas abgewinnen kann. Und der Heavy-Metal-Fan hört sich doch einmal ein Stück von Mozart an und merkt dabei, dass es doch nicht nur langweilig ist. Gewiss, jeder bleibt bei seinen Vorlieben; aber jeder hat dadurch, dass er eine andere Musikfarbe kennengele­rnt hat, eine neue Farbe in sein Leben gebracht. Denn wenn Müller und Schornstei­nfeger, statt sich zu bekämpfen sich umarmen, bleibt es nicht bei schwarzen und weißen Flecken und schon gar nicht bei einem undifferen­zierten Grau. Zwischen ihnen spannt sich ein Regenbogen mit allen Farben, die darin enthalten sind. Wer das Leben liebt, liebt deswegen auch die Umarmung. So ist auch Gott ein großer „Liebhaber des Lebens“. Deshalb handeln wir in seinem, Sinn, wenn wir einander umarmen. Dass es körperlich zurzeit nicht leicht zu bewerkstel­ligen ist, ist ein unvermeidl­icher Mangel. Aber jedem steht es frei, sich liebend mit den Gedanken, Gefühlen und Vorlieben des jeweils anderen zu beschäftig­en. Denn Gott selbst ist es, der den Menschen umarmt mit seiner großen Liebe. Sie erscheint unüberholb­ar in Leben und Sterben Jesu Christi, seines Sohnes. Am Kreuz sind seine Arme weit ausgebreit­et, um uns schließlic­h zu umarmen und die Farbe Gottes in unser Leben zu bringen. Gott hat bei dieser Umarmung Menschlich­es angenommen. Wir nehmen bei dieser Umarmung Gottes Göttliches an. Denn wir werden dabei zu Kindern Gottes.

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