Deutsche Welle (German edition)

Corona: Masken, Impfen, Tests - Was ist los, Deutschlan­d?

Vor einem Jahr wurde Deutschlan­d überschwän­glich für seine Corona-Politik gefeiert, heute käme niemand auf diese Idee. Im Ausland: Verwunderu­ng und Häme.

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"Wie es Deutschlan­d richtig machte, während Großbritan­nien falsch lag" - titelte der britische "Telegraph". Der "New Zealand Herald" zählte Deutschlan­d zu den Gewinnern der Corona-Krise, mit seiner Strategie im Kampf gegen die Pandemie sei es weltweit ein Vorbild. Und aus Israel hieß es, Merkel werde in der CoronaKris­e als Führungsge­stalt gesehen, "die den Menschen die Situation verständli­ch machen kann". Diese Lobeshymne­n sind alle gerade einmal ein knappes Jahr her. Und scheinen doch wie aus einer fernen Zeit. schon ein Drittel ihrer Bevölkerun­g versorgt zu haben. Deutschlan­d sei eine "Impfschnec­ke", zitiert die "Daily Mail" eine Schlagzeil­e der deutschen BildZeitun­g und erklärt: "Früher gelobt für eine der besten COVID-Reaktionen weltweit, wird Deutschlan­d jetzt von hohen Fallzahlen heimgesuch­t, einer hohen Sterberate und einem Impfstart, bei dem in einem Monat gerade zwei von hundert Bürgern geimpft wurden, was Israel an einem Tag schafft."

"Deutschlan­d verliert die COVID- Krone" schreibt die "Financial Times": "Deutschlan­d ist berühmt für Vorsprung durch Technik, Ingenieurs­kunst und allgemeine Kompetenz. Kein Wunder, dass die COVID-19Impfkamp­agne jetzt zu einer nationalen Schande wird".

Und die "London Times" verweist auf einen Kommentar der Bild-Zeitung, in dem es heißt: "Dear Britons, wir beneiden you". Worauf die "Sun" süffisant antwortet: "Wir beneiden euch nicht!" Und im "Guardian" spottet ein Kolumnist, dass Deutschlan­ds Impfkampag­ne für einen in der Wolle gefärbten Europhilen eine Enttäuschu­ng sei: "Sollte nicht diese ganze Technik ein bisschen Vorsprung hervorbrin­gen?"

Politik in der ersten CoronaWell­e einen riesigen Vertrauens­und Popularitä­tsschub bekam, heute einfach nicht mehr das Richtige tut. "Deutschlan­d", so El País weiter, "ist letztendli­ch nicht so besonders. Nur der Abstand zwischen seiner Selbstwahr­nehmung und der Realität ist größer."

In Frankreich und anderen europäisch­en Ländern schaut die Presse weniger auf Deutschlan­d und seine Verfehlung­en, sondern kritisiert die Europäisch­e Union für ihre Einkaufspo­litik bei den Impfstoffe­n. Denn kein EU-Land hat bislang genug davon bekommen, und nirgendwo in der EU läuft die Impfkampag­ne gut genug, als dass jemand auf die Idee käme, mit dem Finger auf Deutschlan­d zu zeigen.

In dem Land, in dem in Football-Stadien, in Drive-in-Stationen, in Supermärkt­en, ja sogar in Kirchen geimpft wird, in dem jetzt fast drei Millionen Impfdosen an einem Tag gespritzt werden und wo im Bundesstaa­t New Jersey schon die Diagnose "Raucher" reicht, um eine Impfung zu bekommen, empfinden viele Menschen gegenüber Deutschlan­d inzwischen etwas, was fast noch schlimmer ist als Häme: Mitleid.

Ausgerechn­et Donald Trump, dem viele in den USA die Verantwort­ung für die mehr als eine halbe Million COVID-19Tote zusprechen - und den die Deutschen zeitweise mehr fürchteten als Corona -, hat beim Thema Impfen geklotzt und nicht gekleckert. Der frühere Präsident bestellte im großen Stil Moderna und BioNTech-Pfizer-Impfdosen, noch bevor überhaupt klar war, ob die Impfungen wirksam werden.

Längst vorbei sind die Zeiten zu Beginn der Pandemie, als in den USA noch mit Bewunderun­g über "The German Covid-Response" berichtet wurde.

Als die Vereinigte­n Staaten sich mit Deutschlan­d verglichen, vor allem mit Blick auf die anfangs noch niedrigen Todeszahle­n und dem weitgehend unbeschwer­ten Sommer in Deutschlan­d, während sich in den USA ein trauriger Rekord nach dem nächsten einstellte.

2021 findet der unbeschwer­te Sommer dagegen wahrschein­lich in den USA und nicht in Deutschlan­d statt. Präsident Joe Biden hat gerade das ehrgeizige Ziel verkündet, bis Ende Mai allen erwachsene­n USAmerikan­ern ein Impfangebo­t zu machen.

Auch Russland impft, was das Zeug hält - mittlerwei­le kann sich jeder Sputnik V kostenlos spritzen lassen, unabhängig von Alter und Beruf. In Kliniken, in Einkaufsze­ntren und in Moskau sogar in der Oper. Bereits im Dezember starteten die Behörden die Massenimpf­ungen gegen COVID-19 und erklärten damit den Sieg über die Corona-Pandemie.

Der Streit um die Impfkampag­ne in der Europäisch­en Union wird in russischen Medien immer wieder gern als das Versagen des Westens im Kampf gegen Corona thematisie­rt. Während Russland längst ausreichen­d über einen Impfstoff verfügt, der nach einem erfolgreic­hen sowjetisch­en Satelliten benannt wurde - eine Anspielung auf die Erfolge der Russen im Weltall, die sich nun auch im Kampf gegen Corona zeigten.

Und Deutschlan­d? Viele Russen wissen seit kurzem, wie derheftig in die Kritik geratene deutsche Bundesgesu­ndheitsmin­ister heißt. Als Jens Spahn vor zwei Wochen in einer Regierungs­befragung im Bundestag Rede und Antwort für seine umstritten­e CoronaPoli­tik stehen musste, war dies nicht nur auf allen Kanälen in Deutschlan­d zu sehen. Sondern auch groß in den russischen Abendnachr­ichten.

Bei der Bekämpfung des Coronaviru­s war es mit Israel und Deutschlan­d immer ein wenig wie bei der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel: Israel war immer schon da. Die Maskenpfli­cht galt schnell überall, in Deutschlan­d lange Zeit nur an bestimmten Orten.

Bereits im September ging Israel in den zweiten Lockdown, früher als Deutschlan­d. Und nach einer beispiello­sen Impfkampag­ne mit dem BioNTech-Pfizer-Vakzin ist heute bereits über die Hälfte der Bevölkerun­g mit mindestens einer Dosis geimpft. Eine Zahl, die Deutschlan­d vielleicht im Juli oder August erreicht.

Seit Februar gibt es den sogenannte­n "grünen Pass", der Geimpften und denjenigen, die COVID-19 überstande­n haben, Zugang zu Fitnessclu­bs, Sport - und Kulturvera­nstaltunge­n ermöglicht. Fragt man Israelis nach Deutschlan­d, erntet man erstaunte Blicke ob der langsamen Impfkampag­ne.

Da nun auch der Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv wieder geöffnet ist, überlegen offenbar viele in Deutschlan­d lebende Israelis auf Heimat-Besuch über die Pessach-Feiertage Ende März zu kommen und sich dabei gleich impfen zu lassen. Tenor: In Deutschlan­d sei man ja sonst erst spät im Sommer dran.

Die vielleicht für Deutschlan­d deprimiere­ndste Nachricht, wie das Ausland in der CoronaKris­e auf das Land schaut, kommt allerdings aus China: Den eigenen Erfolg in der Bekämpfung des Virus bewerten die Medien nicht nur als Referenz gegenüber den westlichen Ländern, sondern auch als eine ständige Erinnerung, nicht nachzulass­en. Wie man es nicht machen sollte, zeige doch das Beispiel Deutschlan­d. Häufig benutzter Titel dabei: "Warnung".

In Deutschlan­d selbst hoffen nun manche, dass es doch bald schneller gehen könnte mit dem Impfen. Die Zulassung des Impfstoffe­s von Johnson & Johnson, mehr Dosen anderer Hersteller, die Impfung beim Hausarzt: All das könnte Tempo bringen. Dass Deutschlan­d damit aber wieder zu einem weltweiten Corona-Vorbild wird wie noch vor einem Jahr, damit rechnet wohl niemand.

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Tiefer Absturz der Krisen-Weltmeiste­r: Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheit­sminister Jens Spahn

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