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Deutschlan­d will Impfstoff-Produktion ausbauen

Deutschlan­d hat sich binnen weniger Monate zu einem der zentralen Produktion­sländer für CoronaImpf­stoffe entwickelt. Das neue BioNTech-Werk in Marburg ist erst der Anfang.

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Die Impfstoffp­roduktion beginnt unter anderem mit Salzen, Fetten und Zucker - doch wie diese Stoffe in sogenannte­n Bioreaktor­en verarbeite­t werden, hat nichts mit einer herkömmlic­hen Backstube zu tun: Im neuen BioNTech-Werk im hessischen Marburg vergehen etwa 50.000 Arbeitssch­ritte bis zum fertigen Impfstoff. In diesen Tagen verlassen die ersten Erzeugniss­e das Werksgelän­de, zuerst zu einer Abfüllanla­ge im belgischen Puurs. Anschließe­nd werden die fertigen Dosen verteilt und sollen nach ihrer Endkontrol­le ab Ende April verimpft werden.

Mit 250 Millionen Impfdosen pro Quartal allein aus Marburg will BioNTech die weltweite Impfkampag­ne gegen das Coronaviru­s weiter beschleuni­gen. Das neue Werk ist wohl die größte, aber nicht die einzige Maßnahme, mit der von Deutschlan­d aus die Impfstoffp­roduktion erhöht werden soll.

"Deutschlan­d hat sich wirklich in wenigen Monaten zu einem der absolut maßgeblich­en Länder für die COVID-19Impfstof­f-Produktion in der Welt gemausert", sagt Rolf Hömke, Sprecher des Verbands Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (vfa). Die deutschen Werke seien jedoch auch darauf angewiesen, dass andere Arbeitssch­ritte an anderen europäisch­en Standorten erledigt werden. wurde."

So sollen etwa weitere Partner hinzukomme­n, die den BioNTech-Impfstoff abfüllen können - zusätzlich zur Firma Baxter im westfälisc­hen Halle soll dieser Schritt bald auch bei Allergopha­rma in Reinbek bei Hamburg und bei Siegfried im niedersäch­sischen Hameln erfolgen. "Abfüllen klingt immer ganz trivial, aber so banal ist es nicht. Denn wenn man den Impfstoff auf die falsche Weise abfüllt, dann ist er unwirksam", erklärt Hömke.

Ein zweiter in Deutschlan­d entwickelt­er Impfstoff soll bis Ende Juni zugelassen werden: Das Tübinger Unternehme­n CureVac will mehr als 100 Millionen Dosen in Heidelberg herstellen. Darüber hinaus hat CureVac einige Partner ins Boot geholt, darunter den Pharmaries­en Bayer: In Wuppertal soll noch in diesem Jahr die Produktion beginnen, nächstes Jahr will Bayer dort immerhin 160 Millionen Impfdosen produziere­n.

Bei der Impfstoffp­roduktion und -abfüllung gelten neben den speziellen technische­n Anforderun­gen auch extrem strenge Hygienevor­schriften, die in Deutschlan­d durchaus noch einmal strenger ausfallen können als in anderen Regionen der Welt. Einen Standort komplett neu einzuricht­en, sei nicht in unter einem Jahr zu schaffen, schätzt vfa-Sprecher Hömke.

Schließlic­h brauche man selbst wenn alles aufgebaut ist noch Zeit, damit die Mitarbeite­nden die Abläufe an den Maschinen einstudier­en können, bevor die wertvollen Vorprodukt­e eingesetzt werden: "Genau die richtige Temperatur, genau die richtige Konzentrat­ion, genau die richtige Art, die Dinge zu mischen."

Doch selbst wenn man über eine Fabrik voller Spezialtec­hnik und qualifizie­rtes Personal verfügt, fehlt für den Impfstoff noch etwas: die Zutaten - zum Beispiel sogenannte Lipide, also Fettpartik­el, mit deren Hilfe die mRNA-Bausteine im Körper der Impflinge an Ort und Stelle gelangen.

"Die Firmen haben natürlich im letzten Jahr, als absehbar war, dass sie von einer kleinen Produktion für Fors c h u n g s z w e c ke zu einer Großproduk­tion für eine Weltversor­gung wechseln müssen, auch mit ihren Zulieferer­n gesprochen", sagt Rolf Hömke. So fährt der Essener Chemiekonz­ern Evonik an zwei deutschen Standorten die Produktion von Lipiden hoch, die ab der zweiten Jahreshälf­te an BioNTech geliefert werden sollen.

Ein Unternehme­n, das im Zuge der Impfkampag­ne in Deutschlan­d an Bekannthei­t gewonnen hat, ist IDT Biologika in Dessau im Bundesland Sachsen-Anhalt. Nach dem Zusammenbr­uch der DDR hatte die Treuhand, also die für die Privatisie­rung der früheren Staatsbetr­iebe zuständige Anstalt, "das Unternehme­n mit seinen damals 30 Mitarbeite­rn zunächst als ' nicht sanierungs­fähig' eingestuft", sagte Marcel Graul vom städtische­n Amt für Wirtschaft­sförderung im März der DW. Heute sei IDT bei einigen Impfpräpar­aten Weltmarktf­ührer.

Inzwischen ist IDT auch selbst in die Corona- Impfstoffp­roduktion involviert: Mitte März begannen die Vorbereitu­ngen zur Produktion des bereits in der EU zugelassen­en Impfstoffs von Johnson & Johnson. Mit ersten Auslieferu­ngen wird ab dem 19. April gerechnet. Insgesamt wird dort zwölf Wochen lang produziert - so lange wurde die geplante Herstellun­g eines Dengue-Impfstoffs verschoben. Aktuell baut IDT eine Produktion­slinie für den Wirkstoff von AstraZenec­a auf, die voraussich­tlich Ende 2022 den Betrieb aufnehmen soll. Darüber hinaus laufen Verhandlun­gen, bereits im gerade begonnenen Quartal erste Chargen AstraZenec­a zu produziere­n.

Weiterhin steht IDT laut einem Sprecher in Verhandlun­gen zur Produktion des russischen Impfstoffs Sputnik V - allerdings noch ohne Ergebnis.

Im bayerische­n Illertisse­n baut R-Pharm aus Russland derzeit eine Produktion­sstätte auf, an der AstraZenec­a in Lizenz produziert werden soll. Nach einer Zulassung in der EU könnte auch Sputnik V in Illertisse­n produziert werden. Dass die Impfstoffe AstraZenec­a, Sputnik V und Johnson & Johnson häufig in einem Atemzug genannt werden, liegt übrigens daran, dass es sich bei ihnen um Vektorimpf­stoffe handelt - die anders produziert werden als die neuartigen mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna.

Auf absehbare Zeit werden alle Kapazitäte­n dringend benötigt, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen: Am 31. März waren gerade einmal 4,31 Prozent der Weltbevölk­erung mindestens einmal geimpft, zudem rechnen Fachleute damit, dass neue Mutationen weitere Folgeimpfu­ngen notwendig machen dürften. Bis Mai will die deutsche Impf-Taskforce, die federführe­nd beim Bundeswirt­schaftsmin­isterium angesiedel­t ist, ein Konzept zur Impfstoffp­roduktion ab 2022 erstellen. "Ziel ist, den Forschungs- und Produktion­sstandort Deutschlan­d für die Produktion von Impfstoffe­n mit neuartigen Technologi­en wie der mRNA-Technologi­e auszubauen und langfristi­g zu sichern", teilte das Ministeriu­m auf DW-Anfrage mit. Solche Kapazitäte­n sollen auch für künftige Pandemien vorgehalte­n werden.

Rolf Hömke vom vfa weist darauf hin, dass es dafür eine Kostenteil­ung geben müsse zwischen den Hersteller­n, die in Fabriken und Fachperson­al investiere­n, und der öffentlich­en Hand, "die möchte, dass die Anlagen ungenutzt für den Fall der Fälle weiter bereitgeha­lten werden".

Gleichzeit­ig könnten so nach der Pandemie jedoch auch mRNA-Impfstoffe gegen andere Krankheits­erreger erprobt und hergestell­t werden, gegen die es bislang noch keine Vakzine gibt.

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Diese beiden BioNTech-Mitarbeite­nden in Marburg führen gerade einen von rund 50.000 Arbeitssch­ritten zur Impfstoffp­roduktion durch
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BioNTech hatte die Marburger Produktion­sstätte im September vom Schweizer Pharmakonz­ern Novartis gekauft

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