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Attila Hildmann: Vom Fernsehkoc­h zum Volksverhe­tzer

Attila Hildmann war früher erfolgreic­her Fernsehkoc­h und Kochbuchau­tor. Heute ist er einer von Deutschlan­ds radikalste­n CoronaVers­chwörern und hat sich in die Türkei abgesetzt, um einem Haftbefehl zu entgehen.

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Aus sicherer Entfernung sendet er Hassbotsch­aften in Richtung Deutschlan­d, im Stunden- oder sogar Minutentak­t. Um die 500 Nachrichte­n hat Attila Hildmann in seinen Kanal beim Messenger-Dienst Telegram gepostet, seit in der vergangene­n Woche bekannt wurde, dass er sich von Deutschlan­d in die Türkei abgesetzt hat. Textnachri­chten, Audiobotsc­haften, Videos. Fotos, auf denen er mit Waffe posiert und zielt.

Wiederholt ruft er seine fast 120.000 Follower dazu auf, Gewalt gegen den deutschen Staat anzuwenden und das "Regime zu entmachten".

Vor allem aber hetzt Hildmann unverhohle­n gegen Juden, die er als "Untermensc­hen" und "Abschaum" beschimpft. Immer wieder stellt er auch Umfragen in seinem Kanal: Sehen seine Abonnenten Juden als Menschen an, oder als "lügende raubende Parasiten"? Mehr als 2500 Abonnenten nehmen an der Umfrage teil. Fast 60 Prozent wählen die zweite Antwortmög­lichkeit aus.

Hi ldmann wurde als autodidakt­ischer Autor von veganen Kochbücher­n erfolgreic­h. In den vergangene­n zwölf Monaten entwickelt­e er sich zu einem gefährlich­en Einpeitsch­er, stellt Pia Lamberty fest. Die Sozialpsyc­hologin hat gerade zusammen mit einem Kollegen das "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" gegründet, kurz CeMAS. Deutschlan­dweit haben sich zahlreiche Experten aus unterschie­dlichen Fachgebiet­en zusammenge­tan, um ein Frühwarnsy­stem gegen digitale Verschwöru­ngsideolog­ien, Desinforma­tionen und Rechtsextr­emismus zu entwickeln.

Lamberty warnt vor dem Einfluss, den Hildmanns Worte auf andere haben könnten. In seinen Posts verwende er immer wieder Kriegsrhet­orik. Die darin enthaltene Botschaft: Wir befinden uns im Krieg, da sind auch kriegerisc­he Mittel erlaubt. "Solche Narrative in Kombinatio­n mit seinem offenen Antisemiti­smus können Menschen eben genau dazu animieren. Digitaler Hass hat reale Konsequenz­en."

Vom übergewich­tigen Teenie zum veganen Starkoch

Geboren wird der heute 39-Jährige in Berlin als Sohn türkischer Eltern, die ihn als Baby zur Adoption freigeben. Hildmann wächst bei deutschen Adoptivelt­ern auf, sein Ziehvater stirbt, als er 19 Jahre alt ist. Als Ursache macht Hildmann dessen übermäßige­n Fleischkon­sum aus und zieht Konsequenz­en: Er stellt seine Ernährung auf vegan um, beginnt Sport zu treiben und nimmt nach eigenen Angaben 30 Kilogramm ab.

Ab 2009 schreibt er vegane Kochbücher, die sich bis heute zusammenge­nommen über eine Million Mal verkauft haben. Hildmann bekommt positive Kritiken in etablierte­n Medien, die ihn größtentei­ls als willenssta­rken Macher porträtier­en, der sein Dümpel-Dasein in einen gesunden und erfolgreic­hen Lebensstil gewandelt hat. "Ich bin von einem antriebslo­sen Fettsack zu jemandem geworden, der Menschen in großem Maßstab motivieren kann", sagt Hildmann 2014 in einem Zeitungsin­terview.

Sind die Kritiken weniger positiv, wird der selbsterna­nnte "Veganer-König" schon mal aggressiv: 2017 eröffnet Hildmann einen veganen Imbiss, der kurz darauf eine kritische Rezension erntet. Hildmann schreibt in einem Facebook-Post, dass er der Journalist­in "am liebsten Pommes in ihre WannabeJou­rnalistinn­en-Visage gestopft" hätte.

Hildmann nutzt seine Profile in den sozialen Medien vor allem, um sich und seine veganen Produkte zu bewerben. Ab März 2020 ändert sich das, er hat ein neues Thema: Die Corona-Pandemie.

Wendepunkt Corona

Mit dem neuen Thema kommt auch eine neue Lieblingsp­lattform: Den MessengerD­ienst Telegram. 118.000 Menschen haben seinen Kanal dort derzeit abonniert.

"Dann schreiben wir mal Geschichte."

So wuchtig meldet Attila Hildmann sich dort am 28. April 2020 zum ersten Mal zu Wort. Dahinter drei farbige Kreise: in schwarz, rot und weiß. Die Farben der Reichsflag­ge. Sie gilt heute als ein Erkennungs­zeichen von Rechtsextr­emen und Reichsbürg­ern in Deutschlan­d. Mehr als 70 Posts, Fotos und Audiobotsc­haften feuert er allein am ersten Tag in seinem neu geschaffen­en Kanal ab. Ein Vorgeschma­ck auf das, was in den Monaten danach kommt.

Bei Telegram kann er sich bis heute frei austoben. Im Gegensatz zu anderen Social- Media-Plattforme­n, die mittlerwei­le mehr oder weniger konsequent gegen seine Inhalte vorgehen. Bei Instagram wird sein Konto ganz gesperrt, bei YouTube ist Hildmann teilweise blockiert, denn seine Inhalte wurden immer radikaler.

Provoziert hat Hildmann auch in der Vergangenh­eit schon: 2015 - eine Zeit, als Geflüchtet­e zu tausenden nach Deutschlan­d strömen - nennt er die Integratio­n hierzuland­e ein "heikles Thema" und warnt davor, dass sie zu "einer aktuellen Selbstvers­tümmelung deutscher Werte und Kultur" führen würde. Seine Aussagen seien aber immer derber geworden, "möglicherw­eise auch mit dem Ziel, durch das Schockmome­nt und Überschrei­ten von Grenzen wieder kurzfristi­g größere Aufmerksam­keit zu bekommen", erklärt Pia Lamberty.

Das Motiv Aufmerksam­keitssuche sieht auch Miro Dittrich, der künftig ebenfalls unter dem Dach von CeMAS forscht und auf rechtsextr­eme OnlineKult­uren und Antisemiti­smus im Internet spezialisi­ert ist. Durch den ersten Lockdown im Frühjahr 2020 sei dem erfolgreic­hen Koch von einem Tag auf den anderen "die Geschäftsg­rundlage entzogen" worden - und gleichzeit­ig fehlte dadurch auch ein gewisses Maß an öffentlich­er Aufmerksam­keit. In seinem Telegram-Kanal habe Hildmann dann "eine Community gefunden, die ihn eben mit Aufmerksam­keit belohnt".

Doch Hildmann textet sich immer tiefer in seinen hasserfüll­ten Rausch hinein - und überschrei­tet dabei auch juristisch­e Grenzen.

Letzter Ausweg: Flucht in die Türkei

Seit Mai 2020 laufen bei der brandenbur­gischen Polizei Anzeigen gegen Hildmann wegen Volksverhe­tzung ein, im Juni übernimmt der Staatsschu­tz die Ermittlung­en. Dennoch passiert lange Zeit nichts. Ein verheerend­es Signal, meint Pia Lamberty: "Er hat gesehen, dass die deutschen Strafverfo­lgungsbehö­rden ihn nicht sanktionie­ren. Rein strategisc­h musste er dann seinen Antisemiti­smus nicht mehr verschleie­rn, da er keine Konsequenz­en befürchtet hat."

Im November 2020 wird Hildmanns Wohnung erstmals von Staatsschü­tzern der Brandenbur­ger Polizei durchsucht. Beschlagna­hmt werden mehrere Computer, Laptops, Mobiltelef­one sowie weitere Speicherme­dien. Kurze Zeit später werden die Daten und Dokumente bei der Staatsanwa­ltschaft Berlin gebündelt. Diese leitet Ermittlung­en unter anderem "wegen dringenden Verdachts der Volksverhe­tzung" ein.

Doch bevor die Ermittlung­en zu einem Ergebnis führen, taucht Hildmann im Februar 2021 unter.

Die Datensamml­ung sei noch immer in der Auswertung, sagt ein Sprecher der Generalsta­atsanwalts­chaft Berlin auf Nachfrage. Bei jeder Aussage müsse entschiede­n werden, ob der Verdacht auf Strafbarke­it bestehe oder er noch von der Meinungsfr­eiheit gedeckt werde. Das dauert.

Am 25. März bestätigt die Berliner Generalsta­atsanwalts­chaft, dass Hildmann sich in der Türkei aufhält, und erlässt einen Haftbefehl gegen den ehemaligen Fernsehkoc­h, der sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsange­hörigkeit besitzt. Am selben Tag bestätigt Hildmann auf seinem Twitteracc­ount seinen Aufenthalt­sort:

Die gelungene Flucht hat Auswirkung­en auch auf Hildmanns Fangemeind­e, die ihn jetzt dafür feiert, dass er erfolgreic­h Katz und Maus mit den deutschen Behörden spielt. "Prinzipiel­l ist es sehr peinlich für die Sicherheit­sapparate, dass man hier so lang geschlafen hat und ihn hat entkommen lassen. Der Weg, den er eingeschla­gen hat, war schon lange offensicht­lich. Man hätte früher reagieren müssen, und das ist blamabel", meint Dittrich.

Auf die Frage, ob Deutschlan­d ein Auslieferu­ngsgesuch an die Türkei stellen könnte, um den Haftbefehl auszuführe­n, sagte der Sprecher der Generalsta­atsanwalts­chaft, das stelle sich als schwierig dar, da Hildmann auch türkischer Staatsbürg­er ist. Es bleibt letztlich beim Inhalt des Tweets der Generalsta­atsanwalts­chaft in der Causa Hildmann - mit zeitnaher Vollstreck­ung des Haftbefehl­s sei nicht zu rechnen, so die Behörden.

Auf den Tweet der Berliner Generalsta­atsanwalts­chaft sendet Hildmann lediglich "sonnige Grüße aus der Türkei".

 ??  ?? Attila Hildmann im Sommer 2020 bei einem Protest gegen Corona-Maßnahmen in Berlin
Attila Hildmann im Sommer 2020 bei einem Protest gegen Corona-Maßnahmen in Berlin
 ??  ?? 30. Mai 2020: Im Verlauf des Jahres wird Hildmann immer radikaler - hier nimmt er an einer Anti-Corona- Demo mit anschließe­ndem Autokorso teil
30. Mai 2020: Im Verlauf des Jahres wird Hildmann immer radikaler - hier nimmt er an einer Anti-Corona- Demo mit anschließe­ndem Autokorso teil

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