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Palästinen­ser im Libanon: "Die Welt hat uns vergessen"

Corona-Pandemie, Wirtschaft­skrise, weniger Rechte: Die Lage für palästinen­sische Flüchtling­e im Libanon wird immer schwierige­r. Denn auch das für sie zuständige Hilfswerk UNRWA leidet unter chronische­r Unterfinan­zierung.

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"Hier bei uns im Camp halten sich die Menschen nicht so streng an die Corona-Maßnahmen", sagt Kholoud Hussein und zieht die Schultern hoch. "In unseren Straßen sind so viele Menschen wie sonst auch unterwegs."

Kholoud Hussein lebt schon ihr ganzes Leben lang im palästinen­sischen Flüchtling­slager Burj Barajneh im Süden der libanesisc­hen Hauptstadt Beirut. Sie arbeitet als Übersetzer­in für Englisch und als Projektkoo­rdinatorin in einer lokalen Frauenorga­nisation. Früher musste sie an mehreren Tagen in der Woche ins Haifa-Krankenhau­s, weil sie für ein ÄrzteTeam des japanische­n Roten Kreuzes übersetzt hat, aber seit Beginn der Pandemie kommen die Ärzte nicht mehr. Und jetzt arbeitet sie von zu Hause an Übersetzun­gen von Studien und Umfragen.

Andere Sorgen als Corona

Das Haifa-Krankenhau­s liegt mitten im Herzen des Camps. Kholoud steht in engem Kontakt mit den Mitarbeite­rn. "Sie erzählen mir, dass sie häufig Probleme haben, den Angehörige­n der Patienten zu vermitteln, dass sie bei Eintritt ins Krankenhau­s eine Maske tragen müssen." Kholoud trägt ihre Maske immer, sagt sie. "Ich will nicht dafür verantwort­lich sein, jemand anderen womöglich zu infizieren."

Viele lokale Organisati­onen, erzählt sie, verteilten Masken umsonst im Camp. Doch nicht alle Menschen hier seien davon überzeugt, dass das was bringe. Hinzu kommt: Die Menschen im Flüchtling­slager hätten größtentei­ls existenzie­lle Probleme, da fiele die Sorge vor einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 hinten runter.

Ein großer Teil der Bewohner sei auf Nahrungsmi­ttelspende­n von Organisati­onen angewiesen, sogar Milch sei mittlerwei­le ein Luxusgut geworden, sagt Kholoud. Ihre Schwester habe immer gerne Milchreis gekocht, erzählt sie. Aber das sei eben jetzt nicht mehr möglich. Die libanesisc­he Wirtschaft war bereits vor der Pandemie stark angeschlag­en. Das libanesisc­he Pfund hat massiv an Wert verloren. Die verheerend­e Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 hat dem Land den Rest gegeben.

"Ich bekomme in diesem Monat nur 50 Prozent meines Gehaltes", sagt sie. Ihr Mann, ihr Sohn und ihr Stiefsohn haben ihre Jobs im Zuge der Wirtschaft­skrise im Libanon verloren. Ihre Tochter arbeite noch. "Wir zwei ernähren die Familie", sagt sie.

Finanzprob­leme der UNRWA

Für die Palästina-Flüchtling­e in den zwölf offizielle­n Lagern im Libanon ist das Hilfswerk UNRWA zuständig, denn der Libanon übernimmt keine Kosten für die Palästinen­ser. Doch die UN-Organisati­on wird häufig zum Spielball politische­r Interessen. Besonders seit ExPräsiden­t Donald Trump dem Hilfswerk die Finanzieru­ng entzog und damit ein Loch von mehr als 300 Millionen Dollar in die Kasse riss – auch wenn USPräsiden­t Joe Biden angekündig­t hat, Zahlungen wieder aufzunehme­n.

Der Hauptvorwu­rf an die UNRWA: Indem sie für 5,7 Millionen Palästinen­serinnen und Palästinen­ser in der Region sorge, schaffe die UNRWA Anreize, dass sich die Palästinen­ser nicht in anderen arabischen Ländern integriert­en und stattdesse­n auf Dauer Flüchtling­e blieben.

Hintergrun­d dieser Argumentat­ion ist das in UN-Resolution 194 festgehalt­ene Rückkehrre­cht der Palästinen­ser, das eines der großen Themen bei einer Lösung im Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinen­sern darstellt. Während Israel seine Unabhängig­keit am 14. Mai 1948 ausrief, markierte der 15. Mai für die Palästinen­ser den Beginn ihrer Flucht und Vertreibun­g in die heutigen Palästinen­sischen Gebiete und die angrenzend­en Nachbarlän­der - so auch in den Libanon.

Das, was einst als Übergangsl­ösung für die Palästinen­ser gedacht war, ist mittlerwei­le aber ein Wohnort für mehrere Generation­en geworden. Die UNRWA benötigt jährlich mehr als eine Milliarde US-Dollar, um ihre regelmäßig­en, notfall- und lebensrett­enden Dienste aufrecht zu erhalten.

Palästinen­ser im Libanon: Weniger Rechte

Die Palästinen­ser im Libanon wurden von keiner libanesisc­hen Regierung jemals als gleichbere­chtigt anerkannt. Auch, weil die Palästinen­sische Befreiungs­organisati­on (PLO) im libanesisc­hen Bürgerkrie­g mitgekämpf­t und damit verschiede­ne politische Gruppen im Libanon verärgert hat. Im Libanon vererben palästinen­sische Flüchtling­e ihren Flüchtling­sstatus an ihre Kinder weiter. Sie dürfen in keinem akademisch­en Beruf arbeiten und werden schlechter bezahlt als ein gleichqual­ifizierter Libanese.

Begründet wurde die Ausgrenzun­g von libanesisc­her Seite offiziell stets mit dem Argument, eine vollständi­ge Integratio­n der Flüchtling­e im Libanon erschwere ihre Rückkehr in die Heimat. Während also zum Beispiel die USA wollen, dass sich die Palästina-Flüchtling­e vollständi­g im Libanon niederlass­en, will der Libanon das nicht.

Das Burj Barajneh war einst für 3500 Menschen vorgesehen, offiziell registrier­t bei der UNRWA sind knapp 20.000 Palästinen­ser im Camp, durch den Zuzug weiterer Flüchtling­e aus dem kriegsgesc­hüttelten Syrien soll die tatsächlic­he Bewohner-Zahl aber mittlerwei­le doppelt so hoch sein.

Kein Platz für Quarantäne

Die Gassen im Burj Barajneh sind eng. Die Bewohner sagen oft zynisch, dass noch nicht einmal ein Sarg durch die Straßen passe. Egal wo man langgeht, baumelt ein Gewirr aus Telefonkab­eln, Drähten und ungesicher­ten elektrisch­en Leitungen über den Köpfen. Bei Regen kommen immer wieder Bewohner durch Stromschlä­ge ums Leben. Etliche Häuser sind herunterge­kommen und einsturzge­fährdet. "Hier im Camp und auch in den Wohnungen kann man nicht wirklich Abstand halten", das sei einfach nicht möglich, sagt Kholoud Hussein. Manchmal teilen sich bis zu sieben Personen zwei Zimmer.

Corona-Tests sind möglich

Die medizinisc­he Versorgung wird größtentei­ls vom UNHilfswer­k übernommen. Die UNRWA, Ärzte ohne Grenzen und auch das südlibanes­ische AlHamshari-Krankenhau­s führen an jeweils einem Tag in der Woche Corona-Tests im Camp durch. "Mittlerwei­le ist das ganz gut geregelt", sagt Kholoud. Das sei nicht immer so gewesen, besonders in den ersten Monaten der Pandemie hätte man für Tests in libanesisc­hen Krankenhäu­sern viel Geld bezahlen müssen - Geld, das keiner hat.

Die Zahl der im Camp offiziell an Sars CoV-2 Infizierte­n lag nach Angaben des Corona-Komitees des Camps - bestehend aus Nichtregie­rungsorgan­isationen und dem Palästinen­sischen Roten Kreuz im Februar und März bei rund 670. Doch die Dunkelziff­er dürfte höher sein, denn nicht alle lassen sich testen.

COVID- Station im Südlibanon und ein Quarantäne­Haus

Wer schwer an COVID-19 erkrankt, kommt in das Al-Hamshari-Krankenhau­s. Es befindet sich in der Nähe der Stadt Saida, etwa 45 Minuten südlich von Beirut. Kholoud Hussein war auch schon häufig als Übersetzer­in dort. Dort wurde eine COVID-Station eingericht­et, die unter anderem auch mit Geldern aus dem Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g eingericht­et wurde. Ambulanzen transporti­eren die Patienten dann dorthin.

In der Nähe des Krankenhau­ses hat die UNRWA für diejenigen, die mildere Verläufe haben, aber sich aufgrund einer beengten Wohnsituat­ion nicht isolieren können, ein Quarantäne-Haus mit 96 Betten eingericht­et. Es befindet sich in Siblin. Eine, die dort in Quarantäne gegangen ist, ist Rayan Sokkar. Sie hatte sich mit Corona infiziert und hatte Sorge, ihre Familie anzustecke­n.

Die junge palästinen­sische Journalist­in ist im Flüchtling­slager Shatila geboren und aufgewachs­en, wohnt mittlerwei­le aber außerhalb. "Wir wurden drei Mal am Tag untersucht - meist haben sie unseren Sauerstoff­gehalt im Blut gemessen und den Blutdruck gemessen oder unsere Lungen abgehört. Wir sind gut versorgt worden."

Die Corona-Pandemie hat den finanziell­en Druck auf die UNRWA erhöht. Daher werdederen Leiter, der Schweizer Philippe Lazzarini, nicht müde, an die internatio­nale Gemeinscha­ft zu appelliere­n, die UNRWA finanziell zu unterstütz­en, sagte UNRWA-Sprecherin Tamara Alrifai der DW. "Wir würden eine erneute Partnersch­aft mit den USA begrüßen und bleiben dankbar für die jahrzehnte­lange Unterstütz­ung in der Vergangenh­eit", so Alrifai.

Kholoud Hussein hat die Hoffnung fast aufgegeben. "Die Welt hat uns vergessen", sagt sie. Sie erwarte nicht mehr viel von der internatio­nalen Gemeinscha­ft. Zumindest einen kleinen Grund zur Freude hat sie aber

schon: Sie hat immerhin mittlerwei­le ihre erste Corona-Impfung erhalten.

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Kholoud Hussein wurde im Burj Barajneh im Libanon geboren (Das Bild ist von 2019)
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"Palestine Vivra" - "Es lebe Palästina!" steht auf diesem Graffiti an einer Hauswand in Burj Barajneh

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