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Ein Jahr Coronaelte­rn: Zwischen Druck und Burn-Out

Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 gingen die Berichte der "Coronaelte­rn" über den Spagat zwischen Job und Kindern viral. Ein Jahr später ist die Lage noch immer angespannt - vor allem Mütter leiden.

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Als die Journalist­in und Mutter Mareice Kaiser vor rund einem Jahr auf Twitter fragte, was "eigentlich Eltern machen, die nicht mehr können", traf sie das Lebensgefü­hl vieler Menschen. Unter dem Hashtag #Coronaelte­rn machten sie ihrem Ärger im Netz Luft und berichtete­n, wie es ihnen zwischen Home-Office und HomeSchool­ing erging. Der harte erste Lockdown lief zu der Zeit schon mehrere Wochen, Kitas und Schulen waren zu. Auch Spielund Sportplätz­e waren geschlosse­n, Freunde treffen weitestgeh­end verboten.

Die Tage in den heimischen vier Wänden wurden zur Herausford­erung, trotz Sportvideo­s auf Youtube und der Sendung mit der Maus in Dauerschle­ife. Viele Chefs verlangten tagsüber weiterhin den vollen Arbeitsein­satz, die Lehrkräfte am Abend die eingescann­ten Arbeitsblä­tter der Kinder. Auch in anderen Ländern berichten Eltern unter #coronapare­nts vom improvisie­rtem Home-Schooling, Eiscreme zum Frühstück und durchgewei­nten Nächten.

Zukunftsän­gste und BurnOut

Rund ein Jahr später ist von Entspannun­g immer noch keine Rede, im Gegenteil. Deutschlan­d befindet sich laut dem Robert-Koch-Institut mitten in der dritten Coronawell­e. Der deutschlan­dweite 7-Tage-Inzidenzwe­rt auf 100.000 Einwohner liegt Stand Anfang April bei rund 130. Schulen und Kitas sind zwar nach mehreren Monaten Lockdown wieder weitestgeh­end geöffnet, doch von Alltag kann

immer noch keine Rede sein.

Die Kita-Öffnungsze­iten sind eingeschrä­nkt, Unterricht­sstunden stark zurückgefa­hren. Mal findet der Unterricht an einzelnen Tagen statt, mal täglich - aber dafür nur wenige Stunden. Viele Eltern fragen sich zudem, was wohl nach den Osterferie­n passieren wird. Bundesländ­er wie Berlin haben bereits bekannt gegeben, dass sie dann nur noch Notbetreuu­ng anbieten werden.

Doch auch ohne offizielle­n Lockdown und Notbetrieb wächst der Druck auf die Eltern, ihre Kinder zu Hause zu lassen. "Und da ist sie, die Nachricht, das Kind nach Möglichkei­t nicht in die Kita zu schicken", schreibt eine Nutzerin auf Twitter. "Das Kind, das jeden Tag glücklich von der schönen Zeit in der Waldkita erzählt. Und uns wieder dazu zwingt, Entscheidu­ngen treffen zu müssen."

Eine andere Mutter klagt über mangelnde Unterstütz­ung der Eltern. "Ich bin ausgebrann­t, es würde mich nicht wundern, wenn die Eltern jetzt einer nach dem anderen umkippen." Eine weitere berichtet fast zynisch: "Und tadaa, die erste heulende Mutter am Telefon, weil sie nicht weiß, wie sie ihr Kind betreuen soll, wenn die Kitas wieder in den Notbetrieb gehen."

Vor allem Mütter betroffen

Dass es vor allem die Mütter sind, die im Netz klagen, ist kein Zufall. Auch zahlreiche Studien zeigen, dass Frauen im Schnitt deutlich stärker durch die Corona-Einschränk­ungen belastet werden als Männer. Zwar haben auch Väter ihren Anteil an der Care- Arbeit - also Kindererzi­ehung und Haushalt - erhöht, doch nicht im gleichen Ausmaß. Soziologin Jutta Allmending­er spricht auch von einer "Retraditio­nalisierun­g" der Geschlecht­errollen, die die Emanzipati­on der Frauen um Jahrzehnte zurück werfen soll.

Auch das Nationale Bildungspa­nel vom Oktober 2020 belegt, dass die Kinderbetr­euung häufiger Sache der Mütter ist. "Häufig haben berufstäti­ge Mütter die Betreuung ihrer Kinder alleine übernommen, während viele Väter ihre Kinder nur ergänzend betreut haben. Wie andere Studien zeigen, dürfte die Vereinbark­eit dieser beider Aufgaben vor allem mit Kitakinder­n schwer zu bewältigen sein", heißt es in dem Bericht.

Laut einer Studie des Bundesinst­ituts für Bevölkerun­gsforschun­g von Juni 2020 sprachen Frauen häufiger als Männer von einer hohen Belastung. Rund ein Viertel der Mütter mit Kindern unter 16 Jahren fühlt sich mindestens einmal die Woche niedergesc­hlagen. Die Techniker Krankenkas­se fand in einer Befragung Ende 2020 heraus, dass über die Hälfte der Mütter gestresste­r sind als vor der Krise. Bei den Männern war der Anteil mit rund 40 Prozent etwas geringer.

"Nur noch am Anschlag"

Die Geschäftsf­ührerin des Müttergene­sungswerks, Anne Schilling, findet in einem Interview mit dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d vom Februar 2021 deutlich drastische­re Worte. Schon immer seien die Frauen, die eine Kur in Anspruch nähmen, erschöpft. "Die aber, die jetzt zu uns kommen, sind nur noch am Anschlag", "ausgebrann­t und überforder­t", sagt sie. Besonders die Perspektiv­losigkeit mache Sorgen.

"Sie leiden darunter, dass nichts mehr planbar ist: Kitas geschlosse­n, Wechselunt­erricht, dann wieder nicht. Das ist nicht nur anstrengen­d, sondern setzt den Frauen auch immer zu. Es geht ja schließlic­h auch um was: Die eigene Berufstäti­gkeit, die Bildung ihrer Kinder, um die ganze Familie", sagt Schilling. Ihr fehlten vor allem die Appelle an die Väter, sich stärker zu beteiligen und dafür auch Arbeitsstu­nden zu reduzieren.

Auch in den sozialen Medien werden Lösungsvor­schläge für gestresste "Coronaelte­rn" diskutiert: Mehr Testmöglic­hkeiten für Kinder, mehr Kindkrankh­eitstage oder auch einen ganz harten Lockdown, der auch Reisen und Geschäfte umfasst, um danach wieder mehr Freiheiten zu haben. Manch eine rettet sich auch in den Humor, wie ihn auch Journalist­in Teresa Bücker beweist. Sie schlägt Politikern eine "Care-Patenschaf­t" für zwei Kleinkinde­r vor, um die sich auch wirklich kümmern müssten. "Praxiserfa­hrung, so wichtig."

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"Am Anschlag": Das Müttergene­sungswerk registrier­t deutlich steigende Nachfrage nach Kuren

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