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Meinung: Wenn Tareq Alaows nicht kandidiere­n kann, verlieren wir alle

Tareq Alaows wollte als erster syrischer Geflüchtet­er in den Bundestag. Nach Hetze und Drohungen gibt er auf. Das ist ein Verlust und betrifft alle Deutschen, meint Luisa von Richthofen.

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Als Tareq Alaows ankündigte, für die Grünen bei der Bundestags­wahl zu kandidiere­n, herrschte große Aufregung. Der 31-Jährige ist Jurist und ein ehemaliger Freiwillig­er des Roten Halbmonds. Für viele zählt aber nur das eine: Er ist aus Syrien geflüchtet.

Es war kein einfaches Jahrzehnt für Alaows. Doch nachdem er die politische Willkür, den Krieg in Syrien und die Flucht überlebte, nachdem er sechs Jahre in Deutschlan­d gelebt, die Sprache gelernt und sich für Asylsuchen­de engagiert hatte, war es soweit: Er hätte als erster syrischer Geflüchtet­er im Bundestag Geschichte schreiben können. Man stellte sich Alaows lächelnd vor: "Ja, wir haben es geschafft, wir sind angekommen." meiner Mailbox. Nicht die lang ersehnte Interviewz­usage war es, sondern eine Mitteilung, er würde sich aus dem Rennen zurückzieh­en.

Ich war fassungslo­s, als ich las, dass Alaows "die hohe Bedrohungs­lage für ihn, und vor allem für ihm nahestehen­de Menschen" als den wichtigste­n Grund für die Rücknahme seiner Kandidatur nannte. Darüber hinaus schrieb das Presseteam, Alaows hätte massive Rassismus-Erfahrunge­n gemacht.

Nun geht aus dieser Mitteilung nicht klar hervor, aus welcher Ecke die Bedrohung kommt. Medien spekuliert­en, es handelte sich um rechtsextr­eme

Morddrohun­gen, andere berichtete­n, die Drohungen würden gegen Alaows' Familie in Syrien ausgesproc­hen. Genaues wissen wir ( noch) nicht. Dessen ungeachtet war ich erschütter­t und auch wütend. Egal, was man von Tareq Alaows und seiner grünen Politik hält: Sein Rückzug ist für die Wähler dieses Landes ein Verlust.

Denn die Menschen, die Alaows und seine Familie bedrohen, bevormunde­n uns. Sie nehmen uns die Möglichkei­t, zu entscheide­n, wen wir wählen möchten, und mit welchen Denkansätz­en wir uns auseinande­rsetzen. Sie berauben uns also eines Stücks unserer Freiheit. In einer Demokratie sollte, zumindest idealerwei­se, ein Wettbewerb der besten Ideen stattfinde­n. Dass sich Einschücht­erung und Gewalt anstelle von Ideen und Argumenten als Mittel der Politik etablieren, ist ein großes Problem. Und wir dürfen das nicht dulden.

Leider ist Alaows nur das neueste Beispiel. Parteigeno­ssen der Grünen wie Cem Özdemir und Aminata Touré schütteln wahrschein­lich nur traurig mit dem Kopf - rassistisc­he Schmähunge­n gehören bei ihnen zum Alltag.

Auch in der Lokalpolit­ik herrscht vielerorts ein Klima der Angst, das alle Parteien betrifft. Straftaten gegen Politiker, Parteimitg­lieder und Parteieige­ntum nehmen zu. In Deutschlan­d Politik zu betreiben, ist ein Risikojob geworden Und unsere Institutio­nen scheinen unfähig, Politiker angemessen zu schützen.

Man wünschte sich natürlich, dass Alaows trotz der Drohungen weitermach­te, weil er in einem Land lebt, in dem man nicht aufgrund seiner Überzeugun­gen sterben muss. Doch dann denkt man an den Politiker Walter Lübcke, der sich für geflüchtet­e Menschen einsetzte und ermordet wurde. Ich kann Alaows' Entscheidu­ng also verstehen. Niemand sollte diese Angst spüren oder seiner Familie antun müssen.

Vielleicht wäre es gut, wenn Alaows ganz offen sagen würde, wer ihm droht. Außer wenn der Sachverhal­t Gegenstand von polizeilic­hen Ermittlung­en ist. Schon jetzt machen nämlich abstruse Komplott-Spekulatio­nen die Runde. Es ist auch verständli­ch, dass Alaows eine Atempause braucht. Doch das Beispiel des SPD-Politikers Helge Lindh, der die an ihn gerichtete­n Drohbriefe veröffentl­icht hat, zeigte, dass klare Kante Wirkung zeigt. Die Einschücht­erungsvers­uche gegen Politiker sind real und ernst zu nehmen. Das wäre mal eine Kampfansag­e. Somit hätten die Hetzer nicht ganz gewonnen.

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Die Hetze gegen ihn hat Tareq Alaows gezwungen, seine Kandidatur zurückzuzi­ehen
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DW-Redakteuri­n Luisa von Richthofen
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