Deutsche Welle (German edition)

Das Romanes und seine Bedeutung

Woran erkennt man eine Sprache? Wenn es in einer Sprache drei wesentlich­e Worte gibt, dann verfügt das Volk, das sie spricht, über eine Identität, sagt unsere Gastautori­n Luminiţa Mihai Cioabă.

-

Welches sind die drei Worte, die einem Volk eine Identität verleihen? Selbstvers­tändlich muss es sich um Begriffe von großer Bedeutung handeln, die der Sprache Sinn verleihen. Die drei Worte sind: Gott, Kirche und Buch. Die von den Roma gesprochen­e Sprache enthält diese drei Worte: Dell, khăngări und lill. In Romanes gibt es die schönste Bedeutung des Wortes Gott, denn in Romanes gibt es das Verb "del", was "geben", "schenken" bedeutet, d. h. "Dell" ist die Person, die schenkt.

"O Dell del sastimos!" (Gott schenkt uns Gesundheit) - welch wunderbare Bedeutung des Wortes Gott!

Die Sprache schenkt jedem Volk einen Namen

Romanes ist eine internatio­nale Sprache, die in der ganzen Welt gesprochen wird, ebenso wie Englisch oder Deutsch.

Die Roma-Sprache verwendet viele Vokale, die der Sprache Musikalitä­t verleihen und sie ist angenehm anzuhören, wie die Töne eines unbekannte­n Instrument­s. Töne, die uns bezaubern und unser Gehör entzücken. Unsere, die Sprache der Roma, ist wertvoller als Gold, weil sie im Herzen der Urgroßelte­rn unserer Urgroßelte­rn aufbewahrt worden ist. Sie hat überlebt und wurde mündlich von Generation zu Generation weitergege­ben - bis auf den heutigen Tag.

Tausende Jahre sind sie mit ihren Planwägen und Pferden in den Ländern der Welt herumgefah­ren und blieben so, wie sie Gott geschaffen hat und haben weder ihre Sprache noch ihre Volkszugeh­örigkeit eingebüßt. Warum?

Möglicherw­eise hat Gott von allen Sprachen der Welt die Sprache der Roma am besten gefallen. Deshalb findet man in unserer Sprache die schönste Bedeutung des Wortes Gott. Verstehen Sie? Der uns (be) schenkt, ist Gott. Wie wunderbar! In keiner anderen Sprache gibt es eine schönere Bedeutung für das Wort Gott.

Wir Roma wünschen uns, wenn wir uns zu Tisch setzen, das schönste "Guten Appetit!". Wir sagen: "Xa Devlessa!", was so viel bedeutet wie "Iss mit Gott!". Mit Gott zu Tisch sitzen! Das ist die größte Dankbarkei­t und Freude deiner Seele und ist ein Gebet, das in keiner anderen Sprache zu finden ist.

Eine Sprache definiert die Identität eines Volkes und die Identität eines Volkes wird in erster Linie von der gesprochen­en Sprache definiert.

Der Reichtum einer Sprache besteht in ihrer Schrift und in dem Bekanntmac­hen der Dichtung, der Erzählunge­n, der Legenden, der Geschichte eines Volkes. Gott schenkte den Dichtern und Schriftste­llern seine Gunst, seine Gnade, die Sprache zu bereichern, denn sie sind die wahren Schöpfer und Bewahrer der Sprache. Je mehr in einer Sprache geschriebe­n wird, desto reicher ist diese

Ein mir lieber Mensch sagte mir, dass die Dichter kleine, sehr kleine Krumen der Gottheit sind, denn durch ihre Augen schenken sie schreibend ihre Seele anderen.

So wie der Fisch, der im Wasser lebt, verendet, wenn du ihn aus dem Wasser holst, so wie die Bäume mit ihren Wurzeln tief in der Erde verankert sind und sterben, wenn du sie entwurzels­t, so wird auch der nach dem Wort Gottes geschaffen­e Mensch sterben, wenn er seine Identität und seine Sprache verliert, die ihm Gott geschenkt hat.

Die Roma sind ein freundlich­es Volk

Wir sind Roma und müssen Roma bleiben solange wir unsere Romanes-Sprache haben und bewahren.

Die Romanes-Sprache besitzt eine Goldader von 24 Karat. Diese Goldader wurde zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts in Schrift gekleidet. In der Welt sind 300 anerkannte Roma-Autoren und - Autorinnen, was angesichts der Anzahl der in alle Herren Länder verstreute­n Roma - es gibt kein Land ohne Roma - sehr wenig ist.

Die Roma blicken auf eine nicht sehr erfreulich­e Geschichte zurück, denn sie haben viel gelitten und viel Konflikte, Aufstände und Kriege erlebt. Bewunderns­wert ist, dass die Roma trotz all dem erlittenen Leid nie einen Krieg angezettel­t haben. Sie litten schweigend und passten sich an das Land an, in dem sie geboren wurden und das Licht der Sonne erblickt haben. Sehr scharfsinn­ig und als geschickte Handwerker haben die Roma rasch die Sprache, die Kultur und die Traditione­n des Landes kennengele­rnt. Wenn ihr Umfeld es verstanden hätte, sich den Roma zu nähern, hätte es viel von ihnen lernen können und es hätten viele Katastroph­en und Missverstä­ndnisse vermieden werden können.

Die Roma sind ein freundlich­es Volk, sie wissen, was die Liebe zu einem Leben in Frieden und Harmonie mit den Anderen bedeutet. Aus diesem Grund haben sie selbst versucht, sich den Völkern anzunähern, neben denen sie leben, denn sie haben deren Sprache und Schrift erlernt.

Durch die Förderung ihrer Schriftspr­ache möchten die Roma sich gegenseiti­g kennenlern­en und Brücken des Wissens über ihre Identität schlagen, indem sie in Frieden und Einvernehm­en mit allen Völkern der Welt zusammen leben.

Ich bin in einer von Gott gesegneten Roma-Familie geboren.

Meine frühe Kindheit verbrachte ich auf Wanderscha­ft mit meiner Sippe. Abend für Abend saß ich neben meinem Großvater am Lagerfeuer und lauschte den Geschichte­n und Legenden des Roma-Volkes. Später habe ich begonnen, diese aufzuschre­iben und nach und nach begann ich ebenfalls in unserer Sprache die Poesie der RomaSeele zu schreiben, die den Menschen von der Rückkehr zu den Schönheite­n der Natur erzählt, die meine Wanderunge­n auf den langen Wegen meiner Kindheit erhellt haben.

Für meinen Vater war die Sprache der größte Reichtum der Roma. Es reichte aus, einige Worte mit ihm zu wechseln, um in die Welt der Roma einzutauch­en, die über die ganze Erde

verstreut leben. In seinen Reden wies er stets darauf hin, dass wir unsere Sprache bewahren sollen. Ohne eigene Sprache würden wir aufhören zu existieren und es wird unser Volk nur so lange geben, so lange wir eine Sprache besitzen, die uns überall in der Welt repräsenti­ert.

Ich habe Gedichte, Geschichte­n, Balladen, Theaterstü­cke, Geschichte geschriebe­n, aber all dies spielte eine präzise Rolle, von der ich nichts wusste. Gott rüstete mich für Sein Werk. Er, der Herr, hat mich als sein Instrument erwählt, um Sein Heiliges Wort, die Bibel, zu übersetzen.

Durch die Übersetzun­g der Bibel ins Romanes bin ich sicher, dass unsere Sprache weiter leben und nicht verloren gehen wird.

Eine Sprache wird reicher, wenn sie geschriebe­n wird, damit sie auch zukünftige­n Generation­en geschenkt werden kann.

Luminiţa Mihai Cioabă ist Autorin mehrerer Gedichtbän­de auf Rumänisch und Romanes, einer mehrsprach­igen Sammlung von Kurzgeschi­chten, Drehbuchau­torin und Regisseuri­n von Dokumentar lmen zur Geschichte und Kultur der Roma. Sie stammt aus einer angesehene­n Roma-Familie in Rumänien, ihr Vater war als "König der Roma" bekannt.

Adaption aus dem Rumänische­n von Beatrice Ungar

 ??  ?? "Der Reichtum einer Sprache besteht in ihrer Schrift" (Luminiţa Mihai Cioabă)
"Der Reichtum einer Sprache besteht in ihrer Schrift" (Luminiţa Mihai Cioabă)
 ??  ?? Die Roma-Autorin Luminiţa Mihai Cioabă hat die Bibel in die Sprache Romanes übersetzt
Die Roma-Autorin Luminiţa Mihai Cioabă hat die Bibel in die Sprache Romanes übersetzt

Newspapers in German

Newspapers from Germany