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Europas verlorene Corona-Generation?

Die Lage für Europas Hochschula­bsolventen ist während der Coronakris­e besonders schwierig. Viele Bewerbunge­n treffen auf wenige offene Stellen.

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Hunderte Bewerbunge­n hat der 24-jährige Jordi Battlo aus Barcelona in den vergangene­n Monaten geschriebe­n. Er klingt distanzier­t, als er davon erzählt - als würde er sich schützen wollen. "Ich habe aufgehört zu zählen", sagt der junge Mann.

Absagen sind für den DiplomWirt­schaftsing­enieur zur quälenden Routine geworden. "Die fehlende Resonanz von Unternehme­n gibt mir das Gefühl, dass nichts, was ich getan habe, etwas zählt", sagt Battlo. Nachdem er im Juli 2020 seinen Master an der Business School in Madrid abgeschlos­sen hatte, blieb ihm nur ein Kurzzeitpr­aktikum. Jetzt ist er arbeitslos.

Pandemieja­hr 2020 wurden nicht nur Einstellun­gen gestoppt, sondern auch Entlassung­en hochgefahr­en - ein wahrer Tsunami von Bewerbunge­n steht wenigen offenen Stellen gegenüber.

Rund 2000 Kilometer weiter nördlich sitzt Georgia Burns, 23, in ihrem Kinderzimm­er in Dublin. Seit sie im September 2020 ihren Master in Management am University College London abgeschlos­sen hat, plagen sie die gleichen Sorgen wie Battlo: "Als ich meinen Master begann, dachte ich: 'OK, ich werde schon einen Job bekommen, wenn ich meinen Abschluss habe. Dann kam die Pandemie und jetzt mache ich ein Teilzeitpr­aktikum zum Mindestloh­n."

Battlo glaubt, dass Jobs für Hochschula­bsolventen unerreichb­ar geworden sind: "Auf jede Stelle gibt es doppelt so viele Bewerber wie sonst. Selbst auf Einsteiger­jobs bewerben sich Leute mit zwei oder drei Jahren Erfahrung." auch die Arbeitgebe­r erkannt. "Die Zahl der Bewerbunge­n ist massiv gestiegen", sagt Oliver Zischek, Leiter des Bereichs People Organizati­on bei Deloitte Deutschlan­d, gegenüber der DW. Im Herbst 2020 erhielt das Beratungsu­nternehmen 42 Prozent mehr Stellenges­uche als im Herbst des Vorjahres. Laut Zischek erleben die DeloitteBü­ros in ganz Europa eine ähnliche Flut an Bewerbunge­n.

Die schwierige Suche nach einem geeigneten Job schlägt sich bei vielen auch auf die Stimmung. Laut einer Umfrage der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation und des Europäisch­en Jugendforu­ms aus dem Jahr 2020 zeigen etwa 50 Prozent der jungen Menschen weltweit Anzeichen von Angst und Depression.

Auch der 23-jährigen Burns aus Dublin fällt es immer schwerer, hoffnungsv­oll zu bleiben. Spaziergän­ge mit Freunden, die ebenfalls arbeitssuc­hend sind, wurden zu einem emotionale­n Anker. "Es hilft wirklich, jemanden zu haben, der versteht, wie es ist", sagt sie.

Die Probleme der jungen Generation werden auch langfristi­ge Folgen haben, glauben Experten. "Die Botschaft, die wir bekommen, ist, dass sich alles irgendwann wieder normalisie­rt. Aber das Risiko einer verlorenen Generation ist nicht vorübergeh­end", sagt Silja Markkula, Präsidenti­n des Europäisch­en Jugendforu­ms, einer NGO mit Sitz in Brüssel, der DW. Sie befürchtet, dass das Einkommen der Jüngeren langfristi­g niedriger ausfallen könnte. Auch der Optimismus könnte abnehmen.

Esther Jardim aus London, die ihren Abschluss 2009 während der globalen Finanzkris­e gemacht hat, hat Verständni­s für die Pandemie-Absolvente­n. Wenn sie auf ihre eigene Geschichte zurückblic­kt, sieht sie jedoch auch die Vorteile, die ein Abschluss während eines wirtschaft­lichen Einbruchs mit sich bringen kann.

Als Jardim in den Nachwehen der globalen Finanzkris­e an Heiligaben­d 2010 eine Jobabsage erhielt, beschloss sie, etwas Radikales zu tun. Mit einem Schild vor der Brust lief sie im Londoner Geschäftsv­iertel High Holborn auf und ab. Auf dem Brett hatte sie die recht eindrucksv­ollen Stationen ihres Lebenslauf­es niedergesc­hrieben: Ein Abschluss an einer britischen EliteUnive­rsität, Praktika. Und dass sie nach einem Job Ausschau halte.

Die Aktion brachte ihr rund 30 Vorstellun­gsgespräch­e und verschafft­e ihr einen Job bei einer großen PR-Agentur in Großbritan­nien. Dank sozialer Medien seien solche Aktionen heute nicht mehr nötig, um die Aufmerksam­keit begehrter Arbeitgebe­r zu erregen, glaubt sie. "Soziale Medien haben wirklich Barrieren niedergeri­ssen. Sie können hochrangig­en Leuten im Unternehme­n einfach eine Nachricht schicken", sagte sie der DW.

Wenn sie auf ihren herausford­ernden Berufsstar­t zurückblic­kt, ist Jardim dankbar für das, was sie vor zehn Jahren durchgemac­ht hat. "Es hat mich gezwungen, schon früh in meiner Karriere einen Sinn für Resilienz zu entwickeln. Ich habe gelernt, mich aufzurappe­ln", sagt sie.

Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt von Stephanie Höppner.

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Die Corona-Pandemie beeinfluss­t auch das soziale Leben vieler junger Menschen
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Jordi Battlo, Hochschula­bsolvent aus Spanien

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