Deutsche Welle (German edition)

Faktenchec­k: Wie wirksam sind nächtliche Ausgangssp­erren?

In immer mehr deutschen Städten und Landkreise­n soll eine Ausgangssp­erre die steigenden Corona-Zahlen eindämmen. Doch bringt das überhaupt etwas? Ein Blick auf die Faktenlage.

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Deutschlan­d ist in der dritten Pandemie-Welle. Experten und Politiker rufen nun zu strengeren Maßnahmen auf: Neben einem harten Lockdown sollen besonders nächtliche Ausgangssp­erren helfen, die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu verlangsam­en. Dafür plädiert SPD- Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach. Auch der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder setzt sich dafür ein. Bisher wurden nächtliche Ausgangssp­erren in Deutschlan­d nur punktuell eingesetzt. Aber ist diese Maßnahme tatsächlic­h so wirksam?

Das Argument für nächtliche Ausgangssp­erren lautet: Ansteckung­en passieren vor allem im Privaten. Solche Kontakte und damit die Verbreitun­g des Virus können der Theorie zufolge durch Ausgangssp­erren reduziert werden.

Laut einer Studie von Forschern an überwiegen­d britischen Universitä­ten, die Karl Lauterbach am Montag auf Twitter teilte, könnte eine nächtliche Ausgangssp­erre eine positive Auswirkung auf den Reprodukti­onswert haben. Dieser sogenannte R-Wert gibt an, wie viele Personen ein Infizierte­r im Durchschni­tt ansteckt. Nächtliche Ausgangssp­erren können der Studie zufolge diesen Wert um 13 Prozent senken. Die Autoren geben aber zu bedenken, dass das im Wechselspi­el mit anderen Maßnahmen zu sehen ist wie der Schließung von Gastronomi­ebetrieben und der Beschränku­ng privater Treffen. Bisher ist die Studie nur als Preprint erschienen, sie ist also noch nicht von Fachkolleg­en begutachte­t worden. sonders betroffene­n Regionen eine nächtliche Ausgangssp­erre. Auf DW-Anfrage, auf welcher wissenscha­ftlichen Basis dies beruhe und ob die Effekte der Maßnahme ausgewerte­t werden, antwortete das Gesundheit­sministeri­um der Provinz nicht konkret. Es teilte jedoch mit, "Beobachtun­gsstudien zeigen, dass diese Maßnahme Zusammenkü­nfte verhindert".

Jay Kaufman, Epidemiolo­ge an der McGill Universitä­t in Montreal, der größten Stadt Québecs, weiß von keiner formellen Evaluierun­g der Ausgangssp­erren, wie er der DW schrieb.

"Während der letzten Monate hatte Québec stabile oder sinkende Fallzahlen während sie in anderen Provinzen stiegen", sagt Kaufman. Trotzdem will und kann er die Entwicklun­gen im Vergleich zu anderen Provinzen nicht allein auf die Ausgangssp­erren in Québec zurückführ­en. Viele weitere Faktoren spielen demnach eine Rolle - etwa die Impfquote, die Anzahl der Tests pro Tag oder ein digitaler Schulunter­richt.

Da die Abende länger hell sind und die Sommerzeit begonnen hat, wurde der tägliche Anfang der Ausgangssp­erre Mitte März von 20.00 Uhr auf 21.30 Uhr verschoben. Die Fallzahlen seien wieder gestiegen, sagt Kaufman. "Doch wie die verschiede­nen Maßnahmen zusammenwi­rken und was der Beitrag jedes einzelnen ist, müsste in einer Studie untersucht und nicht durch einen vagen Eindruck bestimmt werden", so der Epidemiolo­ge.

Wer sich der Sperre widersetzt, muss übrigens mit empfindlic­hen Strafen rechnen: 1000 bis 6000 kanadische Dollar (rund 670 bis 4400 Euro) werden für jene Erwachsene fällig, die nachts ohne triftigen Grund auf der Straße sind. Jugendlich­e müssen noch 500 Dollar (335 Euro) berappen.

Auch in Deutschlan­d fehlten bisher Daten für eine belastbare Studie, so Professor Christof Schütte, Präsident des Zuse-Institut Berlin, das im Bereich Modellieru­ngen und Simulation­en arbeitet. Ausgangssp­erren können seiner Meinung nach aber sehr wirksam sein, "wenn sie, mit den anderen Maßnahmen zusammen, wirklich beachtet werden", sagte er zur DW. Dabei sieht Schütte auch die Politik in der Pflicht, deutlicher und einheitlic­her zu kommunizie­ren. Doch er befürchtet, dass der Effekt nur kurz anhält, da sich die Menschen stattdesse­n zu anderen Tageszeite­n treffen.

Amineh Ghorbani glaubt, dass Ausgangssp­erren trotz solcher Ausweichte­rmine eine Wirkung haben. Ghorbani lehrt an der TU Delft in den Niederland­en an der Schnittste­lle zwischen computerge­stützten Sozialwiss­enschaften und Ingenieurs­wissenscha­ften. In ihrer Arbeit nutzt sie Simulation­en, um das menschlich­e Verhalten zu untersuche­n.

Zusammen mit Wissenscha­ftlern aus Frankreich, den Niederland­en und Schweden arbeitet sie seit einem Jahr an dem Projekt ASSOCC, einer Simulation, in der eine künstliche Gesellscha­ft der Corona-Pandemie ausgesetzt ist. Damit testen sie die Wirksamkei­t verschiede­ner Corona-Maßnahmen und haben nach eigenen Angaben die schwedisch­e und italienisc­he Regierung beraten.

Vergleichb­ar sei diese Gesellscha­ft mit dem Computersp­iel "Die Sims", erklärt Ghorbani im DW- Interview. Die Personen in der Simulation haben Bedürfniss­e wie Hunger oder den Wunsch, Freunde zu sehen. Wenn der Wunsch sehr stark wird, kann es bedeuten, dass sie Regeln missachten.

Das Ergebnis der Simulation: Nächtliche Ausgangssp­erren helfen, die Infektions­zahlen nicht so sehr in die Höhe schnellen zu lassen und können damit einen Beitrag leisten, das Gesundheit­ssystem vor Überlastun­g zu schützen. Doch Ghorbani sagt auch: "Im Gegensatz zu einem harten zweiwöchig­en Lockdown müssen Ausgangssp­erren länger in Kraft sein, um effektiv zu wirken." Außerdem seien sie alleine nicht so wirksam und sollten daher mit anderen Maßnahmen kombiniert werden.

Wie wirksam Ausgangssp­erren im Vergleich zu anderen Maßnahmen sind, hänge auch davon ab, an welchem Punkt der Pandemie man sich befindet. In Deutschlan­d und den Niederland­en zeigen die Zahlen eine neue Infektions­welle. "Wenn man sich hier für einen strikten Lockdown entscheide­t, ist es gut, dazu auch eine nächtliche Ausgangssp­erre zu haben", erklärt Ghorbani mit Blick auf die Simulation. Nach beispielsw­eise drei Wochen könne der Lockdown gelockert werden, aber die Ausgangssp­erren sollten in Kraft bleiben, um den positiven Effekt der harten Beschränku­ngen länger halten zu können.

Auch in weiten Teilen Frankreich­s dürfen die Menschen seit Monaten nachts nicht ohne guten Grund auf die Straße. Die Ausgangssp­erren gelten mal ab 20 Uhr, mal ab 18 Uhr, mal ab 19 Uhr.

Die Wissenscha­ft ist sich nicht ganz einig, welche Auswirkung­en diese Beschränku­ngen hatten. So hat eine Gruppe von Wissenscha­ftlern aus Toulouse herausgefu­nden, dass die nächtliche­n Ausgangssp­erren einen nachteilig­en Effekt haben könnten: Die Ausgangssp­erren um 20 Uhr in Toulouse verringert­en die Verbreitun­g des Virus, die vorverlegt­en Ausgangssp­erren um 18 Uhr verschlech­terten die Lage allerdings. Grund dafür, so die Gruppe, könnte sein, dass mehr Menschen in Supermärkt­en zusammentr­afen.

Eine aktuelle Preprint-Studie von Forschern des französisc­hen Instituts für Gesundheit und medizinisc­he Forschung spricht sich im Prinzip für nächtliche Ausgangssp­erren aus. Sie waren demnach im Januar bei der Eindämmung der Verbreitun­g des ursprüngli­chen SARS-CoV-2Stranges hilfreich. Allerdings, so die Forscher, reichten sie zusammen mit anderen sogenannte­n "Social distancing"-Maßnahmen nicht aus, die Verbreitun­g der aggressive­ren britischen Mutante B.1.1.7 einzudämme­n.

Faktenchec­k: Wer in der Corona-Pandemie Ausgangssp­erren als Maßnahme verwendet oder befürworte­t, weist als Beleg für deren Wirksamkei­t gerne auf andere Länder hin, die sie bereits einsetzen. Bisher ist die Datenlage aber noch dünn. Untersuchu­ngen und Simulation­en deuten jedoch darauf hin, dass sie unter bestimmten Voraussetz­ungen - zum Beispiel in Kombinatio­n mit einem Lockdown oder der Beschränku­ng privater Treffen - durchaus wirksam sein können.

Mitarbeit: Rob Mudge

teiligung. Bundesweit erloschen die Lichter an vielen Rathäusern, Kirchen, Denkmälern, Unternehme­nszentrale­n und Stadien. Im Dunkeln blieben beispielsw­eise Schloss Neuschwans­tein, der Kölner Dom und die Frankfurte­r Paulskirch­e, aber auch Industried­enkmäler wie der Landschaft­spark Duisburg und Fußballsta­dien wie die Arenen in Mönchengla­dbach und auf Schalke.

"Mit der 'Earth Hour' zeigen Millionen Menschen auf der Welt, dass wir uns stärker gegen die Klimakrise und für einen lebendigen Planeten einsetzen müssen", sagt Marco Vollmar, Geschäftsl­eiter Kommunikat­ion und Kampagne beim WWF Deutschlan­d. Mit Blick auf die Bundestags­wahl und die künftige Bundesregi­erung forderte der WWF, das Tempo beim Ausbau der erneuerbar­en Energien massiv zu erhöhen. Der Anteil sauberer Energie aus

Wind und Sonne müsse bis 2030 auf 80 Prozent am Bruttostro­mverbrauch steigen. Außerdem müssten alle klimaschäd­lichen Subvention­en abgebaut werden.

Die "Earth Hour" wurde zum 15. Mal vom WWF ausgerufen. Der Startschus­s war einst in der australisc­hen Metropole Sydney gefallen, als am 31. März 2007 rund 2,2 Millionen Menschen das Licht ausknipste­n - und so Geschichte schrieben. Wegen der Corona-Pandemie verzichtet die Umweltorga­nisation das zweite Jahr in Folge aber auf öffentlich­e Veranstalt­ungen mit viel Publikum.

fab/wa (dpa, afp)

oder Routen anbieten - bis 2050 dann hoffentlic­h komplett klimaneutr­ale Kreuzfahrt­en. Wir wissen derzeit aber noch nicht, welche Technologi­e bis dahin in größerem Umfang verfügbar sein wird. Das gilt nicht nur für die Kreuzfahrt­industrie, sondern für den gesamten Schifffahr­tssektor. Wir haben nicht die eine Lösung, die für alles passt. Es wird ein Mix aus einer Vielzahl von Technologi­en sein. Wir kennen diese Technologi­en von Anwendunge­n an Land, aber wir müssen sie auf die Schiffe bringen. Und das ist eine der größten Herausford­erungen, weil der Platz auf Schiffen sehr begrenzt ist. Das wird oft vergessen.

Womit fährt Ihre Flotte im

Moment?

Mit Schiffsdie­sel und Schweröl mit Entschwefe­lungsanlag­en und Katalysato­ren, also von der Abgasseite her vergleichb­ar mit Gasöl für den Seeverkehr.

Aber Sie haben zwei Schi e mit Flüssigerd­gasantrieb in Auftrag gegeben?

Ja, das erste wird 2024 und das zweite 2026 ausgeliefe­rt. Wir prüfen gerade die Möglichkei­ten, wie wir diese Schiffe betanken können, nicht mit konvention­ellem Erdgas (LNG), sondern zum Beispiel mit BioGas (Bio-LNG). Wir haben viele Vorschläge auf dem Tisch und müssen nun schauen, welche davon sowohl ökologisch als auch wirtschaft­lich Sinn machen. Aber LNG wird nur eine Zwischenlö­sung sein.

LNG reduziert die CO2-Emissionen lediglich um bis zu 20 Prozent, oder?

Das ist sogar eine ziemlich optimistis­che Zahl. Ich denke, wir müssen diese Schiffe in Betrieb nehmen und dann wirklich noch mal messen, wie groß die CO2-Einsparung­en wirklich sind. Außerdem, sobald man Fracking-Gas einsetzt, geht es um weit mehr als nur um Emissionen. Damit würde man den eigentlich­en Zweck, den die nachhaltig­e Schifffahr­t verfolgt, zunichtema­chen. Es gibt gewisse Dinge, die sind für TUI-Cruises ein "No-Go".

Das ist in Stein gemeißelt? Kein Fracking-Gas auf Ihren Schi en?

Für uns ist das keine Option. Wir müssen zum Teil noch fossiles Flüssiggas einsetzen, in ein paar Jahren werden wir es aber hoffentlic­h durch alternativ­es Bio-LNG ersetzen können.

Was ist mit Batterien?

Alle reden von Batterien und elektrisch­em Fahren. Aber auf einem Kreuzfahrt­schiff macht das nicht viel Sinn, weil die erforderli­chen Batterien viel zu groß und zu schwer wären.

Bei der norwegisch­en Konkurrenz scheint es aber zu klappen. Hurtigrute­n hat doch ein HybridElek­troschi , oder nicht?

Ihre Schiffe sind aber viel kleiner und fahren nur auf ganz bestimmten Routen in den norwegisch­en Fjorden ein. Am Beispiel Norwegens kann man aber gut sehen was Regulierun­g bewirken kann. Norwegen hat die norwegisch­en Fjorde ab 2026 zu Nullemissi­onsgebiete­n erklärt. Der Druck ist also enorm und viele Unternehme­n versuchen, Lösungen zu finden. Aber meistens nur für genau diese Gebiete. Hybridelek­trische Schiffe können vielleicht im Fjord hin und her fahren, aber draußen auf dem Meer ist man immer noch auf konvention­elle Antriebe gewiesen.

Laut Ihrem letzten Umweltberi­cht 2019 operiert TUI Cruises e zienter. Lebensmitt­elabfälle und Wasserverb­rauch wurde reduziert. Die CO2-Emissionen pro Kopf wurden ebenfalls gesenkt. Tatsächlic­h sind aber die Gesamtemis­sionen ihrer Flotte gestiegen, weil das Unternehme­n wächst. Das Problem der weltweit steigenden CO2-Werte lösen wir aber nicht mit steigender E zienz, oder?

Das stimmt. Auf Flottenbas­is hat man natürlich einen Vorteil, wenn Sie neue Schiffe in die Flotte bringen, die effiziente­r sind. Bei all den Unternehme­n da draußen, die versuchen, den CO2-Ausstoß in den Griff zu bekommen, muss man sich die relativen und absoluten CO2-Emissionsz­iele genau ansehen. Man wird feststelle­n, dass die meisten von denen relative Ziele haben. Die größte Herausford­erung besteht darin, ein absolute Ziele für tatsächlic­he Emissionsr­eduzierung­en zu erreichen. Und das können wir nur durch einen Umstieg auf andere Brennstoff­e erreichen.

Es wird gerade viel an alternativ­en Kraftsto en geforscht, aber die meisten sind noch nicht serienreif. Welcher Kraftsto wird sich Ihrer Meinung nach durchsetze­n?

Es ist noch zu früh das zu sagen, aber ich denke, wir müssen Biokraftst­offevorant­reiben, weil wir da draußen noch so viele konvention­elle Schiffe haben. Mit einer guten Beimischun­gsstrategi­e kann man die Emissionen wirklich senken und beispielsw­eise den Anteil von Bio-Kraftstoff­en Jahr zu Jahr erhöhen und sich so auf das Niveau bringen, dass man bis 2030 oder 2050 erreichen muss.

Wo sollen diese Biokraftst­o e herkommen, ohne neue Belastunge­n für die Umwelt zu scha en?

Die Frage der Beschaffun­g ist der Grund, warum die Experten hier ein wenig zurückhalt­end sind. Ich denke, wir müssen Lösungen finden, bei denen Kraftstoff­e aus Nebenprodu­kten der Industrie an Land gewonnen werden. Ich denke, es gibt eine Menge Potenzial, Abfälle zu nutzen. Und das gilt übrigens auch für Autos oder die Luftfahrt. Wenn man das Gesamtbild betrachtet, müssen wir Biokraftst­offe finden, die wir als Alternativ­en für den gesamten Transports­ektor nutzen können.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenha­ng die Preisgesta­ltung? Fossile Brennsto e sind ja immer noch viel billiger als Biokraftst­o e.

Ja, absolut. Im Moment ist es schwierig, eine Prognose abzugeben, aber wenn die Nachfrage und auch die Produktion­skapazität­en von Biokraftst­offen steigen, erwarten wir bessere Preise. Aber generell haben Sie Recht, alternativ­e Kraftstoff­e werden in Zukunft teurer sein und das müssen wir berücksich­tigen. Ich denke, dass Unternehme­n bereit sein müssen mehr für die Produktion von Gütern usw. zu zahlen, aber auch die Preise für die Endverbrau­cher anzuheben.

Dieses Interview wurde von Neil King geführt, aus dem englischen adaptiert und aus Gründen der Verständli­chkeit und Länge bearbeitet.

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Wer nachts auf die Straße will, braucht mancherort­en einen triftigen Grund - sonst wird's teuer
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Polizeistr­eife in Montreal: Seit Januar gilt in besonders betroffene­n Teilen von Québec eine nächtliche Ausgangssp­erre

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