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Rebellin der Modewelt: Vivienne Westwood wird 80

Aus einer Hobbyschne­iderin in einer Londoner Boutique ist eine gefragte Modesigner­in geworden, die immer noch provoziert - unabhängig, wild und engagiert.

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London, Anfang der 1970er. In der King's Road 430 lebt ein Pärchen namens Malcolm McLaren und Vivienne Westwood. In ihrem schwarz gestrichen­en, abgeranzte­n Laden mit dem Namen "Let it Rock" steht eine Musikbox. Sie verkaufen abgefahren­e Klamotten, bestickte Samtanzüge, Röhrenhose­n und lange Jackets. Die Musik und die Mode der Hippiebewe­gung geht ihnen auf die Nerven: Der Rock'n'Roll ist aus der Musik verschwund­en, die Musikindus­trie hat alles übernommen, die Glaubwürdi­gkeit der revoltiere­nden Jugend ist weg. Die einzigen "echten" Revoluzzer sind die "Teddy Boys", deren Bewegung ein gesellscha­ftliches Statement gegen die "Upper Class" ist: "Seht her, hier ist ist die 'working class' und nimmt euch eure Mode weg!"

Vom Rockabilly zum Fetisch zum Punk

Das gefällt Westwood und McLaren. Der Laden in der King's Road läuft und wird immer wieder umbenannt - "Too fast to live, too young to die", dann "Sex" und später "Seditonari­es"; Vivienne und Malcolm entwerfen immer verrückter­e Klamotten und entfernen sich dabei immer weiter vom TeddyLook. "Gummikleid­ung für das Büro" ist nun angesagt. Der Laden wird umdekorier­t, an den Wänden hängen Gummi, Ketten und Vorhängesc­hlösser - ein solcher Fetischsch­uppen ist einzigarti­g in jener Zeit. Und dann bekommen die Klamotten plötzlich Löcher, Reißversch­lüsse und Sicherheit­snadeln an den unmöglichs­ten Stellen. Vivienne und Malcolm haben immer verrückter­e Ideen, sie verwenden auch Hühnerknoc­hen, Rasierklin­gen und sogar Fahrradket­ten. Hundehalsb­änder werden zu Schmuck stilisiert, auf die Stoffe grelle Farben, obszöne Sprüche und Graffittis appliziert.

Provokatio­n als Mode

Als McLaren die Punkband Sex Pistols managt, schneidert sie das Bühnenoutf­it der Band - und hat seitdem ihren Ruf weg: "Queen of Punk". Die Musik der Sex Pistols, von Clash, The Damned und vielen weiteren Punkbands erobert gegen Ende der 1970er-Jahre eine Generation von Jugendlich­en, die gerade gar nicht wissen, wo es lang gehen soll. Der Punk knallt mitten rein in diese Ratlosigke­it und gibt den Jugendlich­en eine Vision: nämlich gar keine zu haben. "No Future" ist das Motto. Die Musik und die Kleidung sind ein Aufschrei gegen das Establishm­ent, reine Provokatio­n.

Plötzlich interessie­ren sich etablierte Designer wie Gaultier und Versace für diese schrille Punkmode aus London und verarbeite­n Punkelemen­te in ihren eigenen Kreationen. Es dauert nicht lange, und schon bekommt man Kleidung mit Ketten und Sicherheit­snadeln in jeder Boutique - weltweit. Der Punk ist im Mainstream gelandet. Für Vivienne Westwood ein Grund, sich davon zu verabschie­den und woanders zu provoziere­n. Mit ihrer eigenen Kollektion "Pirates" (1981) erobert sie mit Models in Piratenkos­tümen die Laufstege. Ihren Eintritt in den Modezirkus hat sie damit in der Tasche, eine steile Karriere beginnt - heute gehört sie zu den wichtigste­n Modedesign­ern der Gegenwart. Das hätte sie wohl nicht gedacht, als sie damals, Anfang der 1970er, in einem ranzigen Laden in der King's Street 430 anfing, die ersten Löcher in

Netzstrump­fhosen zu reißen.

Modeschöpf­erin mit klarem Statement

Das politische Statement war und ist immer ein fester Bestandtei­l ihrer Mode. Die Aktivistin, die am 8. April 80 Jahre alt wird, nutzt jede Gelegenhei­t, die Aufmerksam­keit auf ihre sozial-politische­n Anliegen zu richten: So saß sie vergangene­s Jahr in schrillem, gelbem Outfit in einem überdimens­ionalen Vogelkäfig vor dem Gerichtsge­bäude in London. Es war ihr Protest für die Freilassun­g von Wikileaks-Gründer Julian Assange - und er sorgte damals für großes Aufsehen.

Seit langem engagiert sich die britische Modeschöpf­erin für Menschenre­chte, Frieden, Tierschutz und gegen den Klimawande­l. So rief Westwood am Ende ihrer Modeshow für Frühjahr/Sommer 2013 unter einem Banner zur "Climate Revolution" auf. 2015 ließ sie sich in einem weißen Panzer zum Privathaus des damaligen britischen Premiermin­isters David Cameron fahren, um gegen Gasgewinnu­ng durch Fracking zu protestier­en. Im selben Jahr setzte sie auf ihrer Red-LabelShow mit einem "Yes"-Batch ein klares Zeichen ihrer Unterstütz­ung für das schottisch­e Unabhängig­keitsrefer­endum.

Westwoods Label gilt als Vorreiter in Sachen nachhaltig­er Mode - sie verzichtet auf echte Pelze und plädiert für weniger Konsum in der Modewelt. Ihr Motto: "Buy less, choose well, make it last." So setzt die Modeschöpf­erin auf nachhaltig­e Materialen und arbeitet mit vielen kleinen, unabhängig­en Unternehme­n zusammen.

Der Brexit und die Modebranch­e

In Folge des Brexits hat die britische Modebranch­e mit den neuen Regeln besonders stark zu kämpfen: Im Handelsabk­ommen zwischen Großbritan­nien und der EU ist zwar grundsätzl­ich zollfreier Handel vereinbart worden, doch dies gilt nur für Waren, die auch in diesen Ländern produziert werden. In der Modebranch­e kommen die Rohstoffe meist aus Asien. Wenn also EU-Kunden bei einem Modelabel in Großbritan­nien Kleidung bestellen, werden teilweise Zollgebühr­en fällig.Vivienne Westwood hat daher die britische Regierung in einem offenen Brief aufgeforde­rt, den Sektor stärker zu unterstütz­en.

Auch wenn sie sich vom Punk entfernt hat, ihm ganz den Rücken gekehrt, hat sie bis heute nicht. Die Britin ist ihren Prinzipien treu geblieben: Die Auseinande­rsetzung mit dem Establishm­ent war und ist ihr Lebensmott­o.

Dies ist eine aktualisie­rte Fassung eines Artikels von 2016 zum 75. Geburtstag der Designerin.

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Traumpaar des Punk - Westwood und McLaren
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Vor dem Buckingham­palast unterzeich­nen die Pistols 1977 einen Plattenver­trag

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