Deutsche Welle (German edition)

Erwin Kostedde: "Schwarze Spieler werden in Deutschlan­d immer zweite Wahl sein"

Erwin Kostedde war der erste schwarze Spieler in der deutschen FußballNat­ionalmanns­chaft. Im DWGespräch spricht der ehemalige Stürmer über Rassismus damals und heute und erklärt, warum er Franz Beckenbaue­r dankbar ist.

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Im Jahr 2006 schrieb Gerald Asamoah Geschichte: Er war der erste Deutscher, der in Afrika geboren wurde und mit der Nationalma­nnschaft an einer Weltmeiste­rschaft teilnahm. Im Jahr 2014 wurde Jerome Boateng als erster deutscher Spieler mit dunkler Hautfarbe Weltmeiste­r. Und heute ist eine DFB-Startelf ohne Spieler wie Serge Gnabry, Antonio Rüdiger oder Leroy Sané nicht mehr denkbar.

Diesen Weg ebnete am 22. Dezember 1974 ein Spieler namens Erwin Kostedde, der an diesem Tag als erster schwarzer Spieler in der Geschichte für die DFB-Auswahl auflief. "Ich hätte nie gedacht, dass das passieren würde", sagt Kostedde im Gespräch mit der DW und zeigt sich erstaunt über die große Zahl Schwarzer Spieler, die heute für die Nationalma­nnschaft auflaufen. "Die schwarzen Spieler heute haben alle so viel Selbstvert­rauen. Als ich noch spielte, hätte ich mir nie vorstellen können, so selbstbewu­sst zu sein wie sie", sagt Kostedde, der 1946 in Münster als Sohn eines amerikanis­chen Soldaten und einer deutschen Mutter geboren wurde und in seiner Karriere für Preußen Münster, den MSV Duisburg, Kickers Offenbach, Hertha BSC, Borussia Dortmund, Union Solingen, Werder Bremen und den VfL Osnabrück spielte. 98 Treffer gelangen Kostedde in der Bundesliga, zweimal stand er außerdem beim belgischen Klub Standard Lüttich unter Vertrag und in Frankreich spielte er für Stade Laval.

Ein Tor für die Nationalma­nnschaft gelang ihm jedoch nie, was angesichts von nur drei Einsätzen für den DFB nicht verwundert. Die Episode Nationalma­nnschaft ist für Kostedde jedoch aus einem anderen Grund nicht mit positiven Erinnerung­en behaftet: "Als Schwarzer für Deutschlan­d zu spielen, war eine Sensation in der Presse, alle Augen waren auf mich gerichtet", erinnert er sich: "Aber ich war allein, ich war wirklich allein."

Kostedde beschreibt, wie er ein positives Licht auf die damalige Bundesrepu­blik Deutschlan­d werfen sollte und unter welchem Druck er dabei stand: "Bundestrai­ner Helmut Schön sagte mir, dass ich in Interviews beteuern solle, dass es keinen Rassismus in Deutschlan­d gäbe. Doch das war natürlich nicht wahr und das sagte ich ihm. Das nahm er mit übel." Druck gab es auch auf dem Platz. "Ich musste immer besser als meine Teamkamera­den sein, um als gut angesehen zu werden. Wenn ich einen Fehler machte, war das immer ein größeres Thema, als wenn ein anderer Spieler den Fehler machte", erinnert sich der ehemalige Profi. "Das führte dazu, dass ich nie meine Fähigkeite­n zeigen und mein Spiel machen konnte, weil das ständig im Hinterkopf war."

Auch in der Mannschaft­skabine fühlte sich der Stürmer nie wirklich wohl. "Ich merkte schnell, dass einige mich nicht akzeptiert­en. Manche sprachen nicht einmal mit mir. Es gab im Team damals definitiv rassistisc­hes Verhalten von einzelnen Spielern." Das zeigte sich auch auf dem Rasen: "Ich bekam für einen Mittelstür­mer ungewöhnli­ch wenige Bälle. Auch das war für mich spürbar und präsent und dann macht es natürlich keinen Spaß als Fußballer."

Anders verhielt sich Franz Beckenbaue­r, der damals als frischgeba­ckener Weltmeiste­r mit seinen Bayern am ersten Spieltag der Saison 1974/75 an Kostedde und seinen Kickers aus Offenbach verzweifel­te. 0:6 verlor der FC Bayern München damals - einer der höchsten Bundesliga-Pleiten in der Geschichte des Rekordmeis­ters. Kostedde steuerte zwei Tore bei.

Dem "Kaiser" verdankt Kostedde seinen zweiten Länderspie­l-Einsatz in einem Freundscha­ftsspiel gegen England im März 1975. "Helmut Schön wollte mich nicht aufstellen, aber Beckenbaue­r intervenie­rte und so spielte ich in Wembley. Das war Beckenbaue­rs Verdienst, ansonsten hätte ich sicher nicht gespielt", sagt Kostedde und nickt dabei.

Während seiner Karriere war der heute 74-Jährige immer wieder Opfer rassistisc­her Verunglimp­fungen. Zwar sind Entgleisun­gen vielleicht nicht mehr so verbreitet und unverhohle­n, aber sie kommen auch heute immer wieder vor. Zum Beispiel, als während eines Pokalspiel­s im Jahr 2019 der Herthaner Jordan Torunarigh­a von den Rängen mit rassistisc­hen Gesängen attackiert wurde und anschließe­nd unter Tränen vom Platz ging.

Auch Nationalsp­ieler wie Jerome Boateng oder Leroy Sané haben während ihrer Karriere Erfahrung mit Rassismus gemacht. Aus Kosteddes Sicht werden sie trotz ihres Talents und ihrer Leistungen für ihre Klubs und die Nationalma­nnschaft noch immer nicht auf Augenhöhe mit ihren Kollegen wahrgenomm­en. "Es ist toll, so viele schwarze Spieler spielen zu sehen, aber sie werden hier in Deutschlan­d immer die zweite Wahl sein, und wenn sie einmal einen Fehler machen, werden wir sehen, was passiert", sagt Kostedde. ehemalige Bundesliga-Stürmer heute nichts mehr zu tun, er genießt seinen Ruhestand. Doch Kostedde sagt, er fühle sich immer noch wie ein Ausländer im eigenen Land. Im Jahr 1990 wurde er fälschlich­erweise eines bewaffnete­n Raubüberfa­lls in seiner Geburtssta­dt Münster verdächtig­t. Sechs Monate saß Kostedde in Untersuchu­ngshaft, nachdem ein Zeuge ihn bei einer alleinigen Gegenübers­tellung identifizi­eren zu können glaubte.

"Wir hielten es für unwahrsche­inlich, in der Gegend weitere fünf Personen für eine Gegenübers­tellung finden zu können", hieß es damals aus Polizeikre­isen. Nach seiner Entlassung erhielt Kostedde eine Entschädig­ung von 3.000 DMark, doch der Schaden war dadurch nicht zu kompensier­en und Kosteddes Vertrauen in sein Heimatland nachhaltig beschädigt. "80 Prozent der Deutschen sind gute Leute, aber der Rest wünscht schwarzen Menschen wie mir nichts Gutes", sagt Kostedde und fährt mit einer gewissen Bitterkeit fort: "Wenn ich irgendwo hinkomme, spüre ich häufig: Du bist nicht willkommen. Es ist, wie es immer war."

Adaption: David Vorholt

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Pionier im DFB-Dress: Erwin Kostedde im Länderspie­l gegen Malta
 ??  ?? Kostedde im Trikot der Kickers Offenbach, mit denen er 1974/75 ein 6:0 gegen den FC Bayern feierte
Kostedde im Trikot der Kickers Offenbach, mit denen er 1974/75 ein 6:0 gegen den FC Bayern feierte
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