Deutsche Welle (German edition)
Verdienstorden für die Auschwitz-Überlebende Zilli Schmidt (96)
Zum weltweiten Roma Day hat Bundespräsident Steinmeier der Sinteza Zilli Schmidt als Zeitzeugin des Völkermords den Verdienstorden verliehen. Sie sagt, "was mit den Sinti passiert ist" und kämpft gegen Hass.
"Durch Ihre Vermittlung wissen wir heute mehr über das Leiden der Sinti und Roma, aber auch viel mehr über ihr Leben, ihre Musik und ihre Kultur", das schreibt Bundespräsident FrankWalter Steinmeier Zilli Schmidt in einem Brief, in dem er ihr den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verleiht. Die persönliche Ehrung soll wegen der Corona- Pandemie nachgeholt werden. "Wir erleben Sie auch heute noch - mit 96 Jahren! - als unerschütterliche Kämpferin gegen Hass, Ausgrenzung und Rechtsextremismus."
Genau so ist sie zuletzt im September 2020 vor Publikum in Mannheim aufgetreten: Über die Schwelle in den großen Saal lässt sich Zilli Schmidt helfen, dann stützt sich die zierliche 96-Jährige nur noch auf ihren Stock. "Dein Besuch ist ein Geschenk", sagen viele, die sie begrüßen und sich später bei ihr bedanken. "Es geht um deine Geschichte, die unsere Geschichte ist", betont Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbands der Sinti und Roma in
Baden-Württemberg.
Wegen der Corona-Krise fiel die Buchvorstellung in Berlin aus. An ihrem Wohnort Mannheim ist Zilli Schmidt nun - mit Maske - ins Kulturhaus RomnoKher gekommen. Zilli Schmidt, die Auschwitz überlebte und ihre Liebsten dort verlor.
Die lange Lesung aus den bewegenden Erinnerungen Schmidts übernimmt Schauspielerin Carmen Yasemin Zehentmeier. "Ich habe Angst, dass ich weinen muss", sagt sie der DW. Sie habe nicht gewusst, wie grausam die Minderheit der Sinti und Roma im Nationalsozialismus verfolgt wurde.
Sie liest aus Schmidts Buch: "Gott hat mit mir etwas vorgehabt. Erinnerungen einer deutschen Sinteza": von glücklichen Kindertagen, dann von Haft, Hunger, Schüssen auf kleine Kinder, Massenmord.
Schweigen und Schlucken im Publikum. Zilli Schmidt hört konzentriert zu, sie nickt, seufzt, schüttelt traurig den Kopf.
Im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärt sie mit fester Stimme "meine Aufgabe": Sagen, was die Nazis mit den Sinti gemacht haben. "Die sind alle vergast worden, meine ganze Familie, meine ganzen Menschen." Nach dem Krieg habe man nur gehört: "Die Juden sind vergast worden. Und unsere Sinti leben alle noch?" Sie macht eine Pause: "Hat keiner mehr gelebt."
Am 2. August 2018 sprach sie zum ersten Mal öffentlich über ihr Leben - bei der Gedenkfeier für die ermordeten Sinti und Roma Europas am Mahnmal in Berlin: "Ich habe für meine Menschen gesprochen." Viele junge Menschen waren da, das freut sie besonders: "Die Jugend ist ja nicht aufgeklärt worden, die haben das in den Schulen nicht gebracht."
Das Erinnern sei nicht leicht, sagt sie: "Ich muss oft weinen, aber ich zeig es nicht, schluck es runter. Es ist nicht einfach, meine Zeit zu erzählen und wie meine Menschen vergast worden sind. Ich habe ein Kind dabei gehabt. Nein, nein." Die Erinnerungen quälen sie: "Wenn ich träum', bin ich wieder in Auschwitz." Nachts läuft sie durch die Wohnung, dann weint sie, nimmt Antidepressiva, seit vielen Jahren.
Ihre Tochter Gretel, "mein liebes Mädchen", wäre jetzt 80 Jahre alt. Zilli Schmidt, geborene Reichmann, könnte Enkelund Urenkelkinder haben. Aber Gretel, ihr Mädchen, "ist nicht großgeworden". Im Lager sieht die Kleine die Schornsteine der Verbrennungsöfen: "Mama, da hinten werden wieder die Menschen verbrannt." Zilli widerspricht ihrer Tochter: "Nein, da backen sie doch nur Brot."
Gretel stirbt mit vier Jahren und drei Monaten - ermordet am 2. August 1944 in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau, ebenso wie Zillis Eltern und ihre Schwester Guki mit sechs Kindern, als die SS das sogenannte "Zigeunerfamilienlager" auflöst.
Allein in dieser Nacht ermordet die SS etwa 4300 schreiende und weinende Menschen, ein Schreckenstag des Völkermords an den Sinti und Roma, dem Porajmos.
Wie andere junge arbeitsfähige KZ-Häftlinge wird Zilli Schmidt, damals 20, vor der Mordnacht abtransportiert. Ihr Vater will Gretel retten, behält sie bei sich. Als sie vom Zug zu ihrer Familie laufen will, zwingt SS-Arzt Josef Mengele die junge Mutter mit einer Ohrfeige zurück in den Waggon: "Er hat mein Leben gerettet, aber er hat mir damit keinen Gefallen getan." Im KZ Ravensbrück erfährt sie, was mit ihrer Familie geschehen ist. Sie fällt um und schreit.
Als Cäcilie Reichmann ist sie 1924 in Thüringen geboren in eine Schausteller-Familie, die mit einem Wanderkino und Musik die Menschen unterhält. "Wir waren eine glückliche Familie",