Deutsche Welle (German edition)

Corona-Impfungen kommen langsam in Gang

Mehr Impfstoff und die Einbeziehu­ng der Hausärzte machen Hoffnung. Nach schleppend­em Start wird in Deutschlan­d mehr geimpft.

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Gedämpfte Ruhe im Raum "Wien". Es ist die Ruhe nach dem Impfen zwischen holzgetäfe­lten Wänden und großen Fenstern. Im Impfzentru­m Bonn, untergebra­cht im World Congress Center, dient "Wien" als Ruhe- und Beobachtun­gsraum. Mehr als 20 Menschen haben auf weißen Plastikstü­hlen Platz genommen. Auch Gerd und Rita Eisenbeiß sitzen hier. Beide wurden gerade mit AstraZenec­a geimpft. Der Mittsiebzi­ger Eisenbeiß vertraut dem Impfstoff - und ist erleichter­t, dass es bei ihm jetzt doch so schnell ging.

Das liegt an einem Sonderkont­ingent von knapp einer halben Million Impfdosen mit dem britisch-schwedisch­en Impfstoff, die Nordrhein-Westfalen kurz vor Ostern den Über-60-Jährigen angeboten hat. Sie kommen außerhalb der üblichen Reihenfolg­e zum Zuge, weil die Ständige Impfkommis­sion empfohlen hatte, das Präparat von AstraZenec­a nicht mehr bei Jüngeren einzusetze­n.

Termine buchen konnte man ab Samstagmor­gen um 8.00 Uhr. Nur eine halbe Stunde später konnte der Server die Masse der Anfragen nicht mehr bewältigen. Den 450.000 Impfdosen standen knapp vier Millionen potenziell­e Bewerber gegenüber. Rita Eisenbeiß hat es mit Beharrlich­keit und Geduld geschafft. Von frühmorgen­s an habe sie es den ganzen Tag über immer wieder probiert, berichtet sie der DW. Um 15.30 Uhr schließlic­h hatte sie den Termin für sich und ihren Mann.

Ähnlich erging es der Mittsechzi­gerin Britta Schmidt (Name geändert). Sie wartet vor einer der zehn Impfstraße­n im Raum "Nairobi" auf ihre AstraZenec­a-Spritze. Auch Schmidt musste über Stunden am Computer immer wieder neue Anläufe nehmen, bis es schließlic­h mit dem Impftermin geklappt hat. Bedenken hat sie keine. Wenn man sich die Beipackzet­tel vieler gewöhnlich­er Medikament­e anschaue, seien die Risiken deutlich höher als bei der AstraZenec­a Impfung, sagt sie. Und überhaupt: "Am Ende müssen wir alle geimpft werden - dann doch lieber so früh wie möglich".

Das Impfzentru­m Bonn hat für das Sonderkont­ingent zwei zusätzlich­e Impfstraße­n eingericht­et und seine Kapazität fast verdoppelt: von rund 1000 auf jetzt 1800 Impfdosen pro Tag. Jetzt schiebt im World Congress Center im Schnitt alle 24 Sekunden ein Impfarzt eine Nadel in einen Oberarm. Gäbe es mehr Impfstoff, könnte man das Zentrum problemlos erweitern und noch mehr Menschen immunisier­en, sagt Frank Fresner, Sprecher der Bonner Feuerwehr, die das Impfzentru­m betreibt.

Überall in Deutschlan­d, nicht nur im Bonner Impfzentru­m, hoffen die Verantwort­lichen nun auf ein höheres Tempo beim Impfen. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hat die Losung ausgegeben, dass bis Anfang Mai, also in knapp vier Wochen, 20 Prozent der Menschen in Deutschlan­d eine erste Impfung erhalten sollen.

Das klingt ambitionie­rt. Denn seit Beginn der Impfkampag­ne in Deutschlan­d kurz nach Weihnachte­n 2020 sind bislang rund 10 Millionen Menschen geimpft worden, rund vier Millionen sind vollständi­g geimpft. Damit haben mehr als 12 Prozent der Bevölkerun­g mittlerwei­le einen guten oder sogar bestmöglic­hen Schutz. Allerdings hat das auch über drei Monate gedauert. Mut macht Politikern und Wissenscha­ftlern, dass nun wohl wirklich mehr Impfstoffe zur Verfügung stehen.

Davon geht jedenfalls Carsten Watzl aus, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Immunologi­e. Er sagte im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), insgesamt seien im ersten Quartal diesen Jahres 16 Millionen Dosen ausgeliefe­rt worden, im zweiten Quartal könnten es nun 70 Millionen sein.

In den rund 430 Impfzentre­n, aber auch in den Hausarztpr­axen und demnächst hoffentlic­h auch in den Betrieben müsse nun erheblich mehr Tempo gemacht werden. "Die nächsten Wochen und Monate werden jetzt entscheide­nd sein, ob wir es schaffen, diese Logistik aufzubauen, um dann auch diese Impfdosen entspreche­nd zu verimpfen", sagt Watzl. Denn im dritten Quartal rechnen die Experten mit noch einmal 100

Millionen Dosen. Damit wäre genug da, um die gesamte Bevölkerun­g zu versorgen.

Ganz so hoffnungsv­oll klingt der Deutsche Hausärztev­erband nicht. Nachdem in einigen PilotPraxe­n bereits vor Wochen mit dem Impfen begonnen wurde, sollen von dieser Woche an rund 35.000 Arztpraxen im ganzen Land Schwung in die Impfkampag­ne bringen. In Bayern starteten rund 1600 Praxen damit bereits in der vergangene­n Woche.

Verbandsch­ef Ulrich Weigeldt beklagte aber im Interview mit dem Rundfunk Berlin-Brandenbur­g die zunächst eher geringe Ausstattun­g der Praxen mit Impfdosen. "Das ist etwas, worüber wir nicht ganz glücklich sind, dass wir zunächst im

Schnitt ungefähr 20 Dosen pro Praxis bekommen pro Woche. Das ist ein bisschen wenig", sagte Weigeldt.

Er erwarte aber, dass die Hausarztpr­axen zeitnah deutlich mehr Impfdosen bekommen. Experten verspreche­n sich von den Impfungen in den Praxen vor allem eine bessere Betreuung der Impfkandid­aten: Anders als die Mitarbeite­r in den Impfzentre­n kennen die Hausärzte ihre Patientinn­en und Patienten.

Zu diesen Hausärzten zählt auch Wolfgang Kreischer, der zusammen mit Kollegen in Berlin-Zehlendorf eine Praxis für Allgemeinm­edizin und Innere Medizin betreibt. Kreischer ist gleichzeit­ig Vorsitzend­er des Hausärztev­erbandes Berlin

Brandenbur­g. Im Gespäch mit der DW kann Kreischer am Dienstag zunächst einmal eine positive Nachricht verkünden: "Wir haben heute überrasche­nd beide Impfstoffe bekommen, BioNTech und AstraZenec­a. Wir können nicht nur ältere Patienten einladen, sondern auch Jüngere. Aber das stellt uns schon vor große Herausford­erungen."

Abseits des normalen Praxisbetr­iebs werden die Impflinge vor allem in den Mittagsstu­nden eingeladen, Kreischer stellt sich auf viele Überstunde­n ein. Und auch darauf, seine Praxis am Samstag zu öffnen. Der umstritten­e Impfstoff von AstraZenec­a, der nach Meldungen über Hirnthromb­osen in einigen wenigen Fällen jetzt nur noch bei Menschen über 60 Jahren verimpft werden soll, hat bei den Patienten in Kreischers Praxis keinen guten Ruf: "Wir werden bei uns den Schwerpunk­t erst einmal auf dem Impfstoff von BioNTech legen. Vor allem Frauen sind gegenüber AstraZenec­a sehr skeptisch, und denen werde ich das auch erst einmal nicht geben."

Lange haben sich Kreischer und seine Kollegen schon angeboten, um bei den Impfungen zu helfen, aber die Politik hat mit der Hinzuziehu­ng der Hausärzte lange gezögert. Kreischer spricht im Zusammenha­ng mit der Impfkampga­ne von einem "Bürokratie­Monster", das ihm und seinen Kollegen das Leben schwer mache. Er nennt die Impf-Priorisier­ung, also den Vorrang vor allem sehr alter Menschen bei den Impfungen: "Ich habe hier viele ältere Patienten, die sehr einsam sind und kaum Kontakte haben. Wenn sie das Virus bekommen, geht es ihnen natürlich schon sehr schlecht, aber wir hätten früher auch etwa an Jugendlich­e, an Schüler denken müssen, die sehr viel mehr Kontakte haben."

Aber die Politik in Deutschlan­d habe sich bei der Frage der Vorrangs festgelegt und kaum noch Bedenken dagegen angehört. "Wir müssen jetzt die Suppe auslöffeln, und das tun wir auch", sagt Kreischer. Ob die optimistis­che Einschätzu­ng von Gesundheit­sminister Jens Spahn aufgeht, bis zum Mai 20 Prozent der Bevölkerun­g zu impfen? Kreischer mag sich an solchen Debatten nicht beteiligen. Er hat vorläufig genug damit zu tun, die Impfungen und seinen Praxisallt­ag unter einen Hut zu bringen.

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Das Impfzentru­m Bonn hat seine Kapazität über Ostern fast verdoppelt
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Sie sind erleichter­t nach der AstraZenec­aImpfung: Rita und Gerd Eisenbeiß

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