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Saatgut-Monopole: die Macht der Agrarkonzerne
Nur vier Konzerne dominieren den weltweiten Saatgutmarkt. Das bedroht die genetische Vielfalt und damit unsere Ernährungssicherheit. Zudem kriminalisieren Gesetze bäuerliche Saatgut-Züchtung. Aktivisten kämpfen dagegen.
Über Jahrtausende hinweg wurde Saatgut von Landwirten angebaut und wieder ausgesät, frei ausgetauscht und geteilt. Eine besondere Eigenschaft des Saatguts, nämlich die Fähigkeit, sich selbst zu reproduzieren, beschränkte bis vor kurzem seine Kommerzialisierung.
Doch das änderte sich in den 1990er Jahren, als Gesetze zum Schutz neuer, gentechnisch veränderter Nutzpflanzen eingeführt wurden. Heute kontrollieren gerade einmal vier Konzerne - Bayer, Corteva, ChemChina und Limagrain - mehr als 50 Prozent des weltweiten Saatguts. So sind gigantische Monopole entstanden, die die globale Nahrungsmittelversorgung dominieren. schwerwiegenden Folgen für die Ernährungssicherheit, insbesondere im Hinblick auf die Erderwärmung.
Große Hersteller von gentechnisch verändertem und biotechnologisch entwickeltem Saatgut wie Bayer und Corteva schränken die Verwendung der von ihnen verkauften Sorten streng ein. In der Regel müssen die Landwirte Verträge unterschreiben, die es ihnen verbieten, Saatgut aus den Ernten aufzubewahren, um es zu tauschen oder in der nächsten Saison wieder auszusäen.
Die meisten Länder erlauben zwar Patente nur auf gentechnisch verändertes Saatgut. Aber auch andere Pflanzensorten können durch den sogenannten Sortenschutz, einer Gesetzgebung über geistiges Eigentum, streng kontrolliert werden.
Die Welthandelsorganisation verlangt von ihren Mitgliedsstaaten, und damit von so gut wie allen Nationen der Welt, dass sie über irgendeine Form von Gesetzgebung zum Schutz von Pflanzensorten verfügen. Diese Anforderung erfüllen viele Staaten, indem sie dem Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen ( französisch: Union internationale pour la protection des obtentions végétales - kurz UPOV) beitreten, der die Produktion, den Verkauf und den Austausch von Saatgut beschränkt.
Das Argument des UPOV:
Die auferlegten Beschränkungen sollen Innovation fördern. Züchter erhielten so ein zeitlich begrenztes Monopol für das Saatgut und könnten von den neuen Pflanzensorten, die sie in dieser Zeit entwickeln, ohne Wettbewerb profitieren.
"Das bedeutet, sie können kontrollieren, wie diese Sorten vermarktet werden und eine Rendite für ihre Investitionen erzielen - denn eine neue Sorte zu entwickeln dauert bis zu zehn oder 15 Jahre", so Peter Button, stellvertretender Generalsekretär der UPOV.
Um die UPOV-Kriterien zu erfüllen, muss kommerzielles Saatgut genetisch einheitlich und stabil sein. Die Sorten, die von Landwirten entwickelt und über Generationen weitergegeben wurden, sind aber genetisch vielfältig und entwickeln sich ständig weiter. Da sie damit die UPOV-Kriterien nicht erfüllen können, haben Landwirte in den Vertragsstaaten der UPOV kein geistiges Eigentumsrecht an selbstgezüchteten Pflanzensorten - mehr noch: In vielen Ländern können sie ihre Sorten gar nicht erst als Saatgut zertifizieren lassen.
Zusätzlich zum Sortenschutz verbieten Saatgutvermarktungsgesetze in vielen Ländern den Verkauf oder sogar die Weitergabe von nicht- zertifiziertem Saatgut. Damit sollen Standards gewahrt bleiben und ein hoher kommerzieller Ertrag unter industriellen Anbaubedingungen werden.
Saatgut von Agrarkonzernen zu kaufen ist somit oft die einzige legale Möglichkeit. Und das bedeutet, dass weltweit immer mehr Lebensmittel auf immer weniger genetischer Vielfalt basieren. gewährleistet
Karine Peschard ist Forscherin für Biotechnologie, Ernährung und Saatgutsouveränität am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf. Sie hält diesen Rückgang der Vielfalt vor allem angesichts der Erderwärmung für hoch problematisch.
Durch veränderte Klimabedingungen können laut Peschard die bisherigen Agrarsysteme aus dem Gleichgewicht geraten. Jede Pflanze braucht bestimmte Bedingungen, um zu wachsen, wie spezielle Temperaturen und Wassermengen. Ändern sich die Bedingungen an einem Standort zu stark, kann die Pflanze dort nicht mehr gedeihen.
Würden dagegen viele verschiedene Nutzpflanzen angebaut, die jeweils über eine große genetische Vielfalt und damit über Änderungspotenzial verfügten, könnten sich die Pflanzen selbst anpassen, erklärt Peschard - und wenn eine Pflanze ausfalle, bedeute dies für die Landwirte dann nicht mehr unbedingt den Verlust der gesamten Ernte. "Je homogener unser Genpool ist, desto anfälliger sind wir für alle Arten von Umwelt-Stress und wir wissen, dass es mit dem Klimawandel immer mehr Umwelt-Stress geben wird", so die Wissenschaftlerin.
Es gibt keine rechtliche Verpflichtung der UPOV beizutreten. Aber Länder wie die USA, Kanada, die Schweiz, Japan sowie die Mitgliedstaaten der Europäischen Union setzen Länder des globalen Südens wie Simbabwe oder Indien mit bilateralen und regionalen Handelsabkommen unter Druck, um einen UPOV-Beitritt zu bewirken.
Kritiker monieren, dass die Einführung einheitlicher Regeln auf globaler Ebene letztlich bedeutet, die in Europa und den USA dominierende industrielle Landwirtschaft auch solchen Regionen der Welt aufzuzwingen, wo Lebensmittel noch großenteils von kleineren, nachhaltigeren Betrieben produziert werden.
"Wir sehen das als einen Neokolonialismus, der unsere Lebensgrundlagen und unsere Umwelt zerstört", sagt Mariam Mayet, Direktorin des African Center for Biodiversity in Südafrika.
Eine Umstellung auf standardisiertes Saatgut verändert ganze Agrarsysteme. Denn die vier großen Agrarkonzerne Bayer, Corteva, ChemChina und Limagrain produzieren auch eigene Düngemittel und Pestizide, an die ihr Saatgut bestens angepasst ist. Ohne diese Mittel gelingt es Bauern kaum, nach der Aussaat des Konzernsaatguts genügend Erträge zu erzielen.
Eine Umstellung auf das Saatgut der Agrarkonzerne diktiert also in der Folge, wie Felder angelegt werden, welche anderen Pflanzen noch überleben können sowie den Nährstoffhaushalt des Bodens und damit wiederum den Bedarf an passenden Düngemitteln.
Mayet fordert Ausnahmen von der Saatgutgesetzgebung, um den Bauern die Autonomie zu geben, ihre traditionelle Landwirtschaft zu bewahren, die "das Fundament ist, um die ökologische Integrität, die Nachhaltigkeit der Natur, die biologische Vielfalt, die Land