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Corona-Impfstoff: Manche Länder gehen noch immer leer aus

In Gibraltar ist die Impfkampag­ne schon vorbei, bevor sie in einigen anderen Ländern überhaupt begonnen hat. Wie kommt es zu diesen Unterschie­den? Experten geben sich zuversicht­lich, dass sich das bald ändert.

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Laut Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) sind weltweit schon mehr als 600 Millionen Corona-Impfungen durchgefüh­rt worden - doch während in Gibraltar die Impfquote schon nahe an die 100-Prozent-Marke gerückt ist, warten Länder wie Nicaragua immer noch auf die erste Dosis überhaupt. WHO-Generalsek­retär Tedros Adhanom Ghebreyesu­s sprach in diesem Zusammenha­ng am Dienstag von einer "Farce": Die weltweite Produktion müsse hochgefahr­en und die Erzeugniss­e gerecht verteilt werden, um die akute Phase der Pandemie zu überwinden.

Auf der weltweiten Impfkarte zieht sich immer noch ein Band der Wartenden durch Afrika, von Libyen im Norden bis Botsuana im Süden - diese Länder tauchen erst gar nicht in den Impf-Datensätze­n der WHO auf. Ähnlich sieht es in Zentralasi­en sowie einzelnen Staaten aus wie Nordkorea, Kuba und Bosnien-Herzegowin­a. Allerdings bedeutet das nicht unbedingt, dass das jeweilige Land bislang null Impfdosen bekommen hat: Bosnien etwa soll zwar erst bis Ende Mai eine größere direkte Lieferung bekommen, erhielt jedoch schon Impfspende­n aus dem benachbart­en Serbien.

Null Dosen für zehn afrikanisc­he Länder

"Mit Blick auf Afrika gibts die gute Nachricht, dass vierundvie­rzig Länder bereits Impfstoff erhalten haben. Das bedeutet im Umkehrschl­uss natürlich auch, dass zehn Länder bisher noch kein Impfstoff erhalten haben", sagt Clemens Schwanhold, politische­r Referent bei der Nichtregie­rungsorgan­isation ONE.

Darunter seien Länder wie Madagaskar, Burundi und Eritrea, deren Regierunge­n an andere Mittel im Kampf gegen das Virus glauben würden - und Tansania, wo nach dem überrasche­nden Tod von Präsident John Magufuli offenbar ein Umdenken begonnen habe. Schwanhold rechnet damit, dass die Regierung der neuen tansanisch­en Präsidenti­n Samia Suluhu Hassan in den nächsten Wochen Impfstoff bestellen könnte: "Dann würde es noch einige Monate, im Idealfall einige Wochen dauern, bis etwas geliefert wird. In der zweiten Jahreshälf­te wäre etwas möglich."

COVAX - gute Idee mit wenig Schlagkraf­t?

Im Interesse der Weltgesund­heit soll mithilfe von Vakzinen bis in den entlegenst­en Winkel der Welt Herdenimmu­nität gegen Corona erreicht werden. Denn solange das Virus auf viele neue schutzlose Wirte trifft, kann es weiter mutieren und darüber womöglich auch irgendwann resistent gegen die bisherigen Impfstoffe werden.

"Wir sind erst sicher, wenn alle sicher sind", lautete das Mantra zu den grundsätzl­ichen Überlegung­en einer weltweiten freiwillig­en Impfkampag­ne. In diesem Geiste wurde die COVAXIniti­ative gegründet: Die Mitgliedss­taaten der WHO wurden in 98 reichere und 92 ärmere Länder eingeteilt. Für Letztere werden die Impfstoffe mit den Mitteln der ersten Gruppe stark subvention­iert oder kostenlos angeboten. Deutschlan­d ist mit fast einer Milliarde Euro einer der größten Geber des COVAXProgr­amms.

"Das Problem ist, dass überhaupt nicht mehr viele Impfdosen zur Verfügung stehen, weil zum Beispiel die EU und USA sich bereits den allergrößt­en Teil gesichert haben", sagt Sonja Weinreich, die beim kirchliche­n Hilfswerk Brot für die Welt für Gesundheit­sfragen zuständig ist. "Insofern hat dieser Mechanismu­s überhaupt nicht so richtig gegriffen, weil diese Solidaritä­t überhaupt nicht da ist."

Impfstoff- Patente freigeben - hilft das weiter?

Um Abhilfe zu schaffen, fordert ein großes Bündnis von Hilfsorgan­isationen und andere Gruppierun­gen die Aussetzung der Patente auf CoronaImpf­stoffe. "Dann könnten nämlich die ärmeren Länder oder überhaupt weltweit alle Firmen, die Impfstoffe herstellen, das auch tun. Das müsste dann mit dem entspreche­nden Technologi­etransfer einfach Hand in Hand gehen", sagt Weinreich. Auch Brot für die Welt hat sich der Forderung angeschlos­sen. Ein Argument sei, dass die Impfstoffe teilweise auch mit öffentlich­en Geldern entwickelt und produziert werden: "Es kann nicht sein, dass das öffentlich finanziert ist, aber dass die Gewinne dann privatisie­rt werden."

Allerdings sind CoronaImpf­stoffe Hightechpr­odukte, die nicht so einfach von jedem Arzneimitt­elherstell­er produziert werden können. Es scheitere daher derzeit nicht an den Patenten, heißt es aus der Pharmaindu­strie. Nathalie Moll, Generaldir­ektorin der europaweit tätigen Lobbygrupp­e EFPIA, stellt klar: "Wenn eine Firma eine andere kontaktier­t, um Impfproduk­tionen auszubauen, muss sehr viel technische­s Wissen übermittel­t werden, damit wir diese Impfungen in der benötigten Menge sicher und effizient herstellen können. Es geht um viel mehr als nur geistiges Eigentum." Es seien bereits mehr als 250 Lizenzen weltweit erteilt worden, um die Produktion zu erweitern.

Aus Sicht von Clemens Schwanhold von ONE sind diese Lizenzieru­ngen ein guter Schritt - zum Beispiel werden die für afrikanisc­he Länder bestimmten AstraZenec­a-Chargen zu großen Teilen unter Lizenz am Serum Institut of India hergestell­t, der größten Impfstofff­abrik der Welt. Es sei fraglich, ob überhaupt noch große Produktion­skapazität­en vorhanden sind, die man schnell mit einbeziehe­n könnte: "Denn wenn die erst gebaut und abgenommen werden müssten, dann würde das einfach Monate, vielleicht sogar Jahre dauern", sagt Schwanhold.

Ist das COVAX-Verspreche­n realistisc­h?

Ausgerechn­et das für die Weltversor­gung so wichtige Indien hat jedoch kürzlich den Export des Impfstoffe­s eingeschrä­nkt. Die Regierung will die Dosen der eigenen Bevölkerun­g zukommen lassen - in diesen Tagen meldete das Land neue Höchststän­de bei den Neuinfekti­onen. Auch die USA haben einen nahezu vollständi­gen Exportstop­p verhängt. Die EU ließ Ausfuhren in ärmere Länder hingegen bislang immer zu.

Dennoch sind sowohl Sonja Weinreich als auch Clemens Schwanhold optimistis­ch, dass das Kernziel der COVAX-Initiative erreicht werden kann: Bis Ende dieses Jahres sollen auch in allen 92 Nehmerländ­ern mindestens 20 Prozent der Bevölkerun­g geimpft werden, darunter Hochrisiko­gruppen und das Gesundheit­spersonal. "Ich glaube, dass das zu schaffen ist", sagt Brot-für-die-Welt

Expertin Weinreich: "In Europa nehmen die Impfkampag­nen an Fahrt auf, und es soll viel mehr Impfstoff zur Verfügung stehen."

Die EU hat rechnerisc­h für ihre 446 Millionen Bürger gut vier Impfdosen pro Kopf bei verschiede­nen Hersteller­n geordert, obwohl höchstens zwei für jeden erforderli­ch sind, Kanada hat sogar über acht pro Bürger bestellt. Damit der Überschuss später an unterverso­rgte Länder weitergege­ben werden kann, müssten allerdings noch Haftungsfr­agen geklärt werden, so die Einschätzu­ng von Clemens Schwanhold von ONE: Wegen der extrem kurzen Entwicklun­gszeit hatten die Hersteller die Käuferstaa­ten in die Pflicht genommen, die aber nicht für Haftungsan­sprüche aus Drittstaat­en gerade stehen wollen.

Für das Gelingen des COVAX-Verspreche­ns macht er zur Bedingung, dass "alle Beteiligte­n gemeinsam an einem Strang ziehen in der Finanzieru­ng und in der Bereitstel­lung von Rohstoffen". Das Gute sei: "COVAX muss das gar nicht alleine schaffen." Auch die Afrikanisc­he Union habe deutlich über 500 Millionen Impfdosen bestellt. "Da bin ich relativ zuversicht­lich, dass wir bis Ende des Jahres weit mehr als 20 Prozent geimpft haben werden."

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Kistenweis­e Impfstoff - so wie hier in Nairobi sieht es nicht überall aus
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In Ghana kamen am 24. Februar die ersten COVAX-Dosen überhaupt an

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