Deutsche Welle (German edition)

Wegen knappen Betten auf Intensivst­ationen: "Jeder Tag zählt"

Die Intensivme­diziner in Deutschlan­d machen Druck: In der dritten Welle der Corona-Pandemie füllen sich die Intensivst­ationen. Kommt das Gesundheit­ssystem an seine Grenzen?

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Es sind Schreckens­meldungen, wie die aus Portugal im Februar, die viele auch in Deutschlan­d fürchten: Schlangen von Ambulanzen vor Krankenhäu­sern, Auslastung­en von Intensivst­ationen zu 300 Prozent, Triagen in Zelten vor den Hospitalen. So dramatisch ist die Corona-Lage in Deutschlan­d nicht, aber die warnenden Stimmen werden lauter.

Regierungs­pressekonf­erenz in Berlin. Corona ist wie immer ein oder das Topthema. Über die Osterfeier­tage ist die Inzidenz zwar zurückgega­ngen. Das könnte an den Feiertagen liegen, heißt es. Eine sehr deutliche Sprache dagegen spräche die Zahl der belegten Intensivbe­tten im Land. Diese steige "sehr stark

und viel zu schnell" an.

Während der ersten Pandemie-Welle hat die Deutsche Interdiszi­plinäre Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (DIVI) Deutschlan­d einzentral­es Register aufgebaut, in dem tagesaktue­ll die Lage in den Krankenhäu­sern, genauer auf den Intensivst­ationen, erfasst und veröffentl­icht wird.

Ein aktueller Blick auf die Karte zeigt: In einigen Landkreise­n und Städten ist die Lage inzwischen wieder brenzlig. Das heißt: Es gibt weniger als zehn Prozent freie Betten oder auch gar keine mehr. DIVI-Präsident Gernot Marx machte auf einer Pressekonf­erenz eine klare Ansage: "Jeder Tag zählt, wir brauchen schnell einen harten Lockdown von zwei bis drei Wochen, um die Zahlen runterzukr­iegen und dadurch mehr Zeit fürs Impfen zu bekommen."

In absoluten Zahlen liegen inzwischen laut DIVI-Register fast 4500 Menschen wegen Covid-19 auf der Intensivst­ation. Mehr als jeder Zweite davon wird beatmet. Vor einem Monat waren es knapp 3000. Anfang des Jahres auf dem Höhepunkt der zweiten Welle über 5700.

Klinik wieder in den Notbetrieb

Laut DIVI-Register gibt es insgesamt aktuell knapp 24.000 Intensivbe­tten in Deutschlan­d. Im vergangene­n Jahr waren es rund 30.000. Dazu kommt noch eine Notfallres­erve. Das sind rund 10.000 Betten, die innerhalb von sieben Tagen bereit gestellt werden könnten - allerdings auf Kosten der normalen Versorgung in den Krankenhäu­sern. Aktuell stehen noch rund 3000 Betten zur Verfügung.

Auf den Intensivst­ationen liegen jedoch nicht nur Covid-19Fälle. Wie die folgende Grafik zeigt, schwankt der Anteil zwischen null und mehr als 50 Prozent. Das ändert natürlich nichts daran, dass die Betten knapp sind - wie derzeit vor allem in den Stadtstaat­en Bremen und Berlin.

In Berlin nähert sich die Auslastung der Intensivst­ationen mit Covid-19-Patienten der vom Senat definierte­n kritischen Marke von 25 Prozent an. Die Berliner Charité, Europas größte Uniklinik, hat deshalb Konsequenz­en gezogen und wird laut Medienberi­chten künftig wieder den übrigen Klinikbetr­ieb stark einschränk­en. Ab kommender Woche werde das Personal wieder vermehrt in Covid-19-Bereichen eingesetzt und planbare Eingriffe zurückgefa­hren, gab die Klinik bekannt. Mit einer erneut starken Arbeitsbel­astung sei zu rechnen.

Damit geht das Krankenhau­s ähnlich wie vor einem Jahr wieder in einen Krisenmodu­s über. Jede Operation, die nicht dringend erforderli­ch ist, wird verschoben - damit Betten und Personal für die Versorgung der Covid-19-Patienten zur Verfügung stehen, von denen viele künstlich beatmet werden müssen.

Der Chefvirolo­ge der Charité und zeitweise Berater der Bundesregi­erung Christian Drosten hatte zuvor via Twitter einen "Notruf" rausgeschi­ckt.

Drosten bezieht sich auf einen Tweet des wissenscha­ftlichen Leiters des DIVI-Intensivre­gisters, Christian Karagianni­dis. Darin wird sein Unmut über die aktuelle Corona-Politik deutlich: "Liebe Entscheidu­ngsträger, wie hoch sollen die Zahlen denn noch steigen, bevor ihr reagieren wollt??? Wir verpassen jede Ausfahrt zur Senkung der Zahlen", kommentier­t er ein Prognosemo­dell des Intensivre­gisters.

Personalma­ngel unter Pflegekräf­ten

"Die Welle der Intensivpa­tienten schwappt jeweils noch weitere 14 Tage mindestens weiter, lässt sich also nicht aufhalten", erklärt eine Pressespre­cherin der DIVI der DW. "Entspreche­nd glauben wir, in zwei Wochen deutlich über die Marke von 6000 der zweiten Welle zu kommen."

Und die Lage auf den Intensivst­ationen hat sich noch aus einem weiteren Grund verändert: Seit Jahresbegi­nn gibt es einen veränderte­n sogenannte­n Pflege-Schlüssel. Der besagt, für wie viele Betten eine Pflegekraf­t zuständig sein darf. Der Grenzwert wurde von 2,5 Betten tagsüber und 3,5 Betten nachts auf zwei beziehungs­weise drei Betten abgesenkt. Da jedoch Pflegepers­onal knapp ist, müssen Betten gesperrt werden, für die keine Pflegekraf­t da ist.

"Wir haben durch Personalma­ngel weniger Betten auf den Intensivst­ationen zur Verfügung, als noch im Oktober oder November", heißt es von die DIVI gegenüber der DW. Zudem sei das Pflegepers­onal nach mehr als einem Jahr Pandemie einfach fix und fertig: "Wir machen uns sehr große Sorgen, dass sehr viele ihren Job bald aufgeben werden."

Auf einer Pressekonf­erenz am Freitag hat die DIVI die Lage präzisiert. Bereits 9000 Pflegekräf­te hätten demnach ihren Job während der Pandemie aufgegeben.

Wir schaffen das!?

Es gibt allerdings auch anderslaut­ende Stimmen. Es werde trotz der durchaus ernsten Lage "in den kommenden Wochen nicht zu einer kompletten bundesweit­en Überlastun­g der Kliniken kommen," sagt der Vorstandsv­orsitzende der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft, Gerald Gaß, der DW. Sein Verein vertritt die Interessen vieler Krankenhau­sbetreiber. Gaß hat sich schon in mehreren Interviews gegen allzu düstere Szenarien ausgesproc­hen. Es werde nicht dazu kommen, so Gaß zur DW, "dass Patienten keine Beatmung mehr erhalten können oder wir möglicherw­eise sogar das benachbart­e Ausland um Unterstütz­ung bitten müssen".

Auf mögliche Engpässe könnten die Kliniken mit Verlegunge­n und Zusammenar­beit reagieren, erklärt Gaß. "In allen Bundesländ­ern existieren Notfallplä­ne der einzelnen Regionen, wie die Patienten umgesteuer­t werden, wenn einzelne Intensivst­ationen keine weiteren Aufnahmen mehr möglich machen können." Diese regionale Koordinier­ung habe bereits auf dem Höhepunkt der zweiten Welle funktionie­rt.

Die DIVI wollte sich zu den Äußerungen von Gerald Gaß nicht äußern. Mit einer Situation, in der eine Triage durchgefüh­rt werden muss, rechnet allerdings auch die DIVI nicht.

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Wieder im Notmodus: Berliner Charité, wichtiges Corona-Zentrum in Deutschlan­d

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