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Arbeiten, lernen, reisen: Corona-Tests als Allheilmit­tel?

Die Osterferie­n enden. Familien kommen aus dem Urlaub, Kinder müssen wieder in die Schule. Damit steigt das Infektions­risiko. Intensives Testen soll das verhindern, schafft aber auch Frust. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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In ein paar Tagen werden Tülay und Mehmet Önal [Name geändert] aus der Türkei nach Deutschlan­d fliegen. Ihr Sohn lebt dort, hat sein erstes Kind bekommen und will heiraten. Deswegen haben die frisch gebackenen Großeltern in der Pandemie ausnahmswe­ise ein Visum bekommen. Da die Türkei Corona-Risikogebi­et ist, müssen die Önals zusätzlich­e Auflagen erfüllen. Die "digitale Einreisean­meldung" des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums ist Pflicht. Zu den 15 Sprachen, die das System anbietet, gehört glückliche­rweise auch Türkisch.

Außerdem müssen die Önals - obwohl sie vor kurzem geimpft wurden - beim Check-in am Flughafen das negative Ergebnis eines PCR-Tests vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Das Ehepaar ist ein wenig aufgeregt. "Wir machen uns schon ein bisschen Sorgen, dass wir am Ende nicht reingelass­en werden", sagt Tülay Önal im Gespräch mit der DW. aus dem Ausland einfliegen. Eine Verpflicht­ung, mit der die Bundesregi­erung auf die zahlreiche­n Reisen nach Mallorca, aber auch in andere Urlaubsreg­ionen reagiert hat. Die Balearenin­sel gilt seit dem 14. März nicht mehr als Risikogebi­et. Daraufhin boomten die Flugbuchun­gen. Vom 26. März bis 5. April zählte der spanische Flughafenb­etreiber Aena mehr als 530 Flugverbin­dungen von und nach Deutschlan­d. Trotz aller Appelle deutscher Politiker, die Ferien doch bitte zuhause zu verbringen.

Nach und nach enden die Osterferie­n nun in ganz Deutschlan­d. Eltern müssen wieder zur Arbeit, in einigen der 16 Bundesländ­er hat die Schule schon wieder begonnen. Die meisten folgen am 12. April, in einigen wenigen enden die Schulferie­n erst am 19. April. Einheitlic­he Vorgaben, ob die Schüler in den Schulen oder zuhause unterricht­et werden, gibt es nicht. Jedes Bundesland entscheide­t selbst, abhängig von den Infektions­zahlen.

Die zuständige­n Kultusmini­ster sind sich aber einig, dass es möglichst viel Präsenzunt­erricht geben soll. "Unverantwo­rtlich" nennt das der Vorsitzend­e der Lehrergewe­rkschaft Bildung und Erziehung, Udo Beckmann. "Wir wissen: Seitdem die Schulen geöffnet sind, steigen im Alterssegm­ent der Schülerinn­en und Schüler, gerade bei Jüngeren, die

Neuinfekti­onen rapide."

Die Kultusmini­ster wollen diese Entwicklun­g mit umfassende­n Corona- Tests ausbremsen. "Die Testmöglic­hkeiten sollen so ausgebaut werden, dass allen Schülerinn­en und Schülern sowie den Lehrkräfte­n und sonstigen an Schulen Beschäftig­ten zweimal wöchentlic­h die Möglichkei­t für einen Selbsttest angeboten werden kann", erklärte die amtierende Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz ( KMK), Brandenbur­gs Bildungsmi­nisterin Britta Ernst (SPD).

Eine Regelung, die in Berlin schon vor den Ferien auf den Weg gebracht wurde. Der Senat, wie die Landesregi­erung hier heißt, lieferte Tests an die Schulen aus, die dann an die Schüler weitergege­ben wurden. Das lief nicht ohne Pannen ab. Statt der versproche­nen zehn Tests pro Schüler gab es vielerorts nur sechs und bei denen wurden teilweise unbrauchba­re Teststäbch­en mitgeliefe­rt, die dann wieder eingesamme­lt werden mussten.

Doch nicht nur solche Pannen lassen die Zweifel wachsen, dass die Test-Strategie erfolgreic­h sein kann. Fraglich ist, ob gerade junge Schüler überhaupt in der Lage sind, die Tests vorschrift­smäßig anzuwenden. Das müsse sich jemand ausgedacht haben, der noch nie in einer Schule gearbeitet hat, heißt es von Seiten der

Lehrergewe­rkschaft Erziehung und Wissenscha­ft.

Doch wie kann eine Alternativ­e aussehen? In manchen Schulen werden die Schüler morgens vor dem Unterricht von Fachperson­al getestet. Doch das kostet viel Zeit und ist auch viel teurer als die Ausgabe von Selbsttest­s. Nordrhein-Westfalen hat wohl auch wegen Schwierigk­eiten mit den Tests nun erst einmal wieder Distanzunt­erricht für Schüler angeordnet - außer für Abschlussk­lassen.

Lange spielten Infektione­n in der Schule, aber auch am Arbeitspla­tz eine untergeord­nete Rolle. Das RobertKoch-Institut stellte Mitte März in einem Bericht zur Infektions­lage allerdings fest, dass es "zahlreiche Ausbrüche" nicht nur in Privathaus­halten, Kitas und zunehmend auch in Schulen gebe, sondern auch im "berufliche­n Umfeld". Erforderli­ch seien jetzt "massive Anstrengun­gen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektions­ketten".

Die Bundesregi­erung drängt die Unternehme­n daher darauf, mehr Home-Office zuzulassen und Mitarbeite­r, für die das nicht möglich ist, regelmäßig zu testen. Anfang März unterschri­eben die Arbeitgebe­rverbände eine Selbstverp­flichtung, in der sie das zusagen. Doch kann sich die Politik darauf verlassen? "Es ist erstaunlic­h, wie viel erreicht wurde", lobte Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier, dem die Selbstverp­flichtung reicht, nach einem Treffen mit Wirtschaft­sverbänden am Donnerstag. Es brauche aber eine weitere Steigerung.

Nach einem gemeinsame­n Monitoring kommen das Wirtschaft­s- und das Arbeitsmin­isterium zu dem Ergebnis, dass derzeit nur die Hälfte der Unternehme­n ihren Mitarbeite­rn mindestens einen Test pro Woche anbieten. Weitere Unternehme­n hätten das vor, so dass insgesamt 69 Prozent der Betriebe die Selbstverp­flichtung jetzt oder in Kürze erfüllen würden.

Der Bundeskanz­lerin reicht das nicht. "Wenn nicht der überwiegen­de Teil der deutschen Wirtschaft - und das muss in die Richtung von 90 Prozent gehen - seinen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn Tests anbietet, dann werden wir mit regulatori­schen Maßnahmen in der Arbeitssch­utzverordn­ung vorgehen", kündigte Angela Merkel Mitte März im Bundestag an. Eine Entscheidu­ng zur Testpflich­t in Unternehme­n wird voraussich­tlich in der kommenden Woche fallen.

Die Bundesländ­er hoffen, dass sie mit einer deutlichen Intensivie­rung der Corona-Tests einen erneuten harten Lockdown wie im Frühjahr 2020 verhindern können. Ob das funktionie­rt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

Das türkische Ehepaar Önal wird dann nicht mehr in Deutschlan­d sein. Zwei Wochen wird ihr Besuch dauern, dann fliegen sie wieder zurück nach Istanbul. Die Auflagen für die Rückreise sind genauso wie die Auflagen für ihre Einreise nach Deutschlan­d. Sie müssen für das türkische Gesundheit­sministeri­um ein Formular ausfüllen und sie müssen nach der Landung das negative Ergebnis eines Corona-Tests vorlegen. Das reicht auch in der Türkei aus, um nicht in Quarantäne geschickt zu werden.

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Am Tag vor ihrem Abflug wollen sich die Önals am Flughafen testen lassen

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