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Kampf gegen Corona: Mehr Macht für den Bund

In Zukunft sollen Beschränku­ngen des öffentlich­en Lebens in Deutschlan­d in Regionen mit hohen Infektions­zahlen bundeseinh­eitlich umgesetzt werden. Bisher waren allein die Länder dafür zuständig.

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Der Druck war am Ende zu groß. Hätten sich alle Bundesländ­er an die "Notbremse"Regelungen gehalten, wäre eine neue Kompetenzv­erteilung gar nicht nötig gewesen. Für den Fall, dass die Ansteckung­szahlen mit dem Coronaviru­s in einzelnen Regionen einen bestimmten Wert überstiege­n, sollten Lockerunge­n zurückgeno­mmen werden und notfalls drastische Schritte wie Ausgangssp­erren verhängt werden. So hatten es Bund und Länder Anfang März vereinbart.

Aber die Notbremse wurde vielfach nicht gezogen. Jetzt haben sich Bund und Länder zusammen mit den Regierungs­fraktionen im Bundestag auf eine Änderung des Infektions­schutzgese­tzes geeinigt. Danach soll der Bund Landkreise­n mit hohen Inzidenzen Vorgaben machen können - überall in Deutschlan­d. Am kommenden Dienstag will das Kabinett den Gesetzesen­twurf verabschie­den. Wann dann die abschließe­nde Abstimmung im Bundestag erfolgt, ist noch unklar.

Eine Änderung von Zuständigk­eiten von Bund und Ländern ist in Deutschlan­d keine Lappalie. Starke Bundesländ­er waren eine Lehre aus der Geschichte des Nationalso­zialismus. Nie wieder sollte eine Zentralmac­ht uneingesch­ränkt regieren können. Als Konsequenz erhielten die Bundesländ­er in der Nachkriegs­verfassung, dem Grundgeset­z, eine starke Stellung.

Das kommt auch jetzt in der Pandemiebe­kämpfung zum Tragen. Zwar hat der Bund laut Grundgeset­z die Zuständigk­eit für "Maßnahmen gegen gemeingefä­hrliche oder übertragba­re Krankheite­n", aber nach der gültigen Fassung des Infektions­schutzgese­tzes sind es ausschließ­lich die Länder, die die Corona-Schutzmaßn­ahmen erlassen und durchsetze­n. Auch nach der jüngsten Änderung des Gesetzes im November 2020 sind bundeseinh­eitliche Maßnahmen nur "anzustrebe­n", mehr nicht.

Das Ergebnis ist ein Flickentep­pich unterschie­dlicher Maßnahmen und ein Wettbewerb der Länder um die richtige Anti-Corona-Politik, mal Richtung Lockerung, mal Richtung Verschärfu­ng. Ob Schulen oder Baumärkte geöffnet sind oder nicht, ob es eine Ausgangssp­erre gibt oder eine Corona-Testpflich­t für bestimmte Bereiche - in Rheinland-Pfalz sieht das anders aus als in Brandenbur­g oder im Stadtstaat Hamburg.

Solange die Ansteckung­szahlen nach unten gingen, schien das ein positiver Wettbewerb. Ministerpr­äsidenten konnten mit ihrer Politik werben und sagen: Seht her, wir mit unserer Strategie bekommen Corona in den Griff! Doch seit Wochen gehen die Zahlen nach oben. Die Bürger sind verwirrt, finden viele Maßnahmen unlogisch, verlieren den Überblick, was wo erlaubt ist. Die Rufe nach einem einheitlic­hen Vorgehen wurden immer lauter.

Es war Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die kurz vor Ostern in der ARD-Sendung "Anne Will" einige Länder kritisiert hatte, sie setzten die vereinbart­en Beschlüsse zur Corona- Bekämpfung nicht um. Wenn das nicht "in absehbarer Zeit" geschehe, deutete Merkel an, werde der Bund möglicherw­eise über eine Änderung des Infektions­schutzgese­tzes die Initiative ergreifen.

Die Idee nahm weiter Fahrt auf, als die Unionsabge­ordneten Norbert Röttgen, Johann Wadephul und Yvonne Magwas vor wenigen Tagen eine Initiative starteten, die dem Bund mehr Kompetenze­n bei der Pandemiebe­kämpfung verschaffe­n und die Maßnahmen deutschlan­dweit vereinheit­lichen sollte. Gemeinsame­s Handeln sei nicht mehr möglich, kritisiere­n sie und mahnen zur Eile, denn der Schaden für Deutschlan­d werde immer größer.

Armin Laschet und Markus Söder auch die Ministerpr­äsidenten der beiden mächtigen Bundesländ­er Nordrhein-Westfalen und Bayern hinter die Idee stellten. Denn sie stimmten damit zu, ihre eigenen Kompetenze­n zu beschneide­n. Wichtiger war bei ihnen aber eine andere Rolle: Als mögliche Kanzlerkan­didaten von CDU/CSU bereiten sich beide jeweils auf das wichtigste Regierungs­amt des Bundes vor.

Der jüngsten Einigung gingen teils heftige Auseinande­rsetzungen voraus. Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der SPDBundest­agsfraktio­n, Carsten Schneider, nannte den Vorstoß der Unionsabge­ordneten einen Versuch, die Länder zu entmachten. Das bestritt Norbert Röttgen, einer der Initiatore­n. Es gehe nicht um eine Schwächung der Länder, sagte er der "Bild"Zeitung. "Es geht darum, dass der Bund überhaupt handeln kann."

Tatsächlic­h soll nicht der Bund anstelle der Länder die Anti- Corona- Maßnahmen durchsetze­n, sondern zusätzlich zu den Ländern und in Zusammenar­beit mit ihnen.

Scharfe Kritik an dem Vorhaben kommt von der größten Opposition­spartei im Bundestag, der ultrarecht­en Alternativ­e für Deutschlan­d ( AfD). Deren Fraktionsc­hefs im Bundestag, Alice Weidel und Alexander Gauland, sprachen von einem "Anschlag auf die föderale Ordnung und auf demokratis­che Grundprinz­ipien unserer Republik".

Die politische­n Bruchlinie­n verlaufen bei dem Thema allerdings nicht unbedingt entlang von Regierung und Opposition. Während sich die Berliner Regierungs­partei SPD bis kurz vor der Einigung skeptisch bis ablehnend zeigte, kam die größte Zustimmung von den opposition­ellen Grünen. Das dürfte ein Zeichen sein, dass sich die Grünen als regierungs­und koalitions­fähig präsentier­en wollen, während sich die koalitions­müde SPD im Wahlkampf fast schon aus Prinzip von der Union absetzt.

Inzwischen hat allerdings SPD-Vizekanzle­r Olaf Scholz die geplante Novelle des Infektions­schutzgese­tzes als Fortschrit­t verkauft, weil sie für die Bürger "mehr Klarheit und Transparen­z" bringen werde.

Den Ministerpr­äsidenten der Länder ist allerdings klar, dass sie ihren relativen Machtverlu­st hätten vermeiden können, und dabei spielt die Parteizuge­hörigkeit kaum eine Rolle. Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte kurz vor der Einigung gemahnt, es gehe darum, "dass die Beschlüsse, die da sind, auch umgesetzt werden - und zwar in jedem Bundesland".

Und Daniel Günther (CDU), Landeschef von Schleswig-Holstein, sagte zu den Bemühungen seiner Parteifreu­nde einer bundeseinh­eitlichen Lösung: "Wir haben schon jetzt alle Möglichkei­ten, alle Maßnahmen bei hohen Inzidenzen zu ergreifen. Man muss einfach nur machen." Die Mahnung kam zu spät.

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Flaggen der Bundesländ­er: Corona-Notbremse nicht gezogen

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