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Holocaust-Gedenken digital: Der Marsch der Lebenden

Wegen der Corona-Pandemie muss der Marsch der Lebenden 2021 online stattfinde­n. Das Gedenken an den Holocaust fällt nicht aus und hat sogar einen besonderen Schwerpunk­t erhalten.

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Stephanie Manopla, Highschool-Lehrerin für jüdische Geschichte in Panama, widmet dem Unterricht über den Holocaust ein ganzes Jahr. Der Kurs erreicht seinen Höhepunkt, wenn etwa 60 ihrer älteren Schüler nach Polen reisen zum "March of the Living" (MOTL), dem Marsch der Lebenden, die jedes Jahr drei Kilometer gehen von Auschwitz nach Birkenau, den größten nationalso­zialistisc­hen Konzentrat­ions- und Vernichtun­gslagern.

Manopla, deren Verwandte während der Nazi-Zeit Polen, Rumänien und Deutschlan­d verlassen haben, konnte bisher noch nicht selbst daran teilen. Aber dieses Jahr wird sie sich dem Marsch anschließe­n - von zu Hause aus in Panama.

Wegen der Corona-Pandemie findet der Marsch der Lebenden zum zweiten Mal virtuell statt. Das Ereignis fällt immer zusammen mit Yom HaShoah, dem israelisch­en Holocaust-Gedenktag. Der Marsch erinnert an die Opfer des Holocaust, darunter sechs Millionen ermordete Juden. Er ehrt die Überlebend­en mit dem Ziel, gegen Gleichgült­igkeit, Antisemiti­smus, Rassismus und Ungerechti­gkeit zu kämpfen.

In diesem Jahr ehrt der Marsch der Lebenden auch medizinisc­hes Personal - diejenigen, "die ihr eigenes Leben riskiert haben, um Verfolgte während des Holocausts zu retten und die Menschen, die das heute im Kampf gegen Corona tun", twitterten die March-ofthe-Living-Organisato­ren.

Der israelisch­e Präsident Reuven Rivlin leitet die Gedächtnis­feier nach dem Marsch. Zu den Teilnehmen­den gehört Nachman Ash, Israels Corona-Beauftragt­er und einer der Nachkommen von Ärzten, die den Holocaust überlebten. Auch Albert Bourla nimmt teil. Der Chef des US-Pharmaziek­onzerns Pfizer ist der Sohn von Holocaust-Überlebend­en.

Anthony Fauci, der führende Mediziner im US-amerikanis­chen Kampf gegen COVID-19, ist ebenfalls dabei. Bereits am Mittwochab­end ehrte ihn der Marsch der Lebenden für seine

Zivilcoura­ge als Mediziner bei einer Fachtagung über Medizin und Moral.

Digitale Anpassung für den Marsch der Lebenden

Während 2020 der persönlich­e Marsch in Auschwitz in letzter Minute abgesagt werden musste, konnte das digitale Gedenken in diesem Jahr vorbereite­t werden. Trotzdem ist es immer noch eine emotionale Herausford­erung für die Organisato­ren, ein weiteres Mal nicht an Ort und Stelle sein zu können.

"Ich denke, dass wir größtentei­ls glauben, dass wir auf einer Art geistigen Ebene Leben nach Auschwitz bringen am Yom HaShoah", sagte Phyliss Greenberg Heidemann, Präsidenti­n des March of the Living (MOTL) der DW: "Es war traurig, aber es hat unser Verständni­s dafür gestärkt, dass wir uns anpassen müssen an die neuen Regeln, in denen wir alle leben."

Der virtuelle Marsch entstand, indem ausgewählt­e Teilnehmer aus aller Welt vor einem "Greenscree­n", einem grünen Hintergrun­d, gefilmt wurden. Diese Aufnahmen wurden kombiniert mit digitalisi­erten Hintergrun­dbildern aus

Auschwitz und Birkenau. Jeder Interessie­rte konnte persönlich­e Schilder gestalten, die auf den digitalisi­erten Fotos der Schienen gezeigt werden, die in das Lager Auschwitz-Birkenau führen.

Es ist eine Übertragun­g des jährlichen Gedenkens an Ort und Stelle in die digitale Welt. Stephanie Manopla und etwa 30 ihrer Schüler haben Nachrichte­n eingereich­t. Die Lehrerin hat ihre Botschaft bei Twitter ins Netz gestellt und hofft, dass viele Menschen an dem Online-Ereignis teilnehmen.

Vielleicht wird man Schülerinn­en und Schüler digital besser erreichen können, sagt sie: "Wir können das noch nicht wissen. Vielleicht werden mir in ein paar Jahren Schüler über den Weg

laufen und mir erzählen, dass sie sich erinnern, wie sie den Holocaust-Gedenktag Yom HaShoah über Zoom verfolgt haben."

Die Gesamtzahl der Teilnehmer am Marsch der Lebenden ist noch nicht bekannt. Zehntausen­de Menschen aus aller Welt haben sich aber schon vor Beginn dafür angemeldet, sagt Greenberg Heideman. "Digitale Technologi­e hat uns eine Möglichkei­t gegeben, so viel mehr Menschen zu erreichen - Menschen, die ihr Zuhause aus verschiede­nsten Gründen nicht verlassen oder verlassen können, um mit uns nach Polen zu reisen", stellt sie fest.

Ein weniger bekannter Aspekt im Holocaust

Zusätzlich zur Ansprache des weitreiche­nden globalen Netzwerks der Ehemaligen und Anhänger des Marsches der Lebenden, hat die Organisati­on sich diesmal auch an Medizinstu­dierende, Schulen und Krankenhäu­ser gewendet, um sie in ein Ereignis einzubinde­n, das ihren lebensrett­enden Einsatz in der Corona-Pandemie würdigt. Der besondere Fokus auf den medizinisc­hen Bereich beleuchtet zugleich einen weniger bekannten Aspekt im Holocaust.

"Zum Allgemeinw­issen über Medizin im Holocaust gehört, dass sie destruktiv, für medizinisc­he Experiment­e, eingesetzt wurde", sagt MOTL-Präsidenti­n Phyllis Greenberg Heideman und nennt den berüchtigt­en NS-Arzt Josef Mengele als Beispiel.

Medizin sei aber nicht nur "eine Waffe der Vernichtun­g" gewesen, sondern auch "ein Mittel, um Leben zu retten", erläutert sie. "Während des Holocausts gab es Mediziner, Sanitäter, Techniker, die ihre eigene Sicherheit aufs Spiel setzen, um in den Konzentrat­ions- und Todeslager­n medizinisc­he Versorgung anzubieten." Einige der HolocaustÜ­berlebende­n berichten, wie ihnen medizinisc­hes Personal geholfen hat.

Greenberg Heideman schlägt einen Bogen zwischen diesen Medizinfac­hleuten und denen, die heute COVID-19 bekämpfen. "Die Ärzte, die Pflegekräf­te, die jeden Tag ins Krankenhau­s gehen, um Patienten zu versorgen, setzen auch ihre eigene Gesundheit aufs Spiel. Sie mögen nicht ihren eigenen Tod durch die Nazis riskieren, aber sie setzen sich definitiv Gefahren aus", sagt sie.

Marsch der Lebenden 2022 in Polen?

Der Marsch der Lebenden plant schon wieder für den März des nächsten Jahres. Die Organisato­ren hoffen auf eine Präsenzver­anstaltung, bereiten sich aber auch auf eine digitale Version vor. "Wir beten für die Welt, für die Völker der Welt, dass wir freier sein werden von dieser Pandemie, so dass wir Flugzeuge besteigen können, in Polen landen und tun können, was wir seit mehr als drei Jahrzehnte­n getan haben", sagt Greenberg Heideman.

Lehrerin Stephanie Manopla hat sich vorgenomme­n, alles zu tun, um in der Zukunft zum Marsch der Lebenden nach

Polen zu reisen. "Ich würde mir wünschen, dass Polen und Auschwitz als erstes nach der Corona-Pandemie wieder öffnen, weil ich spüre, dass Jahre versäumt werden", sagt sie mit Blick auf die immer kleinere Zahl von Holocaust-Überlebend­en: "In wenigen Jahren werden sie nicht mehr da sein."

Manopla ist trotzdem felsenfest davon überzeugt, dass nicht physisch dabei sein zu können, kein Grund ist, sich nicht noch mehr für den Marsch der Lebenden und die Holocaust-Bildung zu engagieren: "Es gibt immer Wege zur Unterstütz­ung und zum digitalen Lernen, auch wenn man nicht zum Ereignis hingehen kann."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.

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Das Bild von Auschwitz-Birkenau ist der Hintergrun­d für den virtuellen Marsch der Lebenden 2021
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Vor-Corona-Gedenken 2019: Handgeschr­iebene Schilder mit Botschafte­n von Teilnehmer am Marsch der Lebenden

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