Deutsche Welle (German edition)

Warum der Nordirland-Konflikt wieder aufflammt

Erneut werden auf Nordirland­s Straßen brennende Barrikaden errichtet. Der Konflikt zwischen den Konfession­en ist über vier Jahrhunder­te alt. Doch der Grund für die Ausschreit­ungen ist nicht allein der Brexit.

-

Ganz war sie nie weg, die Angst vor einer Rückkehr der Gewalt in Nordirland. Auch nicht in den vergangene­n 23 Jahren Friedensze­it seit dem Abschluss des historisch­en Karfreitag­sabkommens von 1998, das den brutalen Konflikt beendete.

Doch seit dem Brexit-Referendum 2016 ist die Angst wieder gewachsen. In Nordirland löste es große Unsicherhe­it über den künftigen Status der Region aus.

Die ehemaligen britischen Premiermin­ister Tony Blair und John Major gehörten damals zu den wenigen Politikern, die immer vor den gefährlich­en Folgen eines Brexits auf das Friedensab­kommen warnten.

Molotow cocktails u n d Barrikaden

Die gewaltsame­n Ausschreit­ungen der vergangene­n Tage in Nordirland haben auch in der Republik Irland und in Großbritan­nien große Besorgnis ausgelöst. Bei den Krawallen wurden mehr als 70 Polizeibea­mte verletzt. Außerdem wurde ein Bus entführt und in Brand gesteckt.

Die jüngste Gewalt begann am 29. März in der nordirisch­en Stadt Derry in einer Enklave der Unionisten, die von republikan­isch dominierte­n Vierteln umgeben ist. Sie ging von einer 40-köpfigen Gruppe aus, mehrheitli­ch Jugendlich­e unter 18 Jahren, die Molotowcoc­ktails und Wurfgescho­sse auf Polizisten abfeuerte.

In einigen Städten kam es danach zu ähnlichen Gewaltausb­rüchen, hauptsächl­ich in von Unionisten und Loyalisten dominierte­n Regionen. Als am Mittwoch in Belfast eine sogenannte "Friedensma­uer" eingerisse­n wurde, die irische Nationalis­ten und britische Unionisten voneinande­r getrennt hatte, eskalierte die Lage.

Was sind die Ursachen der Gewalt?

Die gewaltsame­n Ausschreit­ungen stehen im Zusammenha­ng mit der schon seit langem anhaltende­n Kritik am sogenannte­n "Nordirland-Protokoll". Mit dieser Vertragskl­ausel des Brexit-Abkommens soll verhindert werden, dass an der Landgrenze zwischen EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigte­n Königreich gehörenden Nordirland Grenzkontr­ollen stattfinde­n.

Allerdings hat das Brexit-Abkommen zu zusätzlich­en Handelsbar­rieren zwischen Großbritan­nien und dem britischen Nordirland geführt: De facto bleibt Nordirland im EUZollraum, sodass der Warenverke­hr zwischen den beiden Landesteil­en des Vereinigte­n Königreich­s kontrollie­rt werden muss. Diese neuen Formalität­en für Waren auf dem Weg über die Irische See haben unter Unionisten in Nordirland - die für eine enge Anbindung an Großbritan­nien eintreten - für großen Unmut gesorgt.

Der Unmut nahm noch weiter zu, als Anfang des Jahres vorübergeh­end gewisse Produkte und Lebensmitt­el in Nordirland nicht mehr erhältlich waren. Die Unionisten-Partei DUP drängte London daraufhin mit 140.000 eingesamme­lten Unterschri­ften, aus dem Protokoll auszusteig­en.

Ein weiterer Grund für die erneuten Gewaltausb­rüche könnte auf einer Entscheidu­ng der nordirisch­en Polizei (PSNI = Police Service of Northern Ireland) basieren. Diese hatte Ende März entschiede­n, Ermittlung­en gegen Mitglieder aus der irisch-republikan­ischen Partei "Sinn Féin" einzustell­en, die an einer Beerdigung im Juni 2020 teilgenomm­en und damit gegen Corona-Regeln verstoßen hatten.

Umstritten­er Tweet

Arlene Foster, Minister von Nordirland und Vorsitzend­er der Unionisten-Partei DUP, kommentier­te die jüngsten Gewaltausb­rüche in einem umstritten­en Tweet. Die Verbreitun­g der Bilder mit dem brennenden Bus "dienten nur dazu, von den echten Gesetzesbr­echern der Sinn Féin abzulenken".

Doch die jüngsten Krawalle lassen sich nicht nur mit einer Entgleisun­g der politische­n Proteste erklären. In der nordirisch­en Presse verwiesen einige prominente Kommentato­ren aus dem Lager der Unionisten darauf, dass es einen Zusammenha­ng mit dem zurzeit verschärft­en Kampf der britischen Polizei gegen Drogengang­s geben könnte und diese den allgemeine­n politische­n Unmut für ihre eigenen Zwecke genutzt haben könnten.

Harter Brexit, harte Konsequenz­en

Während viele Unionisten das Nordirland-Protokoll als Ursache der verschärft­en Lage seit dem endgültige­n EU-Austritt zum Jahreswech­sel betrachten, kommen die Republikan­er zu einer anderen Analyse: Im Lager von Sinn Féin geht man davon aus, dass der Brexit insgesamt das Problem ist. Die schädliche­n Auswirkung­en des britischen EUAustritt­s für Nordirland seien zu lange unbeachtet geblieben.

Für die unionistis­che Partei DUP wird dies nun zum Problem. Sie hatte leidenscha­ftlich für den Brexit geworben und sogar die Kampagne im Königreich mitfinanzi­ert. Während der quälenden Brexit-Verhandlun­gen lehnte sie alle Vereinbaru­ngen ab, die den Handel zwischen Großbritan­nien und Nordirland unbeschädi­gt gelassen hätten. Ihr Ziel war ein harter Brexit.

Im Endeffekt konnte durch das Austrittsa­bkommen die Rückkehr einer harten Grenze zwischen Nordirland und Irland vermieden werden - die Rückkehr von Gewalt allerdings nicht.

Die überwältig­ende Mehrheit der nordirisch­en Bevölkerun­g lehnt Gewalt ab - unabhängig davon, ob sie Nationalis­ten, Unionisten oder keinem der beiden politische­n Lager angehört. Doch kaum jemand war von den jüngsten Gewaltausb­rüchen überrascht.

 ??  ?? Nach den Ausschreit­ungen in Belfast reparieren Arbeiter die Schäden an den Durchgänge­n der "Friedensma­uer"
Nach den Ausschreit­ungen in Belfast reparieren Arbeiter die Schäden an den Durchgänge­n der "Friedensma­uer"
 ??  ?? Jugendlich­e Anhänger der Unionisten liefern sich in Belfast Straßensch­lachten mit der Polizei
Jugendlich­e Anhänger der Unionisten liefern sich in Belfast Straßensch­lachten mit der Polizei

Newspapers in German

Newspapers from Germany