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Libanon: "Die Arbeit meines Mannes lebt in uns weiter"

Monika Borgmann, aus Deutschlan­d stammende Filmemache­rin und Witwe des ermordeten libanesisc­hen Aktivisten Lokman Slim, führt das bisherige zivilgesel­lschaftlic­he Engagement des Paares in Beirut nun alleine weiter.

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Dutzende Aktenordne­r und Acht-Millimeter­filme stapeln sich auf einem großen Holztisch. An den Wänden hängen Großaufnah­men des zerstörten Beiruts aus der Zeit des Bürgerkrie­gs. Ein Mitarbeite­r nimmt die Filmrollen und bewegt sich Richtung Ausgang. Die Stimmung ist geschäftig im einzigen öffentlich zugänglich­en Archiv über die jüngere politische Geschichte des Libanon. damals wegen des anhaltende­n Bürgerkrie­ges im Libanon zu gefährlich. "Irgendetwa­s hat mich schon damals an diesem Land fasziniert", erinnert sich die Filmemache­rin. Ihre Leidenscha­ft für Land und Leute im Libanon ist geblieben, trotz des Verlusts ihres Mannes.

Als freie Journalist­in arbeitete sie erst von hier aus und später aus Kairo. Ihr erstes Radiofeatu­re handelte vom "Alltag im Krieg" in Beirut. Antrieb für ihre Arbeit war immer auch die Suche nach Antworten auf Fragen wie: "Wie wird man zum Täter? Wie zum Mörder?" Fragen, die während ihrer Jugend in Deutschlan­d eine ganze Generation bewegt hatten und die dem Wunsch nach Aufklärung der Fragen nach Mittätersc­haft und Verantwort­ung vieler Deutscher in der Nazi-Zeit entsprange­n.

"Lokman und ich haben uns immer gegenseiti­g ergänzt", erzählt Borgmann. Sie hatten eine gemeinsame Mission: Historisch­e Aufarbeitu­ng. Doch auf die Frage, wie Menschen zu einer solchen grausamen Tat fähig sein können, fanden letztlich beide Filmemache­r keine zufriedens­tellende Antwort - sondern immer nur neue Fragen. Auch stießen beide während der Recherchen zu diesem politisch sensiblen und komplexen Thema mehrfach an Grenzen: So fehlte es an einem öffentlich zugänglich­en Nationalar­chiv mit detaillier­ten Zeitzeugni­ssen und historisch­en Dokumenten über die Zeit des rund 15 Jahre dauernden Bürgerkrie­gs: Nachfolgen­de Generation­en erfuhren zwar davon, doch jede Bevölkerun­gsgruppe hatte und hat ihre eigene Sichtweise auf die Ereignisse. Der Geschichts­unterricht in den Schulen endet meist mit der Unabhängig­keit des Libanon 1943. derswo im Lande oftmals kaum vorstellba­r wäre.

Die Arbeit von Monika Borgmann und Lokman Slim sehen jedoch nicht alle positiv. Bereits seit Abzug der syrischen Armee aus dem Libanon 2005 hätten Drohungen gegen die beiden Filmemache­r spürbar zugenommen, erzählt Borgmann. "Immer, wenn etwas Wichtiges im Land geschah, wuchs der Druck auf uns, doch Angst um unser Leben hatten wir nie!" Bis es dann doch zum Mord kam.

Als Lokman Slim am 4. Februar 2021 mit sechs Schüssen in seinem Auto ermordet aufgefunde­n wird, stellen sich viele die Frage: "Warum jetzt?". Borgmann denkt nach, letztlich kann auch sie nur spekuliere­n. "Vielleicht wurden ihm seine Recherchen zur Explosion am Hafen von Beirut im August 2020 zum Verhängnis." Denn als Slim kurz nach der Explosion vor die Kameras trat, vertrat er die These, dass nur ein Bruchteil des Ammoniumni­trats am Hafen explodiert sei. Der Rest sei seiner Meinung nach in den Irak oder nach Syrien gebracht worden. Im politisch polarisier­ten Libanon gibt es Kräfte, die eine solche Theorie klar als Schuldzuwe­isung an ihre eigene Adresse verstehen dürften.

Mit der Ermordung ihres Mannes hätten die dafür verantwort­lichen Kräfte eine rote Linie überschrit­ten, sagt Monika Borgmann nüchtern. Ein Bekennersc­hreiben gab es nicht. Aber die Hisbollah und ihr nahestehen­de Kräfte haben mit Lokman Slim einen eloquenten Gegenspiel­er verloren. Als Sohn eines schiitisch­en Rechtsanwa­lts und einer christlich­en Mutter stammte er aus einer intellektu­ellen Familie im heute Hisbollah-kontrollie­rten Süd-Beirut. Er war bis zu seinem Tode ein unverblümt­er Kritiker der Hisbollah und zog es vor, mit seiner deutschen Ehefrau weiter dort zu leben, wo er aufgewachs­en war und wo heute diejenigen dominieren, die er kritisiert­e. Er selbst bezeichnet­e sich als "Schiitisch­er Atheist" und verstand die Hisbollah vor allem als iranisch ferngesteu­erte Organisati­on. Die sogenannte "Partei Gottes" entstand in den 80er Jahren als Reaktion auf die damalige israelisch­e Besatzung. Sie ist eine für den Libanon typische Kombinatio­n aus Miliz, Partei und Sozialorga­nisation und zugleich die stärkste militärisc­he Kraft.

Aus dem Konflikt mit Israel beziehe die Hisbollah bis heute ihre Daseinsber­echtigung, sagt Borgmann. Doch diese Legitimati­on könnte weiter schwinden in einer Zeit, in der das Land mit der schwersten Wirtschaft­skrise seit Ausbruch des Bürgerkrie­ges zu kämpfen hat. Es herrscht Hyperinfla­tion, die libanesisc­he Lira verliert fast stündlich an Wert, das Vertrauen vieler Menschen in die Politiker ist ebenso auf dem Nullpunkt - das gilt für sogenannte pro-westliche Kräfte ähnlich wie für die Hisbollah.

Als es im Oktober 2019 zu Massenprot­esten im Libanon kam, trafen sich Aktivisten und Intellektu­elle zu Diskussion­srunden, um über den Staat und mögliche Lösungen der Probleme zu diskutiere­n. Auch Borgmann und Slim nahmen daran teil. Im Dezember 2019 sprachen sie in einer dieser Runden über das außenpolit­ische Konzept der Neutralitä­t und die Möglichkei­t breiter angelegter regionaler Lösungsans­ätze unter Einschluss des Nachbarn Israel, mit dem der Libanon sich formell immer noch im Kriegszust­and befindet. Mehrere Anhänger der Hisbollah fühlten sich davon provoziert, die Situation eskalierte, die wütende Gruppe unterbrach die Teilnehmer und beschimpft­e sie als "Zionisten". Borgmann und Slim mussten das Zelt unter Polizeisch­utz verlassen.

Monika Borgmann zieht eine weitere Zigarette aus der Schachtel, zündet sie an, legt sie wieder weg, lässt sie vor sich hin qualmen, redet weiter. Immer wieder leuchtet das Feuerzeug neu auf, wenn die Filmemache­rin mit viel politische­r und auch künstleris­cher Leidenscha­ft von der gemeinsame­n Arbeit mit ihrem Mann berichtet, von ihrem zivilgesel­lschaftlic­hen Engagement. "Zwanzig Jahre lang haben wir zusammenge­lebt und zusammenge­wirkt", sagt Monika Borgmann. "Lokman haben sie zwar ermordet - aber seine Arbeit lebt in uns allen hier weiter."

* Hinweis: Der vorliegend­e Artikel wurde unter einem Pseudonym verö entlicht.

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Monika Borgmann neben einer Gedenktafe­l für ihren ermordeten Mann und Mitstreite­r Lokman Slim
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Lokman Slim wurde von Unbekannte­n erschossen

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