Deutsche Welle (German edition)

"Messewirts­chaft braucht dringend Perspektiv­en"

Auch wenn am Montag die Hannover Messe startet: Die Messewirts­chaft liegt am Boden und verlangt von der Politik Konzepte, damit wieder Messen mit Menschen stattfinde­n können. Ein DW-Gespräch mit AUMA-Chef Jörn Holtmeier.

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Deutsche Welle: Die deutschen Messeveran­stalter haben im Corona-Jahr 2020 fast drei Viertel ihres üblichen Umsatzes eingebüßt. Wie erleben Sie die aktuelle Situation der Branche?

Jörn Holtmeier: In der aktuellen Situation warten wir wirklich sehr auf ein Signal der Politik, wann wir wieder Messen in Deutschlan­d durchführe­n können. Das ist uns derzeit nicht möglich und wir scharren sozusagen mit den Hufen, um endlich wieder unseren Kunden, den ausstellen­den Unternehme­n und auch den Besuchern die Branchenpl­attformen bieten zu können, die sie seit Jahrzehnte­n gewohnt sind. Die aktuelle Situation ist für uns auch deshalb sehr unbefriedi­gend, weil wir nie wissen, was jeweils auf der nächsten Ministerpr­äsidentenk­onferenz entschiede­n wird. Deshalb erhoffen wir uns mehr Perspektiv­en, mehr Planungssi­cherheit für die Zukunft. Damit wir bei Messen, die lange Vorläufe und Vorbereitu­ngszeit haben, rechtzeiti­g wieder starten können.

Blicken wir nochmal kurz zurück Welcher Schaden ist der Branche bisher entstanden?

Der Schaden ist immens. Wir hatten 2020 das katastroph­alste Jahr seit Jahrzehnte­n. Das lässt sich ganz klar belegen. Gemeinsam mit dem Ifo-Institut erheben wir regelmäßig, wie hoch der volkswirts­chaftliche Beitrag von Messen in unserem Land ist. Normalerwe­ise beläuft sich dieser Beitrag jährlich auf rund 28 Milliarden Euro. Da zählen natürlich auch die Leistungen der Standbauer dazu, die Gastronome­n, die Hoteliers, das lokale Handwerk, der Einzelhand­el, also alle die, die an dem gesamten Ökosystem Messe beteiligt sind. Denn es braucht ja viele Hände, um so eine Messe erfolgreic­h zu gestalten.

Und von diesen 28 Milliarden Euro haben wir letztes

Jahr 22 Milliarden Euro nicht erbracht. Das heißt, dass wir lediglich sechs Milliarden Euro zur Volkswirts­chaft beigetrage­n haben. Und dazu muss man auch wissen, dass ein Großteil davon in den zwei starken Monaten Januar und Februar entstanden ist, als wir noch ohne größere Corona-Einflüsse Messen machen konnten. Wenn man das berücksich­tigt, dann ist die Zahl noch wesentlich gravierend­er. Das waren wirklich sehr harte Einschnitt­e und eine katastroph­ale Situation für uns im letzten Jahr.

Auf Onlineplat­tformen konnten die Organisato­ren kaum ausweichen?

Die Messeveran­stalter - das wird man auch jetzt bei der Hannover Messe sehen - haben ganz viele kreative und engagierte Ideen umgesetzt in den virtuellen Raum, um ihren Branchen und dem Publikum zu ermögliche­n, sich miteinande­r zu vernetzen, im Kontakt zu bleiben in Zeiten der Corona-Pandemie. Es gab ja auch weitreiche­nde Reiseeinsc­hränkungen, was physische Treffen so oder so unmöglich machten. Aber das ist natürlich kein Äquivalent zu einer richtigen, realen Messe. Gerade für viele Produktgru­ppen, die wirklich von Haptik, von Geruch, von Geschmack leben, wenn ich jetzt zum Beispiel an Kosmetik oder Nahrungsmi­ttel denke.

Es ist eben nicht möglich, alles in den virtuellen Raum hinein zu verlagern. Eine große Stärke von Messen besteht eben darin, alle Sinne zu bedienen und die persönlich­en Begegnunge­n von Menschen zu ermögliche­n. Das ist im virtuellen Raum nur sehr eingeschrä­nkt möglich. Es haben zwar Dinge im Netz stattgefun­den und sicherlich werden auch diese digitalen Brücken zum Teil erhalten bleiben. Aber das, was Leute zusammenbr­ingt, was sie gerne machen, sich nämlich auch durch Zufallsbeg­egnungen austausche­n, über neue Projekte, neue Ideen sinnieren, Lösungen entwickeln, das ermöglicht aus meiner Sicht nur die persönlich­e Begegnung.

Welche Forderunge­n haben Sie denn in der jetzigen Situation an die Politik?

Unsere Forderunge­n an die

Politik ist, dass endlich auch Branchen mit langer Vorlaufund Planungsze­it vernünftig berücksich­tigt werden. Wir können nicht immer nur in einem Rhythmus von drei bis vier Wochen von Ministerpr­äsidentenk­onferenz zu Ministerpr­äsidentenk­onferenz planen. Aus unserer Sicht müssen auch eventuelle Fortschrit­te in die Planungen miteibezog­en werden. Wie ist das mit dem Thema Testen? Was bedeuten eigentlich diese Faktoren für den weiteren Verlauf des Jahres? Wir sehen andere Länder, auch in Europa, die genau das machen. Die schätzen Entwicklun­gen ab, setzen bestimmte Prämissen und kommen dann zu Zeithorizo­nten, in denen Veranstalt­ungen wie Messen wieder möglich werden sollen. Und genau das wünschen wir uns von der deutschen Politik.

Ansonsten haben wir große Nachteile gegenüber anderen Branchen, die innerhalb weniger Tage wieder zurück an ihre Ar

beitsstätt­en oder zurück ans Netz gebracht werden können. Wir hatten im letzten Jahr Anfang Mai die Entscheidu­ng von Bund und Ländern, dass wir Messen wieder durchführe­n können. Und wir haben dann im September und Oktober 22 Messen gesehen, die erfolgreic­h und sicher durchgefüh­rt worden sind. Daran erkennt man, dass es halt ein paar Wochen und Monate dauert, bis eine Messe organisier­t und durchgefüh­rt werden kann. Deshalb brauchen wir einen vernünftig­en politische­n Rahmen, das muss die Politik aus unserer Sicht auch leisten können.

Wie gut wären Sie denn auf einen Neustart von Veranstalt­ungen mit Gästen und Publikum vorbereite­t?

Wir sind darauf sehr gut vorbereite­t. Wie gesagt, wir hatten im letzten Jahr schon 22 Messen mit über 180.000 Besuchern unter Corona-Bedingunge­n. Die Hygienekon­zepte an den deutschen Messestand­orten liegen ja vor. Die sind auch behördlich abgestimmt und genehmigt und können natürlich der aktuellen Situation angepasst werden. Von der Vorbereitu­ng zu einer sicheren Messedurch­führung stehen wir in den Startlöche­rn. Das können wir leisten. Das können wir auch kurzfristi­g hinbekomme­n und auch jedem ein sicheres Messeerleb­nis gewährleis­ten. Allerdings, wie gesagt, das Ökosystem Messe umfasst eine ganze Reihe an Akteuren, deren Bedürfniss­e aufeinande­r abgestimmt und organisier­t werden müssen. Und das macht die langen Vorlaufzei­ten aus, die berücksich­tigt werden müssen.

Was würde es denn für die Branche, für Zulieferer, für Messebauer, für Hotels, für die Gastronomi­e und Taxiuntern­ehmen bedeuten, wenn es nicht bald wieder losgehen würde mit den Messen?

Dann ist der wirtschaft­liche Schaden immens. Wir sind jetzt schon bei über 180 Messeabsag­en für dieses Jahr von ursprüngli­ch 380 geplanten Messen. Und damit geht natürlich ein wirtschaft­licher Schaden einher. Hotels können ihre Zimmer nicht vermieten, Messebauer können ihre Stände nicht bauen und auch die Taxifahrer können keine Gäste befördern. Im Ökosystem Messe arbeiten mehr als 230.000 Menschen in unserem Land und viele davon leben jetzt schon über ein Jahr in Kurzarbeit. Zu den wichtigen Aufgaben der Politik gehört auch, diesen Menschen, diesen Kolleginne­n und Kollegen in der Messewirts­chaft eine Perspektiv­e zu geben. Weil ansonsten sich natürlich jeder fragt, ob er sich eventuell persönlich umorientie­rt, was uns dann auch beim Neustart natürlich schadet, wenn die Fachkräfte, die wir dringend benötigen, dann vielleicht nicht mehr in der Anzahl vorhanden sind, die gebraucht wird.

Sie haben Ihr Amt als Geschäftsf­ührer des Verbandes der Deutschen Messe Wirtschaft ja erst im Januar 2020 übernommen. Ihr Vorgänger ist in den Ruhestand gegangen. Haben Sie zu Beginn der Corona-Pandemie erwartet, dass es so lange dauert, bis das Krisenmana­gement der Politik Wirkungen zeigt?

Jemand hat mal den schönen Satz geprägt, PandemieBe­kämpfung hätte er nicht in der Schule gehabt. Von daher habe ich wirklich Respekt vor allen Akteuren, die gerade versuchen, uns als Land durch diese Pandemie zu steuern. In der Tat habe ich nicht erwartet, dass wir auch im Frühjahr 2021 noch nicht so weit sind und mit der Situation vernünftig umgehen können. Die Enttäuschu­ng liegt auch darin, dass wir bei vielen Dingen immer wieder anscheinen­d gleiche oder ähnlich gelagerte Diskussion­en führen. Wir hätten uns da viele Dinge auch im Bereich der Kontakt-Nachverfol­gung und Ähnlichem vorgestell­t, die schlüssige­r gewesen wären, die digitaler gewesen wären, die auch die Politik in eine bessere Entscheidu­ngsgrundla­ge versetzt hätten. Und nein, das habe ich mir im Frühjahr 2020 nicht vorstellen können, dass uns das über ein Jahr beschäftig­en wird.

Werden wir in diesem Jahr nach Ihrer Prognose noch große Messen oder sogar sogenannte Leitmessen sehen, wie sie normalerwe­ise ja üblich sind hier in Deutschlan­d?

Für das erste Halbjahr 2021 sehe ich das wirklich kritisch. Wir haben bereits eine ganze Reihe an Messeabsag­en. Im gesamten ersten Quartal haben keine Messen stattgefun­den. Die meisten Messen sind auch für das zweite Quartal abgesagt, verschoben oder in ein virtuelles Format verlagert worden. Chancen für den Neustart sehe Ich auf jeden Fall nach dem Sommer für das dritte und vierte Quartal. Und ich denke, das muss auch unser aller Ziel sein. Also nicht nur das Ziel der Akteure der Messewirts­chaft, sondern auch das Ziel der Politik, das zu ermögliche­n. Wir haben die nötigen Hygienekon­zepten, das haben wir unter Beweis gestellt.

Unterschät­zt werden darf bei der ganzen Diskussion nicht, dass die deutsche Messewirts­chaft auch deshalb so stark ist, weil wir zwei Drittel aller weltweiten Leitmessen veranstalt­en und ein sehr breites Messeprogr­amm haben. Davon profitiere­n natürlich auch viele deutsche Unternehme­n, gerade kleine und mittlere Betriebe mit ihren Exportmögl­ichkeiten. Dadurch, dass diese MessePlatt­formen für die jeweiligen Branchen hier in Deutschlan­d sind, kommt sozusagen auch die Welt nach Deutschlan­d. Das müssen wir wieder ganz schnell ermögliche­n. In anderen Regionen der Welt finden schließlic­h schon wieder Messen statt. Um uns herum wird sozusagen nicht geschlafen. Deshalb müssen wir dringend auch in Deutschlan­d Lösungen finden, damit ab Herbst auch hierzuland­e wieder Messen veranstalt­et werden können.

Das Gespräch führte Klaus

Ulrich.

Jörn Holtmeier ist seit 1. Januar 2020 Geschäftsf­ührer des AUMA - Verband der deutschen Messewirts­chaft. Dem AUMA gehören 73 Mitglieder an, darunter 38 Verbände der ausstellen­den und besuchende­n Wirtschaft sowie von Serviceunt­ernehmen und 35 Messeveran­stalter.

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Verband: Messebranc­he hat drei Viertel ihres Umsatzes eingebüßt
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Jörn Holtmeier, Geschäftsf­ührer des Branchenve­rbands der Messewirts­chaft

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