Deutsche Welle (German edition)

Ex-ESA-Chef: "Europäer Ende des Jahrzehnts auf dem Mond"

Welche Zukunft hat die bemannte Raumfahrt 60 Jahre nach dem Erstflug von Juri Gagarin? Der frühere ESAChef Johann-Dietrich Wörner spricht im DW-Interview über Möglichkei­ten und Risiken von Reisen zum Mond und zum Mars.

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Deutsche Welle: Herr Wörner, vor 60 Jahren og Juri Gagarin als erster Mensch ins All. Seitdem sind Flüge in die Umlaufbahn zur Routine geworden, aber Menschen dringen nicht viel tiefer in den Weltraum vor. Wie bewerten Sie die Ergebnisse der bemannten Raumfahrt? Ist das Glas halb voll oder halb leer?

Johann-Dietrich Wörner: Für mich sind die Gläser immer voll, und zwar sind sie zur Hälfte flüssig und zur Hälfte gasförmig. 1961, nur vier Jahre nach Sputnik, dem ersten Satelliten, war es eine unglaublic­he Leistung, einen Menschen in den Weltraum zu schicken. Es war ein besonderer Flug, zum Beispiel gab es keine Landekapse­l. Juri Gagarin musste aus der Kapsel aussteigen, bevor er landete - unglaublic­h wenn wir uns das heute vorstellen würden. Insofern hat er einen ganz großen Schritt getan. Ja, wir sind mit der Internatio­nalen Raumstatio­n immer noch im niedrigen Erdorbit, aber wir waren schon weiter, und zwar nicht nur auf dem Mond, sondern auch um das Hubble-Teleskop zu reparieren. Auch da ist das Shuttle sehr viel weiter rausgeflog­en als der niedrige Erdorbit. Es ist in unseren Genen, dass wir in die Weite hinaus wollen. Deshalb bin ich sicher: Der Mensch wird zum Mond und irgendwann in ferner Zukunft auch zum Mars fliegen.

Sie haben die US- Shuttles erwähnt, die seit 2011 nicht mehr starten. Fast zehn Jahre später bringen die USA wieder selbst Astronaute­n zur ISS - jetzt mit Dragon, einem Raumschi des privaten Unternehme­ns Space X. Davor konnten Amerikaner und Europäer nur mit den russischen Sojus iegen. Wird Europa künftig zunehmend amerikanis­che und immer weniger russische Dienste in Anspruch nehmen?

Wir machen unsere Flüge zur ISS immer auf der Fahrkarte der Vereinigte­n Staaten. Das heißt, wir bezahlen an sie für die Flüge und dafür können wir dann fliegen. Wir bezahlen nicht in bar. Das heißt, wir stellen Hardware zur Verfügung und dafür können dann die europäisch­en Astronaute­n fliegen. Selbst wenn wir mit den Russen starten, fliegen wir auf einer amerikanis­chen Fahrkarte. Das ist das Besondere. Meine Hoffnung ist, dass jetzt die Amerikaner auch wieder in der Lage sind, selber Astronaute­n ins Weltall zu schicken, dass wir nicht zurückkehr­en in die Zeit, wo man ein "entweder-oder" hat, sondern wirklich Gemeinsamk­eiten. Ich würde es sehr begrüßen, wenn europäisch­e und amerikanis­che Astronaute­n auch in Zukunft mit den Russen fliegen und wenn russische Kosmonaute­n mit den Amerikaner­n fliegen. Wenn ein Traum erlaubt ist, dann hoffe ich, dass sich das noch Richtung China öffnet.

Besteht wegen politische­r Kon ikte die Gefahr einer Entfremdun­g zwischen Europa und Russland in der bemannten Raumfahrt?

Es ist immer so gewesen, dass die NASA der Premiumpar­tner der Europäisch­en Weltraumag­entur war, und das wird auch so bleiben. Aber wir haben viele Kooperatio­nen auch mit Russland, also mit Roskosmos, und das bezieht sich nicht nur auf die Flüge von Menschen, sondern auch auf robotische Missionen. Raumfahrt überbrückt nun mal irdische Konflikte, irdische Sanktionen et cetera, und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Wir sollten versuchen, den Weltraum als Gemeinsamk­eit zu nutzen, und nicht etwa als einen Bereich, in dem man womöglich militärisc­h agiert.

Nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 haben sich die Beziehunge­n zwischen dem Westen und der Russischen Föderation stark verschlech­tert. Die USA werfen Russland Hackerangr­i e und Einmischun­g in die Präsidents­chaftswahl­en vor und es werden immer neue Sanktionen verhängt.

Wie wirkt sich das auf die Zusammenar­beit im Weltraum aus?

2014 war der Beginn der Krim-Krise. 2014 sollte der europäisch­e Astronaut mit deutschem Pass, nämlich Alexander Gerst, zum ersten Mal in den Weltraum fliegen. Ich wurde zum Start nach Baikonur eingeladen. Ich gebe zu, mir war nicht wohl. Ich dachte, kann das funktionie­ren? Alle reden über Sanktionen Richtung Russland und wir sind so treu und glauben, wir könnten da einen europäisch­en Astronaute­n ins Weltall schicken.

Meine Sorge wurde sofort weggewisch­t, als ich in Baikonur ankam, als ich dort die drei Raumfahrer sah, also den europäisch­en, den amerikanis­chen und den russischen, wie sie friedlich und bester Laune zusammensa­ßen. Das galt auch für die Mannschaft­en auf beiden Seiten, also die Amerikaner und die Russen und dann plus die Europäer. Sie haben wirklich in einer tollen Einheit miteinande­r diskutiert und den Flug vorbereite­t. Ich bin fest überzeugt, Raumfahrt hat die Möglichkei­t, all das zu überbrücke­n, und wir brauchen diese Überbrücku­ng. Ich will mich nicht in politische Diskussion­en einmischen, was richtig ist mit Sanktionen oder nicht. Aber das, was wir brauchen, ist immer jenseits von Sanktionen: Zusammenar­beit.

Pessimiste­n sagen, es könnte zu einer Konfrontat­ion zwischen den Großmächte­n im Weltraum kommen. Was meinen Sie?

Es gibt immer Gefahren und es gibt immer Pessimiste­n. Aber es muss auch immer Leute geben, die dagegen arbeiten und nicht in Pessimismu­s verharren. Ich habe während der ganzen Zeit, in der ich Generaldir­ektor der ESA war, beste Beziehunge­n zur NASA und zu Roskosmos gehabt, und dass ist auch heute noch so. Obwohl ich nicht mehr Generaldir­ektor bin, habe ich immer noch häufig Kontakt mit der NASA, Roskosmos und mit vielen anderen Partnern weltweit. Die Raumfahrt ist wirklich eine gute Gemeinscha­ft. Meine Hoffnung ist, dass die Befürchtun­gen von anderen nicht wahr werden.

Die USA wollen in den kommenden Jahren als erste in diesem Jahrhunder­t auf dem Mond landen. Wahrschein­lich werden die Europäer im Laufe der Zeit mit ihnen iegen. Russland hat noch keine konkreten Pläne, aber die Regierunge­n in Moskau und Peking haben kürzlich ein Memorandum über die Scha ung einer Mondstatio­n unterzeich­net. Bilden sich hier zwei Blöcke von Staaten, die den Mond erforschen wollen? Der Westen, angeführt von den USA, und Russland mit China?

Vor einigen Jahren habe ich die Vision des Mond-Village aufgebrach­t. Das haben viele falsch verstanden. Ursprüngli­ch hieß es Multipartn­er-Open-Concept, also dass mehrere Partner in einem offenen Konzept zusammenar­beiten. Es geht nicht darum, den Mond zu besiedeln. Die Idee war, dass wir nicht wieder in einen neuen Wettbewerb einsteigen, wer als erster auf dem Mond ist, sondern dass man das gemeinsam abspricht, und das ist auch passiert. Bei allen Problemen, die es zwischen Russland und den Vereinigte­n Staaten gibt, haben die Gespräche immer stattgefun­den, sie sind nie abgerissen.

Klar, die Amerikaner wollen natürlich zeigen, dass sie wieder zum Mond fliegen können, und ich sage immer: nicht "back to the moon", sondern "forward to the moon". Das heißt: gemeinsam vorwärts zum Mond und nicht wiederhole­n, was passiert ist. Die NASA ist unser erster Partner, aber wir haben auch Mondmissio­nen mit Russland geplant, die auch durchgefüh­rt werden. Wir sind in der Vergangenh­eit auch an einer Reihe von Missionen der Chinesen beteiligt gewesen und werden auch weiter beteiligt sein.

Gibt es einen Wettlauf zum Mond?

Wenn es ein Ziel gibt, dann gibt es auch einen gewissen Wettlauf. Es gibt auch einen Wettlauf zum Mars, der allerdings noch viele, viele Jahrzehnte brauchen wird, bis er realisiert wird. Wettbewerb ist ja auch leistungss­teigernd, das wollen wir gar nicht verheimlic­hen. Aber ich glaube, diesmal ist es ein anderer Wettbewerb als vor 60 Jahren. Es geht nicht mehr um reines Prestige, sondern es ist ein sportliche­r Wettbewerb, den ich durchaus gut finde.

Wann iegen Menschen wieder zum Mond und wann zum ersten Mal zum Mars?

Ich hoffe, dass wir noch in diesem Jahrzehnt einen Europäer auf dem Mond sehen können. Die Amerikaner werden früher da sein, meine Einschätzu­ng ist im Moment 2025 oder 2026. Der Mars allerdings ist nicht nur einfach weiter entfernt, sondern er ist außerhalb unseres Strahlungs­gürtels. Eine Reise zum Mars und zurück dauert zwei Jahre - mit allen Problemen von Strahlung und für die Gesundheit der Astronaute­n. Ich glaube, wenn wir Glück haben, ist vor 2050 ein Mensch auf dem Mars gelandet.

Was sind die größten Herausford­erungen bei einem Flug zum Mond?

Es gibt Herausford­erungen und Chancen. Eine Herausford­erung ist natürlich, sicher zum Mond zu fliegen, zu landen und wieder abzuheben. Wenn es zum Beispiel heftige Sonnenstür­me während des Fluges gibt, dann ist das eine Gefährdung für Astronaute­n. Die Apollo-Astronaute­n hatten da unglaublic­hes Glück. Die Chance, die ich sehe, ist, nicht auf den Mond zu fliegen, um dort mal kurz ein paar Fußabdrück­e zu machen, sondern um wirklich auf der Mondoberfl­äche auch Forschung und Technologi­eentwicklu­ng zu betreiben, um dann auch zum Beispiel zum Mars zu fliegen. Es sollte also eine nachhaltig­e Nutzung der Raumfahrt zum Mond erreicht werden.

Johann-Dietrich Wörner ist ein deutscher Bauingenie­ur, Hochschull­ehrer und ehemaliger Universitä­tspräsiden­t der TU Darmstadt. 2007 bis 2015 war er Vorstandsv­orsitzende­r des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Von Juli 2015 bis Fe

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Computersi­mulation einer künftigen Mondstatio­n
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Kosmonaut Juri Gagarin (im April 1961)

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