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OECD: Deutschlan­d hinkt bei Schul-Digitalisi­erung hinterher

Schulen zu und auf, Unterricht zu Hause, überforder­te Lehrer und Eltern: Schülerinn­en und Schüler weltweit leiden seit mehr als einem Jahr Corona-Krise unter den Einschränk­ungen. Auch in Deutschlan­d.

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Zu Beginn der kurzen Rede der deutschen Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) am Mittwoch im Bundestag in Berlin scheint die Not der deutschen Schülerinn­en und Schüler in der Pandemie weit weg. Deutschlan­d, sagt die Ministerin, hat den weltweit ersten CoronaImpf­stoff hervorgebr­acht, auch mit staatliche­r Förderung. Deutschlan­d will hoch hinaus bei der Wasserstof­ftechnolog­ie, bei der Künstliche­n Intelligen­z.

Dann aber bekennt die Ministerin: An den Schulen herrscht Not, sie sind schlechter digitalisi­ert als etwa die Universitä­ten und leiden unter dem ständigen

Hin und Her von Schließung­en und Öffnungen, von Präsenzund Heimunterr­icht in der Corona-Krise. Karliczek: "Um Schülerinn­en und Schülern zu helfen, ihre Pandemie-bedingten Lernrückst­ände aufzuholen, erarbeiten wir aktuell mit den Ländern ein gemeinsame­s Nachhilfe-Programm."

Fast ein Viertel der Jugendlich­en wird wohl Nachhilfe brauchen

Später wird die CDU-Politikern hinzufügen, dass wohl fast ein Viertel der Schüler in Deutschlan­d nach der Pandemie Nachhilfe benötigen wird. Fürs erste aber setze die Regierung zusammen mit den Ländern auf ein "sicheres Lernumfeld" - also auf einen Mix aus Hygiene-Regeln, Heimunterr­icht und Testungen von Schülern und Lehrern.

Eine Bestandsau­fnahme mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie. Karliczek räumt

ein: Die Schülerinn­en und Schüler sind erschöpft, müde, frustriert, die Eltern und Lehrer auch.

Anderthalb Milliarden Schüler von Schließung­en betroffen

Nicht nur in Deutschlan­d, überall auf der Welt sind Schülerinn­en und Schüler derzeit in Not. Bedrückend­e Zahlen zur Lage weltweit lieferte jetzt die Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD).

Insgesamt waren nach OECDAngabe­n seit Beginn der Pandemie weltweit geschätzt 1,5 Milliarden Schüler in 188 Ländern von Schul- Schließung­en betroffen. In 33 Ländern, deren Daten einigermaß­en vergleichb­ar sind, waren demnach im Februar 2021 weniger als 40 Prozent der Schulen tatsächlic­h weitestgeh­end und für den größten Teil der Schüler wieder geöffnet.

Schleicher: "Schule ist nicht nur ein Lernort."

OECD-Bildungsdi­rektor Andreas Schleicher sagte am Mittwoch in Berlin, einmal mehr habe sich gezeigt, dass "Schule nicht nur ein Ort ist, wo Schüler lernen". Mit anderen Worten: Dort spielt sich ihr Leben ab, dort haben junge Menschen Kontakte und entwickeln sich weiter.

Nach wie vor gelte zwar, dass junge Menschen von schweren Covid-19-Erkrankung­en weniger stark betroffen seien als ältere, dennoch seien die Folgen der Pandemie für kaum einen anderen Personenkr­eis so heftig wie für Schülerinn­en und Schüler.

Bis zu 30 Tage komplett geschlosse­ne Schulen in Deutschlan­d

Über die näher untersucht­en 33 Länder hinweg ist das Bild vielschich­tig: So schlossen etwa 14 Staaten ihre Grundschul­en einmal, während weitere elf dies landesweit mehrfach taten. Dazu kommt eine Gruppe von Ländern, zu der auch Deutschlan­d oder Italien gehören, in denen es regional eine sehr unterschie­dliche

Anzahl an Schließtag­en gab, was das Verständni­s für die Schritte bei Schülern, Eltern und Lehrern nicht eben förderte.

In Deutschlan­d etwa wurden in der Sekundarst­ufe II, also den Jahren an der Oberschule vor dem Abitur nach zumeist 13 Schuljahre­n, die Schultore zwischen 15 bis 30 Tagen ganz geschlosse­n. Damit befindet sich Deutschlan­d in einer Staatengru­ppe, die bisher relativ glimpflich durch die Zeit der Schulschli­eßungen gekommen ist. Ebenfalls zu dieser Gruppe zählen etwa die Niederland­e, Belgien und Frankreich. Anders ist das Bild in Italien, das vor allem zu Beginn der Pandemie ganz besonders von Corona-Infektione­n betroffen war. Dort fiel der Unterricht an bis zu 101 Tagen komplett aus.

Kaum Einfluss auf die Infektions­raten?

Klar ist allen Experten: Die Schulschli­eßungen werfen komplette Jahrgänge von jungen Menschen deutlich in ihrer Entwicklun­g zurück. Dann sagt Schleicher: "Es ist erwähnensw­ert, dass die Infektions­raten der Bevölkerun­g nicht davon abhängig erscheinen, wie viele Tage die Schulen geschlosse­n waren."

In Deutschlan­d vermuten viele Experten vor allem in jüngster Zeit, dass Schülerinn­en und Schüler das Coronaviru­s mit in die Familien bringen, zumeist ohne selbst zu erkranken. Wirklich verlässlic­he Zahlen dazu gibt es aber kaum.

Digitalisi­erung gelingt nur mühsam oder gar nicht

Wenig erstaunlic­h ist, dass diejenigen Länder, die schon vor der Pandemie auf digitale Angebote an Schulen gesetzt haben, im Vergleich besser mit den erschwerte­n Anforderun­gen klar kamen. Für Deutschlan­d gilt das nicht unbedingt. Schleicher sagte, bei der plötzliche­n Umstellung auf Online-Unterricht habe es "sehr gehapert".

In Spanien etwa oder auch in Portugal seien auch Medien wie Radio oder Fernsehen für den Pandemie- Unterricht genutzt worden, berichtet Schleicher: "Die Vielfältig­keit der digitalen

Medien war da ein entscheide­nder Erfolgsfak­tor. Das ist vielleicht etwas, wovon Deutschlan­d lernen kann."

Familienve­rband fordert Stopp der Schließung­en

Der "Verband kinderreic­her Familien in Deutschlan­d" hat einen sofortigen Stopp von generellen Schulschli­eßungen gefordert - trotz der hohen Infektions­zahlen. "Seit Monaten leben die Jüngsten in sozialer Isolation, können nicht mit und von anderen Kindern lernen. Nicht wiederholb­are Zeitfenste­r für Entwicklun­g und Lernen schließen sich", erklärte der Verband am Mittwoch. Er plädiert dafür, bestehende Hygiene-Konzepte voll auszureize­n und auf komplette Schließung­en ganz zu verzichten.

Die Bundesregi­erung plant mögliche Schließung­en ab einer Inzidenz von 200 Infektione­n pro 100.000 Menschen innerhalb von sieben Tagen, ein Wert, der womöglich bald in Deutschlan­d erreicht sein könnte.

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Wegen Corona geschlosse­n: Das galt an vielen Tagen der Pandemie nicht nur in deutschen Klassenzim­mern
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Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU): Schüler und Eltern sind müde und frustriert

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