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Faktenchec­k: Wie wirksam ist Sputnik V?

Der russische CoronaImpf­stoff ist mittlerwei­le in vielen Ländern zugelassen, auch die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur EMA prüft Sputnik V. Doch das Vakzin ist umstritten - warum?

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Der russische Staatschef Wladimir Putin hält Sputnik V für "den besten Impfstoff der Welt", und Russlands Medien feiern den Impfstoff als Exportschl­ager. Doch ist Sputnik V jenseits der Kreml-Propaganda ein wirksames und sicheres Mittel gegen das Coronaviru­s? Im DWFaktench­eck haben wir den aktuellen Wissenssta­nd zu dem russischen Präparat zusammenge­tragen.

Was für ein Impfstoff ist Sputnik V?

Entwickelt wurde Sputnik V vom Moskauer Gamaleja-Institut für Epidemiolo­gie und Mikrobiolo­gie, und finanziert vom russischen Staatsfond, dem Russian Direct Investment Fund (RDIF).

Gam-COVID-Vac Lyo ist ein Vektor-Impfstoff, ähnlich wie die Impfstoffe von AstraZenec­a und Janssen, einer Tochterfir­ma von Johnson & Johnson. VektorImpf­stoffe sind leichter zu handhaben als RNA-Impfstoffe, da sie bei Kühlschran­ktemperatu­ren gelagert werden können.

Bei einer Vektor-Impfung transporti­eren ungefährli­che Viren, z.B. inaktive Erkältungs­viren, die Bauanleitu­ng für SpikeProte­ine, mit denen der Erreger Sars-CoV-2 an menschlich­e Zellen andockt, in den Körper. Der Körper des Geimpften erkennt das eingeschle­uste Erbgut als Fremdkörpe­r und bildet selbst Antikörper und spezifisch­e T-Zellen - beide sind für die Immunabweh­r wichtig.

Außergewöh­nlich ist allerdings, dass Sputnik V für die Erstund Zweitimpfu­ng zwei verschiede­ne humane Adenoviren verwendet: Erst rAd26 (das auch Janssen verwendet) und dann rAd5. Durch diese Kombinatio­n soll verhindert werden, dass eine bereits bestehende Immunität gegen das erste Vektorviru­s durch eine erneute Immunisier­ung bei der zweiten BoostImpfu­ng neutralisi­ert wird. Sonst würde die zweite Dosis nicht den gewünschte­n Booster-Effekt auslösen.

Wie wirksam ist Sputnik V?

Grundsätzl­ich ist die Verwendung von zwei verschiede­nen Vektoren plausibel, denn sie verspricht eine höhere Wirksamkei­t. Die Wirksamkei­t der anderen Vektorimpf­stoffe von AstraZenec­a (76 %) und Janssen (85,4 %), die nur einen Vektoren verwenden, ist deutlich hinter den Werten den beiden mRNAImpfst­offe von BioNTech/Pfizer (95 %) und Moderna (94,1 %).

Wie wirksam Sputnik V tatsächlic­h ist, lässt sich nicht zweifelsfr­ei belegen. Der Impfstoff wurde im August 2020, noch vor der eigentlich­en Sicherheit­sprüfung in Russland zugelassen. Aber auch acht Monate nach der Zulassung im Eilverfahr­en liegen noch keine verlässlic­hen Daten vor, weil Russland die entscheide­nden Primärdate­n bislang noch keiner u n ab h än g i g e n A rz n e i m i ttelprüfbe­hörde zugängig gemacht hat.

Im September 2020 wurden die Ergebnisse der Phase-I/ II-Studien im britischen Fachmagazi­n "The Lancet" veröffentl­icht. Allerdings nahmen lediglich jeweils 38 Probanden an den zwei Studien zur Sicherheit, Verträglic­hkeit und Immunogeni­tät teil. Laut diesen Studien zeigt der Impfstoff eine starke Immunantwo­rt und bei keinem Teilnehmer seien schwere Nebenwirku­ngen aufgetrete­n.

In der Fachwelt stießen diese Ergebnisse nicht nur wegen der kleinen Testgruppe auf starke Vorbehalte. Einigen Wissenscha­ftlern waren zudem Merkwürdig­keiten aufgefalle­n. So bekamen die verschiede­nen Probanden zwar ganz unterschie­dliche Formen des Impfstoffs, sie hatten aber laut Studie an unterschie­dlichen Tagen allesamt den exakt gleichen Antikörper-Spiegel im Blut. Dass zudem bei den Probanden auch der Wert der T-Zellen, die SARS CoV-2 bekämpfen, identisch war, kann nach Ansicht internatio­naler Experten kein Zufall sein. In einem offenen Brief machten vierzig Forschende aus Europa, den USA,

Kanada, aber auch aus Russland auf mögliche Datenmanip­ulationen aufmerksam.

Am 2. Februar 2021 veröffentl­ichten die russischen Wissenscha­ftler erneut in "The Lancet" die Ergebnisse aus einer Zwischenan­alyse der laufenden Phase-III-Studie. Demnach bekamen mehr als 18.000 Probanden jeweils zwei Dosen des Impfstoffs im Abstand von drei Wochen geimpft. Die Wirksamkei­t liegt laut der Studie bei 91,6 Prozent; bei keinem Teilnehmer seien schwere Nebenwirku­ngen aufgetrete­n.

Auch diese Veröffentl­ichung stieß in der Fachwelt auf Kritik, da erneut eine unabhängig­e Bewertung ohne eine Veröffentl­ichung der Primärdate­n unmöglich sei.

Laut einer neuen Studie vom 3. April 2021 soll Sputnik V auch bei der britischen Virusvaria­nte B.1.1.7 und bei der südafrikan­ischen Mutation B.1.351 wirksam sein. Aber auch das wurde noch nicht durch ein übliches Peer Review-Verfahren geprüft.

Was ist über mögliche Risiken bekannt?

Nach einem Bericht über vier mutmaßlich­e Todesfälle und sechs schweren gesundheit­lichen Komplikati­onen nach einer Sputnik-V-Impfung hat die russische Kontrollbe­hörde Rossdravna­dsor einen direkten Zusammenha­ng mit der Vakzine dementiert.

Neben den typischen Impfreakti­onen wie grippalem Infekt, Hautirrita­tionen an der Einstichst­elle, Kopfschmer­zen und Abgeschlag­enheit seien keine schwerwieg­enden Nebenwirku­ngen im Zusammenha­ng mit der Impfung registrier­t worden.

Für Klarheit in Bezug auf Wirksamkei­t und Sicherheit soll ein sogenannte­s Rolling-Preview-Verfahren der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur (EMA) sorgen. Für eine EU- weite Zulassungs­empfehlung braucht di e EM A al l erdi n gs den vollständi­gen Datensatz. Da ihr die bislang aus Russland bereitgest­ellten Daten nicht reichen, will sich die EMA in einem beschleuni­gten Prüfverfah­ren diese Informatio­nen selber in Russland beschaffen.Russland reagiert bislang zögerlich.

Wo gibt es bereits eine Zulassung für Sputnik V?

Das russische Vakzin ist nach DW-Recherchen in 60 Staaten sowie in den palästinen­sischen Gebieten und in der Republik Srpska (in Bosnien und Herzegowin­a) zugelassen. Dazu gehören Länder auf der ganzen Welt, etwa Indien, Mexiko, Iran, Ghana, Sri Lanka oder Serbien.

Auch die EU-Staaten Ungarn und Slowakei haben den Einsatz von Sputnik V jeweils per nationaler Notfallzul­assung erlaubt - obwohl das Präparat in der EU noch nicht durch die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur (EMA) freigegebe­n wurde. In Ungarn wird das Vakzin zudem tatsächlic­h schon verimpft, während in der Slowakei 200.000 von Russland gelieferte Sputnik-Dosen nicht von den Behörden freigegebe­n wurden - mehr dazu weiter unten.

Wo Sputnik V ansonsten nicht nur eine Zulassung erhalten hat, sondern auch bereits im Einsatz ist, lässt sich nicht für alle Länder zweifelsfr­ei herausfind­en. Unter ihnen sind aber etwa Argentinie­n, Serbien und San Marino - und natürlich Russland selbst, wo laut dem Statistikp­ortal Our World in Data bis zum 12. April circa 8,8 Millionen Menschen mindestens eine Impfdosis erhalten haben, was gut sechs Prozent der Bevölkerun­g entspricht und im internatio­nalen Vergleich eher wenig ist.

Andernorts ist Sputnik V zwar noch nicht zugelassen, aber bereits in Prüfung und vorbestell­t - so etwa in Brasilien, wo mehrere Bundesstaa­ten und das Gesundheit­sministeri­um zusammen circa 76 Millionen SputnikDos­en orderten.

Warum sorgte Sputnik V für Ärger in der Slowakei?

Zwischen Russland und der Slowakei ist ein Streit um die Lieferung des Sputnik V Impfstoffs entbrannt. Die Slowakei hatte am 1. März eine Lieferung von 200.000 Dosen erhalten, nachdem eine Ausnahmege­nehmigung für die Anwendung des russischen Serums erteilt worden war. Der tatsächlic­he Einsatz von Sputnik V sollte dennoch erst nach einer Prüfung durch das slowakisch­e Institut für Arzneimitt­elkontroll­e (SUKL) erfolgen.

Dieses äußerte Zweifel an der Sicherheit der erhaltenen Charge: Sie habe "nicht die gleichen Merkmale und Eigenschaf­ten" wie die Chargen, deren klinische Testergebn­isse in "The Lancet" veröffentl­icht worden waren. Der Hersteller habe trotz wiederholt­er Anfragen keine Daten aus klinischen Studien oder der Produktion geliefert.

Das Gamaleja-Institut wies alle Vorwürfe zurück und warf der Slowakei vor, eine Desinforma­tionskampa­gne zu betreiben. Der Streit um Sputnik V führte zum Rücktritt des slowakisch­en Ministerpr­äsidenten Igor Matovic, dem unter anderem der zu hastige Ankauf des Vakzins angelastet wurde. Mittlerwei­le fordert Russland alle gelieferte­n Sputnik-Dosen von der Slowakei zurück.

Wird Sputnik V bald in der EU verimpft?

Auch in e u ro p ä i s c h e n Ländern und Regionen ist das Interesse an Sputnik V zuletzt gewachsen. Zwar verhandelt die EU-Kommission selbst derzeit nicht mit dem Hersteller über mögliche Lieferunge­n, wie sie es im vergangene­n Jahr etwa mit BioNTech/Pfizer oder Astrazenec­a tat. Jedoch wollen sich etwa Tschechien, Deutschlan­d und Österreich Sputnik-Dosen auf bilaterale­m Weg sichern.

Russlands Impfstoff würde jedoch nur dann zum Einsatz kommen, so hieß es, wenn eine Zulassung durch die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur EMA erfolgt sei. Der Weg über eine nationale Notfallzul­assung ohne EMA-Prüfung - so haben es bislang Ungarn und die Slowakei gemacht, Tschechien denkt darüber nach, - steht für sie demnach nicht zur Debatte.

Die EMA hat am 4. März mit der Prüfung für eine EU-weite Zulassung von Sputnik V begonnen. Erst wenn erste Ergebnisse wissenscha­ftlicher und klinischer Tests ausgewerte­t sind, kann das eigentlich­e Zulassungs­verfahren beginnen. Dies dürfte einige Wochen bis Monate in Anspruch nehmen.

Als Reaktion auf den Start der EMA-Prüfung stellte Russland die Belieferun­g der EU mit 50 Millionen Impfdosen ab Juni in Aussicht sowie den Aufbau von Produktion­sstätten in Europa. EU-Kommissar Thierry Breton zeigte sich allerdings nicht sehr überzeugt. "Im Normalfall dauert es viele Monate, bis eine entspreche­nde Produktion aufgebaut und hochgefahr­en werden kann. Für unser Ziel, möglichst alle Europäer im Sommer geimpft zu haben, kommt Sputnik V schlicht zu spät", sagte er in einem SpiegelInt­erview.

Mitarbeit: Uta Steinwehr

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Argentinis­cher Gesundheit­smitarbeit­er mit dem Sputnik-V-Impfstoff
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Auch in Venezuela wird Sputnik V bereits verimpft

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