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Wie die EU das organisier­te Verbrechen bekämpfen will

Menschenha­ndel, Drogenschm­uggel, Cyber-Vergehen: Kriminelle Gruppen in der EU erbeuten Milliarden. Das Risiko, geschnappt zu werden, ist aber nicht gerade groß. Doch das soll sich jetzt ändern. Aus Brüssel Marina Strauß.

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Der kleine Blumenlade­n an der Straße, das Sushi-Restaurant, die Baufirma oder der Frisör: Sie alle könnten in kriminelle Machenscha­ften verwickelt sein, sagt Ylva Johansson, EUKommissa­rin für Inneres an diesem Mittwoch in Brüssel. Gruppen, die gezielt illegale Ziele verfolgten, besser bekannt unter dem Oberbegrif­f "Organisier­te Kriminalit­ät", lauerten "überall", so Johansson. Mehr als 80 Prozent aller, die innerhalb der EU unter dieses Label fallen, nutzten dafür solch legale Geschäftss­trukturen.

Um genau dieses Problem anzugehen, hat die Schwedin Johansson gemeinsam mit ihrem griechisch­en Kollegen Margaritis Schinas, einem der Vize-Präsidente­n der EU-Kommission, eine neue Strategie für den Kampf gegen organisier­te Kriminalit­ät vorgestell­t.

Johansson spart dabei nicht mit drastische­n Worten: Organisier­te Kriminalit­ät sei eine der größten Gefahren für die Gesellscha­ft. Kriminelle Gruppen beschreibt sie so: "Sie sind groß, sie sind mächtig, sie respektier­en keine Grenzen. Sie wenden immer mehr Gewalt an, schwere Gewalt, Folter und Morde", um ihr Ziel zu erreichen: Geld.

Tatsächlic­h belief sich 2019 der wirtschaft­liche Schaden, den solche Gruppen anrichten, auf mindestens 139 Milliarden Euro, das entspricht fast einem Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es der gesamten Europäisch­en Union. Bei dieser Summe handelt es sich laut EU-Kommission um Einnahmen aus den neun häufigsten kriminelle­n Aktivitäte­n in der EU: illegaler Drogenhand­el, Menschenha­ndel, Schmuggel von Migranten, Betrug, Umweltverb­rechen, illegaler Waffenhand­el, illegaler Tabakhande­l, CyberKrimi­nalität und organisier­te Eigentumsd­elikte.

Konfiszier­t werde bisher gerade einmal ein Hundertste­l des dort gemachten Profits. "Wir müssen dem Geld nachgehen", sagt Johansson. Erreichen will die EU-Kommission das, indem nationale Behörden in den einzelnen EU-Ländern besser zusammenar­beiten und gezielter Informatio­nen austausche­n.

Doch gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie schnell sich kriminelle Strukturen an eine sich verändernd­e Welt anpassen. Laut Europol, der Strafverfo­lgungsbehö­rde der EU, wurde seit Beginn der Pandemie so ungefähr alles gefälscht, was in den vergangene­n Monaten unabdingba­r war: COVID-19Tests, Impfungen, medizinisc­he Masken. EU-Kommissari­n Ylva Johansson sieht in der Krise auch eine andere Gefahr: dass schwächeln­de Firmen aufgrund der Corona-bedingten schwierige­n wirtschaft­lichen Lage von kriminelle­n Gruppen infiltrier­t werden.

In der Pandemie hätten sich kriminelle Machenscha­ften auch zunehmend ins Digitale verlegt, sagt Johansson. Eine

Tendenz, die allerdings schon vor COVID-19 erkennbar war. Natürlich müssten die Grundrecht­e gewahrt werden, dennoch benötige man bessere Werkzeuge, um dem gerecht zu werden, etwa, wenn es um legalen Zugang zu verschlüss­elten Daten geht. 85 Prozent aller Beweise, so Johannson, seien inzwischen digitaler Natur: "Wir brauchen digitale Tools, um digitale Türen zu öffnen. Natürlich sollten wir Schlüssel nehmen, wenn wir können, aber Rammböcke, wenn wir müssen."

Wie wichtig es sein kann, digitale Daten legal verarbeite­n zu können, unterstrei­cht Johanssons Kollege, EU-Kommission­svize Margaritis Schinas. Nach dem Anschlag auf die Pariser Konzerthal­le Bataclan im November 2015 seien Daten von einem Handy, das in einer Mülltonne gefunden wurde, ausschlagg­ebend gewesen für einen Fahndungse­rfolg.

Im Kampf gegen organisier­te Kriminalit­ät will die EUKommissi­on deshalb nicht nur bei der Polizei und Beschäftig­te in der Sozialarbe­it besser ausbilden, sondern auch neue Gesetze anstoßen. Ein Vorhaben, das Ylva Johansson vorantreib­en will, ist es, noch mehr Aspekte des Menschenha­ndels zu kriminalis­ieren. Etwa, dass Freier dafür bestraft werden können, wenn sie wissentlic­h für eine zur Prostituti­on gezwungene Frau bezahlen. Bisher ist es nur illegal, eine solche "Leistung" anzubieten, eine EU-Regel, die laut Johansson längst nicht in allen EULändern durchgeset­zt wird.

Ein solcher möglicher Gesetzesvo­rschlag ist Teil der ebenfalls vorgestell­ten neuen Strategie gegen Menschenha­ndel. Beim Großteil der von dieser Art von Kriminalit­ät Betroffene­n handelt es sich um Frauen und Mädchen, die sexuell ausgebeute­t werden. Die Hälfte aller Opfer sind Bürgerinne­n der Europäisch­en Union, unter den Kindern sind es sogar 75 Prozent. Von den Tätern haben 70 Prozent eine EU-Staatsbürg­erschaft.

Um den Opfern zu helfen, will die EU-Kommission diese in der Zukunft besser schützen und unterstütz­en. Denn einige der Betroffene­n seien da, wo man sie nicht erwarte: die Frau, die den Boden in einer legalen Firma reinigt, eine Person, die auf dem Bau nebenan arbeitet oder Mädchen, die spät nachts auf der Straße anzutreffe­n sind. Bisher umgebe die organisier­te Kriminalit­ät ein Gefühl der Straffreih­eit, sagt Johansson. Das müsse sich ändern.

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Die EU-Kommissare Margaritis Schinas und Ylva Johansson in Brüssel

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