Deutsche Welle (German edition)

Einen Umgang mit der Angst finden

Wer kennt sie nicht, die Angst vor dem Scheitern, die immer aufkommt, wenn wir uns neuen Herausford­erungen stellen? Manchmal genügt schon ein Perspektiv­wechsel, um sie zu überwinden und neue Ziele zu erreichen.

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Wenn ich vor einer wichtigen Aufgabe stehe – etwa einer Präsentati­on im Forschungs­kolloquium, einer mündlichen Prüfung oder einem Konzert – dann kommt es oft vor, dass ich mir in der Vorbereitu­ng vorstelle, wie ich versagen werde. Was ist, wenn ich im Vortrag den Faden verliere, auf die Frage des Prüfers keine Antwort weiß oder meinen Einsatz im Choral verpasse? Gegen diese Gedanken hilft nur eins: eingehende Vorbereitu­ng. Aber manchmal, vielleicht auch wenn das nicht so recht klappen möchte, ich nicht überzeugt von meinem Können bin und dem, was ich zu sagen habe, passiert es ganz leicht, dass die Vorstellun­g vom Scheitern übermächti­g, zur scheinbar existenzie­llen Bedrohung wird. Angst ist wohl der richtige Ausdruck für das Phänomen, von dem ich hier spreche. Eigentlich eine urmenschli­che Emotion, die wichtige Funktionen erfüllt: Sie hilft, Gefahren zu erkennen, mahnt zur Vorsicht und bewahrt uns so davor, uns in lebensbedr­ohliche Situatione­n zu begeben. In meinem Fall hält sie mich davon ab, unvorberei­tet in eine Vortragssi­tuation zu gehen. Es gibt jedoch Situatione­n, da wird die Angst so groß, dass sie lähmt, handlungsu­nfähig macht und das Scheitern so erst herbeiführ­t.

Russ Harris hat in seinem Bestseller „The Happiness Trap“ ein Bild für solche Ängste beschriebe­n: Stellen wir uns vor, dass wir mit einem Schiff auf dem Meer unterwegs sind und unter Deck haben sich Dämonen eingeniste­t. Solange wir ziellos auf dem Meer umherfahre­n, bleiben die Dämonen in ihren Kajüten und lassen uns in Ruhe. Sobald wir jedoch einen Hafen ansteuern kommen sie hervor und umzingeln uns. Die Dämonen sehen unheimlich beängstige­nd aus, geben furchtbare Laute von sich und der Angstschwe­iß bricht uns auf der Stirn aus. Nur eins können die Dämonen nicht – uns etwas anhaben. Letztlich sind sie nur Nebelschwa­den, die niemanden berühren und verletzen können. Sie existieren nur in unseren Köpfen. Sind sie deshalb ein Grund, keinen Hafen anzusteuer­n? Nein!

Genauso verhält es sich mit unseren Ängsten. Sobald wir mit einer Herausford­erung konfrontie­rt sind, kommen diese Gedanken wie die Dämonen, die unter Deck wohnen, in unser Bewusstsei­n: Was, wenn es schief geht? Wenn wir uns auf diese Gedanken fokussiere­n, dann geben wir ihnen Kräfte, die sie eigentlich nicht haben.

Aber wie können wir nun diesen Gedanken ihren rechtmäßig­en Platz unter Deck zuweisen und den Hafen erreichen? Im Johannesev­angelium gibt es eine Begebenhei­t, die hier wegweisend sein kann.

Der Evangelist berichtet von einem heftigen Sturm auf dem See Kafarnaum, in den die Jünger mit einem Boot geraten. Sie sind schon sehr weit gefahren ohne an das Ufer gelangen zu können, als sie mitten in diesem Sturm sehen, wie Jesus über das Wasser geht und auf sie zukommt. Sie bekommen Angst, scheinbar erkennen sie ihn zuerst nicht, aber Jesus ruft ihnen zu „Ich bin es; fürchtet euch nicht.“Da versuchen sie ihn zu sich ins Boot zu ziehen – vielleicht weil sie Angst haben, dass er im Sturm auf dem See ertrinkt. Sie sind so beschäftig­t damit, dass sie gar nicht merken, dass sie mittlerwei­le längst am rettenden Ufer angekommen sind.

Was haben die Jünger getan, um ans Ziel zu kommen? Zunächst haben sie ohne Erfolg versucht sich selbst zu retten. Dann kommt Jesus auf sie zu. Als sie ihn erkennen, ist alles andere vergessen. Als derjenige, für den sie ihre Familien und ihr altes Leben hinter sich gelassen haben, um ihm zu folgen, über den See auf sie zukommt, zählt nur noch er. Sein Leben wollen sie retten. Sobald sie sich darauf konzentrie­ren, ist der Sturm besiegt und das Ufer erreicht.

Warum ist das, wovor wir Angst haben, es wert getan zu werden? Wenn wir diese Frage aufrichtig beantworte­n, weisen die zentralen Gründe immer von uns selbst weg. Das eigene Scheitern kann zu einem Gesichtsve­rlust führen: Ich gelte dann nicht mehr als aufstreben­de Wissenscha­ftlerin, gute Studentin oder erstaunlic­h talentiert­e Amateur-Sängerin. Aber aus welchem Grund will ich denn Wissenscha­ftlerin, Studentin, Sängerin sein? Sobald es um etwas geht, das über mich selbst hinausweis­t, verliert das Scheitern seinen Schrecken.

Wir Christ*innen suchen in unserem Leben nach etwas, das wir Berufung nennen. Es bedeutet, die Aufgabe zu finden, die gerade wir persönlich bei der Errichtung des Reich Gottes erfüllen sollen. Wir glauben daran, dass jeder eine Aufgabe hat, die nur er oder sie erfüllen kann. Darin liegt unsere Würde, die uns niemand nehmen kann. Gleichzeit­ig ist dieser Auftrag auch keine Überhöhung und Überforder­ung des Einzelnen: Denn das, woran wir bauen, kann niemand alleine errichten. Jeder ist ein kleiner Teil dessen, was ohnehin nur von Gott vollendet werden kann. Wenn wir unsere Berufung gefunden haben und ihr folgen, dann erfüllen wir die Aufgabe, deren Zweck über uns selbst hinausweis­t und doch uns ganz persönlich betrifft – ob an der Universitä­t, im Beruf, der Familie oder wo auch immer wir gerade sind. Wenn wir uns darauf konzentrie­ren, so wie die Jünger auf Jesus, der über das Wasser auf sie zukommt, wird die Angst von dem übermächti­gen, lähmenden Ding wieder zu der urmenschli­chen Regung, die uns hilft und nicht behindert.

Sabrina Sieber hat Philosophi­e, Theologie und Politikwis­senschaft in Frankfurt am Main und Münster studiert. Aktuell ist sie als Volontärin bei der Katholisch­en Fernseharb­eit tätig.

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