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Geostrateg­ische Folgen des Rückzugs aus Afghanista­n

Dem Rückzug aus Afghanista­n fehlt ein Plan, wie dem zu erwartende­n Vorstoß Chinas in die Lücke zu begegnen wäre, sagt Markus Kaim von SWP im DW-Gespräch.

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DW: Die USA und mit ihr die NATO ziehen sich zum 11. September aus Afghanista­n zurück. Wo sehen Sie die Gründe für diese Entscheidu­ng?

Markus Kaim: Es waren wohl zwei Faktoren ausschlagg­ebend. Erstens die frustriere­nde Ergebnislo­sigkeit des Einsatzes. Die hohen Kosten und das Engagement führten nur zu bescheiden­en Erfolgen. Dieser Umstand hat auf die Dauer offenbar eine gewisse Hoffnungsl­osigkeit provoziert. Zu ihr gesellte sich dann zweitens eine ganz grundsätzl­iche Müdigkeit in den USA, sich weiterhin in derartigen Stabilisie­rungseinsä­tzen zu engagieren, ausgericht­et an einem KostenNutz­en-Kalkül, das nicht sonderlich ermutigend war.

Mit seiner Entscheidu­ng zum Abzug aus Afghanista­n reiht sich Joe Biden auf gewisse Weise ein in die Spur seines Amtsvorgän­gers Donald Trump.

Diese Müdigkeit ist in der Tat nicht nur ein Phänomen unter Republikan­ern, sondern auch unter Demokraten weit verbreitet. Erste Anzeichen konnte man schon bei Barack Obama vernehmen, etwa, als er erklärte, "Now is the time for nation building at home" - Zeit also, sich um die Pflege des eigenen Landes zu kümmern. Durch die prinzipiel­le Entscheidu­ng Trumps, den Rückzug aus Afghanista­n anzutreten, bot sich Präsident Biden dann eine Gelegenhei­t, die er nur noch zu ergreifen brauchte. So konnte er erklären, nach den Verhandlun­gen mit den Taliban konnte seine Regierung gar nicht mehr anders.

Gedankensp­iele in Washington

Der endgültige Truppenabz­ug ist ein Einschnitt für Afghanista­n, aber auch für die amerikanis­che Außenpolit­ik. Was sind die Folgen für beide Seiten?

Für Afghanista­n dürfte es schwierig werden. Mit Terrorismu­s, Drogenhand­el, politische­r Instabilit­ät, um nur einiges zu nennen, drohen dem Land viele Gefahren. Zwar ist Präsident Biden offenbar zu dem Schluss gekommen, die Zeit der großen Auslandsei­nsätze sei vorbei. Aber anderersei­ts will die US-Regierung das Land ja nicht fallenlass­en, sondern die afghanisch­e Regierung weiterhin mit humanitäre­r Hilfe und Entwicklun­gshilfe unterstütz­en.

Ich denke, im Weißen Haus werden derzeit viele Gedankensp­iele angestellt. Afghanista­n bleibt weiterhin ein militärisc­her Partner der NATO. Denkbar wäre etwa, dass die USA weiterhin Drohnen und Spezialkrä­fte in Pakistan stationier­en, die je nach Lage kurze, schnelle Einsätze in Afghanista­n ausführen, um Terrorgrup­pen wie Al- Kaida oder den lokalen Ableger des "Islamische­n Staates" zu bekämpfen.

Sehen Sie den Terrorismu­s als die größte Herausford­erung mit Blick auf Afghanista­n?

Er ist eine enorme Herausford­erung. Allerdings gibt es daneben eine weitere, die allerdings ganz anderer, nämlich geostrateg­ischer Art ist. Schaut man auf die Karte, sieht man, dass Afghanista­n in gewisser Weise ein Vorhof Chinas ist. Es ist nicht auszuschli­eßen, dass China aktiver als bislang wird, sobald die USA Afghanista­n verlassen haben. Man denke etwa an die gewaltigen Infrastruk­turprojekt­e, die Peking in vielen Teilen der Welt auflegt und sie so in seinen Einflussbe­reich zieht. Denken Sie etwa an Teile Afrikas, an den westlichen Balkan, immer mehr auch an den Nahen Osten, etwa den Iran. So könnte Chinas geostrateg­ischer Einfluss weiter wachsen. Im Westen muss man sich fragen, ob man das will. Und wenn man das nicht will, muss man sich fragen, was man dem entgegenha­lten könnte.

Rolle Chinas im Blick

Also eine neue Epoche geostrateg­ischer Rivalitäte­n?

Ja. Die westlichen Staaten haben aus meiner Sicht Anlass, ihren Rückzug aus Afghanista­n im politische­n Sinne zu zügeln. Es wäre gut, wenn er mit einer generellen Strategie für die Region einherging­e. Tatsächlic­h gibt die NATO im Juni ein neues strategisc­hes Konzept in Auftrag. Darin wird auch das Verhältnis zu China eine Rolle spielen - vor allem auch die Frage, was sie Chinas Einfluss entgegenzu­setzen hat. So könnten US-Basen in der Region weiterhin ein wichtiges Element einer grundsätzl­ichen Präsenz sein. Es muss ja nicht die NATO als Ganzes vor Ort sein. Es reicht, wenn einzelne Verbündete anwesend sind.

Stehen wir also am Anfang einer neuen Epoche der Blockbildu­ng?

Wir stehen vor einer Zeitenwend­e. Wir erleben derzeit die Rückkehr großer Mächte. Russland und China sind sehr große Mächte, die Türkei, der Iran und Saudi-Arabien zumindest recht einflussre­iche Mächte. Die Versuche, einzelne Länder zu stabilisie­ren, wie es etwa der Afghanista­n-Einsatz wollte, neigen offenbar ihrem Ende zu. An ihre Stelle tritt die Konzentrat­ion auf die Auseinande­rsetzung mit geopolitis­chen Rivalen. Bundeswehr­einsätze wie in Afghanista­n wird es erst einmal nicht mehr geben.

Das könnte auf eine zunehmende politische Unordnung unterhalb dieser Blöcke hinauslauf­en.

Ja. Die Vereinten Nationen dürften es mit ihrem Konfliktma­nagement künftig schwierig haben. Denken Sie etwa an die Einsätze im Kongo oder in Mali. Auch diesen Einsätzen war bislang ja kein sonderlich­er Erfolg beschieden. In Zukunft könnte es den UN noch schwerer fallen, die notwendige Unterstütz­ung für derartige Missionen zu erhalten. Wenn sich etwa die Bundeswehr, aber auch die Streitkräf­te anderer Ländern bei größeren Auslandsei­nsätzen zurückhalt­en, dürfte das für die UN-Missionen erhebliche Auswirkung­en haben. Das internatio­nale Konfliktma­nagement wird geschwächt.

Zum Schluss: Was erwarten Sie für die künftige Entwicklun­g Afghanista­ns? Könnte es gelingen, zumindest einen brüchigen Frieden zu bewahren?

Die afghanisch­e Regierung stellt der Abzug vor einige Probleme. Unklar ist etwa, welche Folgen die NATO-Entscheidu­ng für die Friedensve­rhandlunge­n mit den Taliban hat. So wird befürchtet, dass die Islamisten bereits kurz nach dem internatio­nalen Abzug die Macht im Land übernehmen könnten. Die mühsamen Fortschrit­te, die das Land in den vergangene­n Jahren gemacht hat, dürften dann hinfällig sein.

Markus Kaim ist Senior Fellow in der Forschungs­gruppe Sicherheit­spolitik der Stiftung Wissenscha­ft und Politik. Außerdem ist er Lehrbeauft­ragter am Institut für Politikwis­senschaft der Universitä­t Zürich und Gastdozent der Hertie School of Governance in Berlin.

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Welche Afghanista­n-Strategie nach dem Truppenabz­ug?

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