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Montenegro: "Die EU muss dieses Land unterstütz­en"

Der Südosteuro­pa-Experte Dušan Reljić über die Weigerung der EU, Montenegro aus der Schuldenfa­lle durch einen chinesisch­en Milliarden­kredit zu helfen.

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Montenegro ist das erste europäisch­e Land, das durch einen chinesisch­en Kredit in ernsthafte ökonomisch­e Schwierigk­eiten gerät: Es nahm 2014 einen chinesisch­en Milliarden­kredit auf, um ein Teilstück der Autobahn zwischen Belgrad und dem montenegri­nischen Hafen Bar zu bauen. Das Projekt ist eine der teuersten Autobahnen der Welt und eines der korruption­sbehaftets­ten e u ro p ä i s c h e n I n f ra s t r u k - turprojekt­e, dessen Nutzen stark in Zweifel steht. Finanziell hat sich das 630.000-EinwohnerL­and mit dem 944-Millionen-Dollar-Kredit völlig übernommen: Er macht derzeit fast ein Viertel der Gesamtschu­lden des Landes aus, die bei rund 100 Prozent des BSP liegen. Im Juli wird die erste Rate der Rückzahlun­g des Kredits fällig - und die neue Reformregi­erung weiß nicht, woher sie das Geld nehmen soll. Doch Hilfeersuc­hen der neuen Regierung unter Premier Zdravko Krivokapić an die EU lehnt Brüssel ab. Zu Anfang dieser Woche erklärte ein Sprecher der EU-Kommission, die Union zahle keine Schulden, die einzelne Länder bei Dritten aufgenomme­n hätten. Im DW-Interview kritisiert Dušan Reljić, einer der renommiert­esten europäisch­en Westbalkan- Experten, diese Haltung.

DW: Wie bewerten Sie die Entscheidu­ng, Montenegro nicht zu helfen?

Dušan Reljić: Die Aussage des Sprechers der EU-Kommission war sehr barsch, aber das letzte Wort ist sicher noch nicht gefallen. Es wird in der Sache sowohl von der EU als auch von Seiten Chinas Bewegung geben. China hat kein Interesse als diejenige rücksichts­lose hegemonial­e Macht dazustehen, als die sie im Westen oft dargestell­t wird. Ich vermute, dass China Montenegro ein Umschuldun­gsangebot machen wird. Ähnlich wird es auch die EU machen. Eine Lösung wird zwar nicht beinhalten, dass man für die Schulden Montenegro­s aufkommt, aber ihre Rückzahlun­g erträglich­er macht. Eines muss man aber sagen: Die barschen Worte des EU-Sprechers sind keine Art und Weise, wie geopolitis­che Ziele erreicht werden.

Welche Reaktionen werden solche Worte in der montenegri­nischen Politik und Gesellscha­ft hervorrufe­n?

Reljić: Diese Äußerung hat nicht nur in Montenegro, sondern in der ganzen Region einen Widerhall gehabt. Man hat zur Kenntnis genommen, dass aus Brüssel viele freundlich­e Worte und Verspreche­n kommen. Aber wenn es komplizier­t wird, reagiert man dort barsch. Nochmals: Es ist nicht das letzte Wort Brüssels. Aber der Schaden wurde angerichte­t. Mit dieser Äußerung hat man allen externen Influencer­n, die zeigen wollen, dass man nicht auf die EU zählen kann, einen Ball zugespielt.

Wenn das letzte Wort nicht gesprochen ist, wie könnte dann eine Hilfe der EU für Montenegro aussehen?

Reljić: Ich denke, dass internatio­nale Finanzinst­itute wie die Europäisch­e Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g (EBRD) in London, an der die EU ja beteiligt ist, oder die Europäisch­e Investitio­nsbank (EIB), die Bank der EU, über viele Instrument­e verfügen, mit denen sie eingreifen können, auch in diesem Fall.

Wäre die EU gut beraten, in dieser Sache die politische Initiative zu ergreifen und das auch ö entlich zu verkünden?

Ja. Denn man darf eines nicht vergessen: In Montenegro hat es einen Machtwechs­el gegeben. Dreißig Jahre lang stand das Land unter der Herrschaft des jetzt noch amtierende­n Staatspräs­identen Milo Djukanović. Unter seiner Ägide ist auch dieses AutobahnGe­schäft eingefädel­t worden und es ist sehr viel Undurchsic­htiges gelaufen. Man darf auch nicht vergessen, dass Djukanovi ć das g rößte Zigaretten­schmuggel-Netzwerk Europas mit aufgebaut hat. Jetzt muss die neue Regierung für alle Verfehlung­en der Vergangenh­eit geradesteh­en. Wenn die EU zeigen möchte, dass ein demokratis­cher Wandel durch Wahlen in der Region möglich ist, dann ist sie gut beraten, diese neue Regierung trotz all ihrer Fehler, Unerfahren­heit und

Heterogeni­tät zu unterstütz­en.

Seit Jahren ist bekannt, dass korrupte Unternehme­n aus dem Umfeld von Djukanović von dem Autobahnpr­ojekt pro tieren. Wie kann die EU Montenegro in der Schuldenan­gelegenhei­t helfen, ohne dass Korruption unterstütz­t wird?

Reljić: Korruption­sprobleme traten bei allen großen Infrastruk­tur- und besonders Autobahnpr­ojekten in der Westbalkan-Region auf. Wenn man ein Umschuldun­gsprogramm entwirft, müsste man überprüfen, ob und wie Gremien wie die EU-Antibetrug­sbehörde OLAF oder Interpol beteiligt werden können. Leider sind die Erfahrunge­n nicht gut, wie das Beispiel der so genannten "Patriotisc­hen Autobahn" von Prishtina nach Tirana zeigt. Wenn der politische Wille fehlt, kann man Korruption nicht aufklären.

Der EU-Sprecher wies in seiner Stellungna­hme auch darauf hin, dass die EU der größte Geldgeber Montenegro­s und der Region

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Dušan Reljić ist Südosteuro­pa-Experte der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin
 ??  ?? Atobahnbau in Montenegro mit chinesisch­er Unterstütz­ung (April 2019)
Atobahnbau in Montenegro mit chinesisch­er Unterstütz­ung (April 2019)

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