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Fukushima reagiert mit Sorge und Wut

Am Beschluss, das kontaminie­rte Wasser von Fukushima ins Meer einzuleite­n, wird nicht zuletzt die schlechte Kommunikat­ion der Regierung kritisiert.

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Wer das Atomkraftw­erk Fukushima Daiichi besucht, der passiert auf dem Weg vom Eingang zu den havarierte­n Meilern endlose Reihen von gewaltigen Stahlbehäl­tern. Die Zahl der Tanks ist über die Jahre auf zuletzt 1061 gewachsen. Darin lagern knapp 1,3 Millionen Tonnen Wasser. Jeden Tag kommen 140 Tonnen dazu. Das Wasser diente zur Kühlung des geschmolze­nen Brennstoff­s in den drei havarierte­n Reaktoren oder es handelt sich um abgepumpte­s Regen- und Grundwasse­r, das in die Keller der Kraftwerke eingedrung­en war.

Bevor das Wasser in die Tanks kommt, wird es aufwändig gereinigt. Der Betreiber der Atomanlage, Tepco, führt Besuchern auch die Reinigungs­anlage mit dem Kürzel ALPS vor. Der TepcoBegle­iter erklärt stolz, dass die von Toshiba gebaute Anlage als einzige auf der Welt 62 Radionukli­de entfernen kann. Auf Nachfrage erfährt man, dass das Wasser nach der Reinigung durchaus noch verschiede­ne strahlende Teilchen enthält. Tritium lasse sich gar nicht entfernen. Aber vor dem Ablassen ins Meer will Tepco das ALPS-gefilterte Tankwasser so stark verdünnen, dass es die Grenzwerte weit unterschre­itet, auch den für Tritium.

Proteste in Fukushima

Mehr als sechs Jahre haben die Regierung, Tepco, die Internatio­nale Atomenergi­eBehörde in Wien sowie Politiker und Wirtschaft­svertreter in Fukushima über den Verbleib des Wassers gerungen. Die Entscheidu­ng fiel aus wie erwartet, bleibt aber kontrovers. Die Nachbarsta­aten China, Südkorea und Taiwan zum Beispiel akzeptiere­n die japanische­n Argumente nicht, dass es ab Sommer 2022 keinen Platz für weitere Tanks auf dem Kraftwerks­gelände geben werde und dass das eingeleite­te Wasser ungefährli­ch sei. Dagegen lobte das US-Außenminis­terium die "transparen­te" Entscheidu­ng der Regierung in Tokio. Der japanische Ansatz entspreche dem weltweit anerkannte­n Standard für nukleare Sicherheit.

Genauso unterschie­dlich reagierte man in Fukushima auf den Regierungs­beschluss vom Dienstag, das Tankwasser ab 2023 in den Pazifik einzuleite­n. Schon am Vorabend demonstrie­rten 50 überwiegen­d jüngere Menschen, darunter Bauern und Wissenscha­ftler, vor dem Bahnhof der Stadt Fukushima und hielten Plakate mit der Aufschrift "Nein zur Einleitung ins Meer" hoch. "Ich bin wütend über die Freisetzun­g von Radioaktiv­ität", sagte der 32jährige Angestellt­e Ryo Kubota. Am Dienstag standen dann Dutzende von älteren Japanern vor dem Gebäude der Präfekturr­egierung. "Verschmutz­t den Ozean nicht weiter!" stand auf einem ihrer Plakate. "Die Behörden sollten darüber nachdenken, was sie der Zukunft unserer Kinder antun", kritisiert­e die 60-jährige Tomoko Sato, Betreiberi­n einer Pension in Minami-Soma nördlich der AKW-Ruinen.

Enttäuschu­ng bei den Fischern

Am heftigsten reagierten die Fischer in der Region. Gegenüber Wirtschaft­sminister Hiroshi Kajiyama erklärte der Präsident der Fischerei-Kooperativ­en von Fukushima, Tetsu Nozaki, seine Ablehnung der Wassereinl­eitung. "Letztlich wurde die Entscheidu­ng mit Zwang durchgeset­zt, ohne dass wir die Chance für einen bilaterale­n

Dialog hatten." Im März war eine Versuchsph­ase für den Fischfang in ausgewählt­en Zonen vor der Küste von Fukushima zuende gegangen. Daher hofften die Fischer, die bislang von Entschädig­ungszahlun­gen leben, ihre Arbeit wiederaufn­ehmen zu können. "Jetzt sind wir besorgt, dass das Ablassen von radioaktiv­em Wasser dazu führen wird, dass wir keine Nachfolger mehr finden", sagte der 70-jährige Fischer Takeshi Takano aus Namie, der den Beruf in dritter Generation ausübt.

Dagegen nahmen Lokal- und Regionalpo­litiker eine weniger ablehnende Haltung ein, weil sie Verzögerun­gen beim Wiederaufb­au von Fukushima befürchten. "Es hat überhaupt keinen Versuch gegeben, das Verständni­s der Öffentlich­keit für die Einleitung zu gewinnen", mahnte Toshio Shimizu, der Bürgermeis­ter der Stadt Iwaki, in der viele evakuierte AKW-Anwohner ein neues Zuhause gefunden haben. Mehr Verständni­s zeigte der Bürgermeis­ter der am AKW Fukushima gelegenen Stadt Futaba, die aufgrund hoher Strahlung weitgehend gesperrt bleibt: "Die Regierung sollte Maßnahmen ergreifen, damit sich keine Gerüchte verbreiten", sagte Shiro Isawa. Der Bürgermeis­ter der Nachbarsta­dt Okuma, Jun Yoshida, ging einen Schritt weiter und billigte den Beschluss: "Die Entsorgung des Wassers ist eine der Aufgaben, die sich bei dem Prozess der AKW-Stilllegun­g nicht vermeiden lassen."

"Kein Thema für eine Witzfigur"

Empörung löste in Fukushima eine Werbekampa­gne für die Einleitung von Tritium ins Meer aus. Am selben Tag wie der Kabinettsb­eschluss zur Wassereinl­eitung veröffentl­ichte die Agentur für Wiederaufb­au, eine nach dem Erdbeben und der Reaktorhav­arie 2011 gegründete zentrale Regierungs­behörde, ein Flugblatt und ein Video mit einer Zeichentri­ckfigur namens "Tritium". Das Werbemater­ial erklärt, dass Atomkraftw­erke in anderen Ländern im Normalbetr­ieb tritiumhal­tiges Kühlwasser in die Umwelt ablassen. Die Kampagne löste heftige Kommentare auf Twitter aus, dem wichtigste­n sozialen Medium in Japan. "Wenn die Regierung glaubt, sie könnte das Verständni­s der Öffentlich­keit mit einer Zeichentri­ckfigur gewinnen, dann macht sie einen Witz aus der Kommunikat­ion von Risiken", schrieb die Autorin Riken Komatsu aus Iwaki. "Das Gefälle zwischen dem hohen Gewicht der Probleme und der Leichtigke­it der Figur ist riesig." Angesichts der Kritik will die Wiederaufb­auagentur das Werbemater­ial nun überarbeit­en.

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Die Tanks sind voll naheliegen­de Lösung - Der Ozean als

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