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Sloweniens Premier will Westbalkan-Grenzen verändern
Drei Jahrzehnte nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien schlägt Janez Janša vor, den Westbalkan neu zu ordnen - nach ethnischen Prinzipien. Slowenien übernimmt am 1. Juli 2021 die EU-Ratspräsidentschaft.
"Lösungen" heißt der Absatz in einem "Non-Paper", das der slowenische Regierungschef Janez Janša schon vor Monaten einigen ausgesuchten
Empfängern in der EU übergeben hat. Es liest sich wie ein Dokument des Berliner Kongresses aus dem Jahre 1878, als sich Otto von Bismarck, Lord Salisbury und Fürst Gortschakow gemeinsam über die Landkarte des Balkans beugten - und innerhalb eines Monats freihändig über das Schicksal der Nationen Südosteuropas entschieden.
Für "a) Vereinigung von Kosovo und Albanien" sind in dem Papier vier Zeilen reserviert. Punkt "b) Vereinigung des größeren Teils der Republika Srpska [des serbisch dominierten Teils Bosnien- Herzegowinas; Anm. d. Red.] mit Serbien" kommt noch mit einer Zeile weniger aus. Auch die Konturen des - wie Slowenien bis 1991 zu Jugoslawien gehörenden - Nachbarlands Kroatien möchte Janša bei der Gelegenheit neu ziehen: "c) Die kroatische nationale Frage kann gelöst werden", indem man entweder "die vorwiegend kroatischen Kantone in BosnienHerzegowina mit Kroatien vereinigt" oder aber "dem kroatischen Teil" des Landes einen "Sonderstatus" gibt - "nach dem Modell Südtirol".
Übrig bleiben bei diesem Szenario die bosnischen Muslime, die sich seit 1993 "Bosniaken" nennen und gut die Hälfte der Bevölkerung im ebenfalls ex-jugoslawischen Bosnien stellen. Sie bekommen in dem
Plan "einen unabhängig funktionierenden Staat" und "übernehmen die volle Verantwortung für ihn". Wenn sie nicht wollen, müssen sie nicht nach Europa, so das Janša-Papier: "Sie können in einer Volksabstimmung wählen zwischen einer EU- und einer Nicht-EU- oder Türkei-Zukunft." Zwar träten die Bosniaken "vorläufig" für eine EU-Mitgliedschaft ein. "Aber, wenn es mit
dem Chaos so weitergeht und mit dem immer stärkeren Einfluss der Türkei und des radikalen Islam", so Janša, "kann die Lage im nächsten Jahrzehnt drastisch schlechter werden".
Vorerst sollte eigentlich "verschwiegen vorgegangen" werden, bis der "Plan" mit den "Entscheidungsträgern" in der Region und in der internationalen Gemeinschaft abgesprochen ist. Aber schon vage Hinweise auf die bloße Existenz des Papiers lösten erste Erschütterungen aus. Was Wunder: Das Thema - die Neuziehung der Grenzen in ExJugoslawien - ist auf dem Balkan so etwas wie der Elefant im Raum: die große Bedrohung, über die aber niemand spricht. hatte zuvor gesagt, er könne den Empfang "nicht bestätigen" - was streng genommen nicht heißt, dass er das Papier nicht bekommen hat. Am Mittwochabend schließlich veröffentlichte das slowenische Internet-Portal necenzurirano.si die Schrift unter dem Titel: "Westbalkan: Der Weg voran".
Seit dreißig Jahren gibt es für den Westbalkan zwei unterschiedliche Konzepte. Gemäß dem vorherrschenden bleiben die Grenzen in der Region unangetastet - und jedes einzelne Land bildet demokratische Strukturen aus, in denen auch ethnische Minderheiten Platz haben. Nach dem anderen, meist unausgesprochenen Konzept, werden die Grenzen in Ex-Jugoslawien nach ethnischen Kriterien neu gezogen - und die jeweiligen Potentaten dürfen ungestört über ihre nationale Familie herrschen. "Ethnisch reine" Nationalstaaten machen das "Chaos" mit Minderheitenrechten, Institutionen und demokratischen Abstimmungsprozessen überflüssig, meinen Befürworter.
Slowenien übernimmt am 1.06.2021 die EU- Ratspräsidentschaft. Im Dezember des Vorjahres umriss Premier Janša, wie es EU-Brauch ist, in Brüssel schon einmal grob seine Leitlinien - und definierte das Thema Balkan als einen Schwerpunkt.
Janša versteht sich gut mit
Viktor Orbán, seinem Amtskollegen im Nachbarland Ungarn. Der finanziert rechte, Janšafreundliche Medien in Slowenien und über den Umweg Ljubljana auch ebensolche im ebenfalls ex-jugoslawischen Nordmazedonien, dessen rechtskräftig wegen Korruption verurteiltem Ex- Premier Nikola Gruevski Ungarn Asyl gewährt. Orbán war es auch, der seinen vertrauten Olivér Várhelyi als neuen EUErweiterungskommissar installierte. In seinem Amt kümmert sich der Ungar vor allem um die Beitrittschancen des Nachbarlandes Serbien. In dem so entstandenen Netzwerk fallen Initiativen und "Non-Papers" nicht mehr ins Nichts.
Trotzdem gilt in Brüssel als unwahrscheinlich, dass Janša seine Westbalkan-Träume in Europa wirklich weiterbringen könnte. Seit seinem letzten Auftritt vor dem Europa-Parlament am 26.03.2021 ist der slowenische Regierungschef dort unten durch. Als er den Abgeordneten zur Medienfreiheit in Slowenien Rede und Antwort stehen sollte, bestand er darauf, lieber einen Film zu zeigen; als das Parlament nicht mitspielte, kappte Janša einfach die Web-Verbindung. So wie Ungarns Kommissar Várhelyi in Brüssel weitgehend kaltgestellt ist, ermöglichen es die Strukturen der EU auch, die slowenische Ratspräsidentschaft zu neutralisieren.
Bloße Gymnasiastenphantasien sind Vorstöße wie das "Non-Paper" trotzdem nicht. Bald drei Jahre ist es her, dass Serbiens Präsident Aleksandar Vučić mit seinen Wünschen nach ethnischer Grenzbereinigung in Europa durchaus auf nicht wenig Wohlwollen stieß: Die sozialdemokratische Außenbeauftragte F e d e r i c a Mo g h e r i n i , der christdemokratische Erweiterungskommissar Johannes Hahn und der grüne Präsident Österreichs, Alexander Van der Bellen, machten sich dafür stark, Gebiete zwischen Serbien und Kosovo neu zu verteilen.
Konzessionen zu machen.
So führte der "Comandante en Jefe" und bekennende Atheist vor der Ankunft des Papstes die Weihnachtsfeiertage wieder ein und ließ Hunderte von Dissidenten frei. Die Position der katholischen Kirche wurde durch den Besuch gestärkt; sie kam unter anderem in den Genuss knapper Papiervorräte und konnte somit Gemeindebriefe drucken, die auch oppositionellen Kräften auf der Insel eine Plattform boten. Dadurch entwickelte sie sich zu einer Vermittlerin zwischen
Regierung und Opposition.
Die Vermittlung des Treffens zwischen Raúl Castro und USPräsident Barack Obama 2014 durch Papst Franziskus hat eindrücklich gezeigt, wie gut der Draht zwischen Havanna und dem Vatikan mittlerweile funktioniert. Als Vize trug USPräsident Joe Biden damals die Wiederannäherung zwischen Washington und Havanna mit. Als Katholik und Anhänger von Papst Franziskus zitiert Biden zudem immer wieder die Positionen des Papstes zum Klimawandel sowie zur Solidarität mit den Armen und Flüchtlingen.
Kuba-Experte Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) geht davon aus, dass die Kuba-Politik Bidens einen "entscheidenen Einfluss darauf hat, wie schnell und in welcher Form sich der Wandel nach dem Rückzug von Raúl Castro auf Kuba vollziehen wird."
Ein Projekt seines Vorgängers Obama will Biden auf jeden Fall zu Ende führen: Die Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers Guantánamo. Das Lager wurde 2002 auf dem Marinestützpunkt in der Guantánamo-Bucht errichtet. Das Gebiet wurde 1903 vom kubanischen Staat an die USA verpachtet, Havanna betrachtet den Vertrag jedoch als ungültig. Zurzeit sitzen noch etwa 40 Häftlinge dort ein. Für die Schließung ist Biden auf die Zustimmung des US-Kongresses angewiesen.
Während in den USA ein "alter Hase" ins Weiße Haus eingezogen ist, vollzieht sich auf Kuba nach 62 Jahren Herrschaft unter den Castro-Brüdern ein Generationenwechsel. Der neue Chef der Kommunistischen Partei Kubas, der auf dem 8. PCCKongress vom 16. bis 19. April gewählt wird, wird nicht mehr auf den Namen Castro hören. Die sozialistische Insel wird inmitten von Pandemie, Wirtschaftskrise und Währungsreform einen neuen Kurs finden müssen.
Und das wohl wichtigste und weltweit anerkannte Erbe der Revolution verteidigen: das kubanische Gesundheitssystem. Die Gesundheitsversorgung hat nicht nur dazu geführt, dass Kuba bei allen medizinischen Indikatoren gleichauf mit reichen Industrieländern liegt. Sie hat auch dazu beigetragen, dass kubanische Ärzte und Krankenpfleger und -pflegerinnen weltweit bei der Bekämpfung von Epidemien im Einsatz sind.