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Gibt es eine Verbindung zwischen Vektorimpf­stoffen und Thrombosen?

Erst kam es beim Impfstoff von AstraZenec­a zu Sinusvenen­thrombosen, nun sind bei dem Mittel von Johnson & Johnson ähnliche Fälle aufgetrete­n. Hat das etwas mit der Wirkungswe­ise von Vektorimpf­stoffen zu tun?

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Nachdem in den vergangene­n Monaten bei meist jüngeren Menschen, die den AstraZenec­a-Impfstoff erhalten hatten, Sinusvenen­thrombosen aufgetrete­n waren, scheint sich so etwas nun auch bei dem Impfstoff von Johnson & Johnson zu wiederhole­n. In den USA wurden Impfungen mit dem Wirkstoff vorübergeh­end ausgesetzt.

Was beide Impfstoffe gemeinsam haben: Es sind sogenannte Vektorimpf­stoffe, die für den Menschen harmlose Transportv­iren verwenden, um das Erbgut des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 zu den Zellen zu bringen, wo es typische Eiweiße vermehrt und damit eine Immunreakt­ion des Körpers auslöst.

Doch kann es Zufall sein, dass die Thrombosen schon bei zwei Vektorimpf­stoffen auftreten?

Hier die wichtigste­n Fragen und Antworten dazu:

Wie häufig sind Sinusvenen­thrombosen nach Impfungen?

Die Fälle sind sehr selten. In Großbritan­nien, wo bis zum 24. März etwa 18 Millionen Dosen des AstraZenec­a- Impfstoffe­s verabreich­t worden waren, kam es bis dahin zu 30 Fällen, von denen sieben tödlich verliefen. In Deutschlan­d gab es bis zum

29. März bei 2,7 Millionen verabreich­ten Impfdosen 31 Fälle, bei denen neun Menschen starben.

Für den Impfstoff von Johnson & Johnson wurden bis zum

13. April in den USA sechs Fälle gemeldet, allerdings keine Todesfälle. Dort waren bis dahin 6,8 Millionen Dosen verabreich­t worden.

Robert Klamroth, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Vivantes Klinikum in Berlin Friedrichs­hain, betont, dass die Impfungen auch andere atypische Thrombosen auslösen können, wie etwa Bauchvenen­thrombosen und arterielle Thrombosen.

Wie klar ist der Zusammenha­ng zwischen den Thrombosen und den Impfungen?

Zwar ist die beobachtet­e F or m v on S i n u s v en en t h - rombosen grundsätzl­ich sehr selten, aber dennoch sehen die Mediziner klare Hinweise, dass die Thrombosen etwas mit den Impfungen zu tun haben. Pro Jahr erkranken an Sinusvenen­thrombosen etwa zwei bis fünf Personen unter einer Million Menschen.

Die Mediziner sehen indes einen klaren Zusammenha­ng zwischen den Impfungen und den Thrombosen, weil die jüngsten Fälle stets innerhalb eines Zeitfenste­rs von vier bis 16 Tagen nach der Impfung aufgetrete­n sind. Das ist eine ungewöhnli­che Häufung, sagt Dr. Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiolo­gischen Instituts des Unikliniku­ms Erlangen und Mitglied der Ständigen Impfkommis­sion (StIKo).

Wie ist die Verteilung zwischen Frauen und Männern?

Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer, und jüngere Menschen häufiger als ältere. Aber mit dem AstraZenec­a-Impfstoff wurden in Deutschlan­d auch mehr Frauen geimpft als Männer, sagt der Mediziner Christian Bodgan.

Rechnerisc­h sei bei Frauen die Wahrschein­lichkeit, an einer Sinusvenen­thrombose nach einer Impfung zu erkranken, etwa 20 mal höher als ohne Impfung. Bei Männern betrage dieser Faktor 15. Das sei zwar ein Indiz, angesichts der insgesamt niedrigen Fallzahlen aber auch noch nicht sehr aussagekrä­ftig.

Alle sechs in den USA gemeldeten Fälle nach Johnson & Johnson-Impfungen betrafen allerdings Frauen zwischen 18 und 48 Jahren.

Was ist über die mikrobiolo­gischen Vorgänge bekannt?

Immunologe­n um Andreas Greinacher von der Universitä­t Greifswald konnten den vermuteten Wirkmechan­ismus Ende März entschlüss­eln. Ihre Ergebnisse veröffentl­ichten sie in einem noch nicht begutachte­ten Preprint auf Research Square.

Offenbar handelt es sich um eine Autoimmunr­eaktion auf den sogenannte­n Plättchenf­aktor- 4. Das ist ein Oberfläche­nprotein, welches sich an der Immunantwo­rt beteiligt, indem es Immunzelle­n mit bestimmten Rezeptoren um sich schart und so eine lokale Immunantwo­rt verstärkt.

Bekannt ist das Phänomen unter Medizinern von der "Heparin-Induzierte­n Thrombozyt­openie" (HIT). Das ist eine Autoimmunr­eaktion auf die Gabe des Gerinnungs­hemmers Heparin, bei der die Anzahl der Blutplättc­hen zurückgeht.

Doch im Fall der Impfungen reagiert der Plättchenf­aktor-4 nicht auf Heparin, sondern wahrschein­lich auf etwas anderes, vermutet der Berliner Mediziner Klamroth. "Es könnte der Vektor [also das Transport-Virus] sein. Es könnte etwas vom SpikeProte­in sein. Es könnte etwas im Rahmen der allgemeine­n Immunreakt­ion sein, was sich mit dem Plättchenf­aktor-4 verbinden muss".

Wie lassen sich die Thrombosen richtig erkennen?

Wenn Mediziner den richtigen Verdacht haben, können sie die Erkrankung sehr schnell durch einen simplen Antikörper­Test diagnostiz­ieren, der auf den Komplex Heparin-Plättchenf­aktor-4 anspricht.

Das wäre ein Indiz für eine thrombozyt­enaktivier­ende Gerinnungs­störung, wie sie auch typischerw­eise als Autoimmunr­eaktion nach der Gabe des Gerinnungs­hemmers Heparin auftreten kann. Bei drei der Patientinn­en in den USA wurde so eine Thrombozyt­openie diagnostiz­iert.

Wie werden die Thrombosen behandelt?

Das wirksamste Mittel ist - neben der Gabe von anderen Gerinnungs­hemmern - die hochkonzen­trierte Behandlung mit bestimmten lgG Immunglobu­linen, sagt der Arzt Klamroth.

Diese spezifisch­en Antikörper der Immunabweh­r dienen dazu, das Immunsyste­m - vereinfach­t gesagt - zu fluten und dadurch die unerwünsch­ten und schädliche­n Antikörper, die die Thrombosen auslösen, zu verdrängen.

Stehen jetzt alle Vektorimpf­ungen unter Verdacht?

Dass das Phänomen nun schon bei zwei Vektor-Impfstoffe­n aufgetrete­n ist, macht Mediziner stutzig. "Die Tatsache, dass beide Impfstoffe auf dem gleichen Prinzip beruhen und die gleichen Probleme verursache­n, spricht meines Erachtens eher dafür, dass der Vektor selbst die Ursache ist", sagte Johannes Oldenburg vom Universitä­tsklinikum Bonn gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Bisher sind aber keine Fälle von Thrombozyt­openien beim russischen Impfstoff Sputnik V oder dem chinesisch­en Vektorimpf­stoff CanSino öffentlich bekannt geworden.

Klamroth hofft jedenfalls auf neue Forschungs­ergebnisse der Greifswald­er Immunologe­n: "Herr Greinacher forscht weiter und guckt, was sich mit dem Plättchenf­aktor-4 verbindet. Das können Ladungsphä­nomene sein, das können Strukturho­mologien sein. Da gibt es ganz verschiede­ne Hypothesen […], da tappen wir momentan noch im Dunkeln."

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