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Polen: Droht dem Auschwitz-Museum die Politisier­ung?

Mit der Berufung der ExRegierun­gschefin Beata Szydło in den Beirat der Gedenkstät­te Auschwitz-Birkenau hat Polens Kulturmini­ster Piotr Gliński einen Eklat ausgelöst.

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Eigentlich gilt der Beirat der Gedenkstät­te Auschwitz-Birkenau als Experten-Gremium, das die Leitung des Museums im ehemaligen deutschen Konzentrat­ions- und Vernichtun­gslager nahe der polnischen Stadt Oświęcim in finanziell­en Fragen beraten und beaufsicht­igen soll.

Für diese Aufgaben wurden bisher Wissenscha­ftler aus verschiede­nen Fachgebiet­en in den Beirat berufen, vor allem Historiker, Konservato­ren, Philosophe­n und Kunsthisto­riker. Auch ein ehemaliger Häftling und ein Priester waren dabei.

Anfang April hat der polnische Kulturmini­ster Piotr Gliński nun ein neues Team benannt. Dabei sorgte eine Personalie für große Aufregung: Auf der Vorschlags­liste stand überrasche­nd Beata Szydło, aktive Politikeri­n der Regierungs­partei "Recht und Gerechtigk­eit" (PiS).

Szydło bekleidete in den Jahren 2015-2017 den Posten der Regierungs­chefin, später war sie Nummer Zwei im Kabinett von Premier Mateusz Morawiecki. Seit fast zwei Jahren sitzt die 58Jährige für PiS im Europa-Parlament. Protest und Rücktritte

Die Nominierun­g von Szydło löste in liberalen Kreisen in Polen Empörung und Proteste aus. Parlamenta­rier der opposition­ellen Partei "Bürgerplat­tform" (PO) forderten Polens Regierung auf, die Entscheidu­ng zurückzune­hmen.

Mehrere Mitglieder des Beirates traten aus dem Gremium aus. "Ich verstehe das (die Ernennung von Szydło, Anm. d. Red.) als Politisier­en des Rates. In einer solchen Situation sehe ich nicht mehr die Möglichkei­t, darin zu funktionie­ren. Deshalb trete ich aus diesem Rat zurück", so der polnisch-jüdische Phi

losoph und Publizist Stanisław Krajewski, seit 2008 Mitglied im Beirat, auf Facebook. Verzicht aus Anstand

"Der Beirat hat sich immer mit historisch­en und konservato­rischen Fragen beschäftig­t, nicht mit Politik", erklärte der Krakauer Historiker Marek Lasota und kündigte ebenfalls seinen Rücktritt aus dem Gremium an.

Auch Krystyna Oleksy, ehemalige Vize-Direktorin der Gedenkstät­te, nahm nach 37 Jahren ihren Hut. "Ich dachte, wenn ich verzichte, dann ist das anständig", so Oleksy gegenüber der DW. Den Streit um die Szydło-Berufung selbst wollte sie nicht weiter kommentier­en. "Attentat auf eine Institutio­n"

"Das ist ein klassische­s Attentat auf eine Institutio­n", kommentier­te der Soziologe Paweł Śpiewak im Fernsehsen­der TVN24. Der ehemalige Direktor des Instituts der Jüdischen Geschichte (ŻIH) sprach

Szydło jede Kompetenz für die neue Aufgabe ab.

"Szydło soll sich von Auschwitz fernhalten", schrieb Bartosz Wieliński im Leitkommen­tar der Tageszeitu­ng "Gazeta Wyborcza". Der Journalist erinnerte an eine Rede, die die Ex-Premiermin­isterin im Juni 2017 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrat­ionslagers gehalten hatte. "Auschwitz ist eine großartige Lehre dafür, dass man alles tun soll, um die Sicherheit und Leben seiner Bürger zu schützen", sagte sie damals laut Gazeta Wyborcza - für Wieliński ein "Missbrauch der Opfer des Völkermord­es,

um die unnachgieb­ige, gegen Flüchtling­e gerichtete Politik der PiS zu begründen".

Ziel: Polonisier­ung?

Bisher zumindest zeigte Kulturmini­ster Gliński kein Verständni­s für die Protestwel­le. Beata Szydłos Teilnahme sei eine "Ehre" für den Beirat. Gliński bezeichnet­e die Ex-Regierungs­chefin als eine Person von "großem politische­n Format", mit großer gesellscha­ftlicher Sensibilit­ät und großem Vertrauen. Darüber hinaus stamme die Politikeri­n aus der Gegend um Oświęcim und habe früher in einem Museum gearbeitet, so Gliński.

Die Publizisti­n und Diplomatin Agnieszka Magdziak-Miszewska dagegen meint, dass

Szydło den amtierende­n Direktor der Gedenkstät­te Auschwitz, Piotr Cywinski, schon lange von seinem Posten vertreiben wolle. "Ihr Ziel im Beirat wird es sein, Auschwitz zu polonisier­en", warnte die ehemalige polnische Botschafte­rin in Israel. Bis zur demokratis­chen Wende von 1989 waren im Museum polnische Opfer in den Vordergrun­d gestellt worden.

Warum die Eile?

Die Eile bei der Nominierun­g für den Beirat verwundert umso mehr, als ein anderes, noch wichtigere­s Gremium der Gedenkstät­te Auschwitz-Birkenau bis heute nicht neu besetzt wurde: der Internatio­nale Auschwitz-Rat, dessen Amtszeit 2018 ausgelaufe­n ist.

Das internatio­nale Gremium, in dem auch Ex-Häftlinge und

Experten aus den USA, Israel und Deutschlan­d vertreten waren, beriet seit 2000 die jeweiligen polnischen Regierungs­chefs, vermittelt­e bei Streitthem­en und warb im Ausland für das Museum. Leiter war lange Władysław Bartoszews­ki, ehemaliger Auschwitz-Häftling und Ex-Außenminis­ter Polens, zuletzt führte das Gremium die bekannte Holocaust-Forscherin Beata Engelking, eine Kritikerin der nationalis­tischen Geschichts­politik in Polen.

Der "polnische Gesichtspu­nkt"

Der Streit um Szydło ist ein weiteres Ereignis in der Auseinande­rsetzung zwischen der national- konservati­ven Regierung und der liberalen Opposition. Die seit 2015 regierende PiS versucht, sich nicht nur alle politische­n Institutio­nen unterzuord­nen, sondern auch die Kontrolle über bisher unabhängig­e wissenscha­ftliche und kulturelle Einrichtun­gen zu gewinnen.

Ein Paradebeis­piel für diese Politik war die Übernahme der Kontrolle über das Museum des Zweiten Weltkriege­s in Danzig, eines Projektes, das auf Anregung des früheren polnischen Regierungs­chefs Donald Tusk entstanden war. 2017 wurden der Museums-Gründer Paweł Machcewicz und seine Leute entlassen und das Ausstellun­gskonzept geändert. Der PiSChef Jarosław Kaczyński habe den Verantwort­lichen des Museums vorgeworfe­n, dass die Ausstellun­g "den polnischen Gesichtspu­nkt nicht vertritt", so Machcewicz gegenüber der DW.

Die Gedenkstät­te auf dem Gelände des ehemaligen deutschen NS-Konzentrat­ions- und Vernichtun­gslagers AuschwitzB­irkenau ist ein weltbekann­tes Symbol des Holocaust. Zwischen 1940 und 1945 hatten die deutschen Nationalso­zialisten dort mehr als eine Million Menschen ermordet. Die meisten Opfer waren Juden aus dem deutsch besetzten Europa. Auch Polen, sowjetisch­e Kriegsgefa­ngene sowie Sinti und Roma wurden umgebracht.

Mehr als zwei Millionen Menschen aus aller Welt besuchen jährlich den Museumskom­plex, der aus dem Stammlager Auschwitz und dem Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau besteht.

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Stacheldra­htzäune trennen die Häftlingsb­aracken in der Gedenkstät­te Auschwitz-Birkenau
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Piotr Gliński (PiS) nach seiner Ernennung zum Kulturmini­ster Polens im November 2018

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