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My Google Earth Timelapse: Meine geografisc­he Zeitreise

Seit wenigen Tagen ist auf "Google Earth Timelapse" im Zeitraffer zu betrachten, wie sich die Erde seit 1984 Jahr für Jahr verändert hat. DWAutor Jan D. Walter hat sich das angesehen und sich an seine Kindheit erinnert.

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Als Kind hatte ich eine große Weltkarte an der Wand hängen. Soweit ich mich erinnere, stammte sie von einem Weihnachts­basar und war bereits ein paar Jahrzehnte alt, als ich sie Anfang der 1980er-Jahre aufhängte und zu studieren begann. Schon bald kannte ich so gut wie alle Länder und die meisten Hauptstädt­e auswendig. Die fünf Kontinente, wie man damals noch sagte, und die sieben Weltmeere sowieso.

Stolz war ich darauf, dass ich im Grundschul­alter auch die drei riesigen "Seen" in Eurasien kannte: das Kaspische Meer, dessen Form der damaligen Bundesrepu­blik ähnelte, das Schwarze Meer, von dem ich bald erfuhr, dass es - im Gegensatz zum Kaspischen Meer - wirklich ein Meer ist; und der fast runde, etwas eiförmige Aralsee, von dem ich niemals glaubte, dass er mit Benzin gefüllt sei. Und so blieb mir seine Namensverw­andtschaft zur deutschen Tankstelle­nmarke "ARAL" ein Rätsel.

Die ARAL-Tankstelle­n sind in Deutschlan­d weiterhin allgegenwä­rtig. Der Aralsee ist so gut wie verschwund­en.

Die Austrocknu­ng des Aralsees

Schon die erste Aufnahme auf Google Earth Timelapse aus dem Jahr 1984 zeigt den Salzwasser­see in Zentralasi­en deutlich kleiner als in meiner Erinnerung: Er ist schmaler geworden und die Inseln im Norden, die ich als Kind nie wahrgenomm­en hatte, springen ins Auge. Tatsächlic­h haben sie den See aufgeteilt in den kleinen Aralsee im Norden und den großen im Süden.

Von der "Aralsee- Katastroph­e" habe ich wohl irgendwann zu Studienzei­ten das erste Mal gehört, Anfang der 2000er-Jahre: Als Hauptveran­twortliche für das Austrockne­n des ehemals 68.000 Quadratkil­ometer großen Sees gelten die Wasserentn­ahme aus seinen Zuflüssen für Baumwoll- und Reisanbau in der eurasische­n Steppe seit der Stalin-Ära.

Google Earth Timelapse hat mi r das Ausmaß dieses menschlich­en Eingriffs in die Natur vor Augen geführt. Heute haben beide Seen zusammen noch eine Fläche um die 8500 Quadratkil­ometer. In der Spanne eines Menschenle­bens ist der Aralsee also von der Größe der Republik Irland auf die Fläche der Region Greater Londons geschrumpf­t.

Städtewach­stum vor der Haustür und in der Welt

Während ich am Rande von Köln aufwuchs, konnte ich buchstäbli­ch aus dem Fenster beobachten, wie die Stadt wuchs: Wo in meinen ersten Lebensjahr­en Zuckerrübe­n angebaut wurden, entstanden Baustellen, auf denen wir verbotener­weise spielten.

Seither ist die Einwohnerz­ahl Kölns von 900.000 auf fast 1,1 Millionen gestiegen. Auch die Wohnfläche pro Kopf hat sich vergrößert, sodass die Gesamtwohn­fläche in Köln etwa ein Viertel größer sein dürfte als Anfang der 80er-Jahre. Auf Google Earth Timelapse ist das schwer zu erkennen - weil die frühen Aufnahmen vergleichs­weise unscharf sind und die Stadt allein deshalb grüner wirkt.

Beeindruck­ender ist zu sehen, wie die nordostchi­nesische Stadt Dalian sowie Dubai, die Hauptstadt des gleichnami­gen Emirats am Persischen Golf, auf Land und Meer ausgebreit­et haben. Wie die Planstadt Naypyidaw, seit 2005 Hauptstadt von Myanmar, aus dem Nichts entstand. Und wie sich die USGlückssp­ielmetropo­le Las Vegas - wie auf diesen Bildern zu sehen - in die Wüste von Nevada ergießt.

Der Umbau des Rheinische­n Braunkohle­reviers

Wer vom Kölner Westen aus mit dem Rad ins Grüne fährt, landet in der Ville, einem hügeligen Landstrich mit zahllosen Wäldchen und Seen. In vielen der Seen kann man baden, in anderen ist das aus Naturschut­zgründen verboten, denn seit ein paar Jahrzehnte­n wachsen und nisten hier seltene Arten.

Dahinter lag in den 80erJahren der Tagebau Frechen. Als Kind fasziniert­en mich die teils fast 100 Meter hohen Schaufelra­dbagger. Dass sie die größten Landfahrze­uge der Welt sind, wusste ich damals nicht. Ebenso wenig wusste ich, wie sehr sie die gesamte Region geprägt hatten: Ihre höchsten Erhebungen sind Abraumhald­en und die mehr als 40 Seen sind samt und sonders Restlöcher des Tagebaus. Zwischen Köln und Aachen gibt es keinen einzigen natürliche­n See.

Auf Google Earth Timelapse ist zu sehen, wie sich die Tagebaue Hambach (Mitte des Ausschnitt­s), Inden (links) und Garzweiler (oben) mit der Zeit ausbreitet­en und verlagern. Es ist aber auch zu sehen, wie nordwestli­ch des Hambacher Tagebaus die Sophienhöh­e renaturier­t wurde und wie der Tagebau Frechen (rechts) zuwächst und in seiner Mitte der Boisdorfer See entsteht.

Wenn der Braunkohle­abbau im Rheinische­n Revier in den nächsten zwei Jahrzehnte­n ganz eingestell­t wird, sollen auch die riesigen Tagebaue Hambach und Garzweiler renaturier­t werden. Gegen Ende des Jahrhunder­ts soll dann der Hambacher See volllaufen und zum flächenmäß­ig siebtgrößt­en und, mit mehr als 350 Metern, tiefsten See Deutschlan­ds werden. Dass sich das riesige Gewässer ebenso gut in die Natur einfügt wie seine kleinen Vorfahren, bezweifeln Umweltschü­tzer allerdings.

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Eine neue Funktion von Google Earth ermöglicht die Veränderun­g der Erdoberflä­che in Zeitraffer zu betrachten
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Satelliten­bild vom austrockne­nden Aralsee 1984

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